Investorengeführte Arztpraxen Teure Rechnungen
Finanzinvestoren haben in den vergangenen Jahren Hunderte Arztpraxen in Deutschland aufgekauft. Das hat Folgen - auch für die Versicherten, wie eine neue Studie zeigt, die Panorama und BR vorliegt.
Der deutsche Gesundheitssektor ist offensichtlich attraktiv. So beschreiben ihn jedenfalls viele internationale Investmentfirmen. Sie haben Praxen als vielversprechende Renditeobjekte entdeckt und bereits Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Arztsitze in Deutschland aufgekauft. Allein im Bereich der Augenheilkunde gehören inzwischen nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama mehr als 500 Praxen internationalen Private-Equity-Gesellschaften - dreimal so viele wie vor drei Jahren. Genaue Daten und Zahlen gibt es allerdings dazu nicht. Der Wandel vollzieht sich nahezu unbemerkt.
Aufkauf bleibt nicht ohne Folgen
Nicht nur in der Augenheilkunde zeigt sich dieser Trend. Investoren übernehmen auch Praxen von Zahnärzten, Radiologen, Orthopäden, Gynäkologen, Nierenfachärzten, Internisten, Allgemeinmedizinern.
Das bleibt offenbar nicht ohne Folgen - auch für die Patienten. Die Investoren bestreiten zwar vehement, dass sich die Versorgung verschlechtere oder teurer werde. Doch nun zeigt eine neue Studie, die NDR und BR vorliegt, dass Arztpraxen im Besitz von Finanzinvestoren systematisch höhere Preise für die Behandlung von Patienten abrechnen. Die Untersuchung hat das IGES Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) durchgeführt.
Studie zeigt: Honorare investorengeführter Praxen sind höher
Die Forscher analysierten Daten aus Arztpraxen von sieben verschiedenen Fachrichtungen in Bayern aus den Jahren 2018 und 2019. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in Praxen, die Finanzinvestoren gehören, das abgerechnete Honorar pro Behandlungsfall um mehr als zehn Prozent höher liegt als in einer Einzelpraxis - bei gleicher Patientencharakteristik. Auch im Vergleich mit anderen Praxisverbünden, die nicht im Besitz von Investoren sind, zeigt sich demnach ein deutlicher Unterschied.
Die höheren Honorare sind laut der Studie "allein auf das Merkmal der Eigentümerschaft zurückzuführen". Die Autoren sehen damit die Ergebnisse als Beleg für die These, dass sich Praxen, die Finanzinvestoren gehören, stärker an ökonomischen Motiven ausrichten.
Man sehe deutlich, dass immer mehr Praxen von internationalen Investoren gekauft würden, sagt Wolfgang Krombholz, Vorstand der KVB. Er habe Bedenken, dass sich das Gesundheitssystem nur noch an den Verdienstmöglichkeiten orientiere, wenn nicht bald etwas dagegen getan werde. "Uns ist wichtig, dass erkannt wird, welche Entwicklung im Augenblick läuft", sagt Krombholz. "Und dass es für die Zukunft begrenzt wird."
"Die Augenheilkunde ist ein Gewerbe geworden"
Welche Folgen eine stärkere Ausrichtung an Renditezielen haben kann, zeigen auch die Panorama-Recherchen. Die Journalistinnen und Journalisten sprachen über Monate mit vielen Patienten und mit annähernd hundert Augenärzten. Viele berichten von einem wirtschaftlichen Druck, wollen aber zumeist anonym bleiben.
"Die Augenheilkunde ist ein Gewerbe geworden", sagt etwa eine Augenärztin im Interview mit Panorama. Sie hat für zwei große investorengeführte Ketten gearbeitet. "Es ist einfach ein Gewerbe, in dem möglichst viel Geld verdient werden soll." Sie berichtet davon, dass sie Patienten möglichst viele Zusatzleistungen verkaufen sollte, die sie selbst zahlen müssten - etwa für spezielle Untersuchungen. Vor allem sei es aber um die Operation des Grauen Stars gegangen. "Da sollten wir möglichst hohe Stückzahlen rekrutieren", sagt die Ärztin. Denn mit solchen einfachen Standard-Eingriffen lässt sich offenbar gut verdienen. Das geht auch aus Geschäftsberichten von großen Ketten hervor.
Dem widersprechen die Betreiber von investorengeführten Praxen. "Keiner von uns ist darauf aus, schnelles Geld zu machen", sagt etwa Kaweh Schayan-Araghi im Interview mit Panorama. Er ist Gründer einer großen Augenarztkette und sitzt im Vorstand des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV), einem Zusammenschluss von investorengeführten Arztketten. Ein Unternehmen werde nur dann wertvoller, "wenn der Ruf gut ist, wenn die Qualität gut ist", sagt Schayan-Araghi.
Druck ökonomisch zu handeln?
Auch im Bereich der Zahnmedizin übernahmen verschiedene Investoren Hunderte Praxen innerhalb weniger Jahre. Auch hier berichten Angestellte von einem wirtschaftlichen Druck. Eine Zahnärztin sagt etwa im Panorama-Interview, dass ihr regelmäßig Diagramme vorgelegt worden seien. Sie zeigten, welche Umsätze sie selbst erzielte - mit Brücken, Kronen oder Implantaten - und wie viel mehr die Spitzen-Zahnärzte in der Kette erreichten. Solche Daten seien ihr und ihren Kollegen angeblich zur Motivation vorgelegt worden. Sie habe sich aber vor allem unter Druck gesetzt gefühlt.
Sie sei selbst von sich erschrocken gewesen, dass viele Patienten von ihr Behandlungen bekommen hätten, die noch nicht nötig gewesen seien, sagt die Zahnärztin. Sie habe etwa Zähne angebohrt, die eigentlich noch gesund gewesen seien. Zudem habe es Druck gegeben, möglichst viel bei den Krankenkassen abzurechnen. Sie habe sich dann "irgendeine Begründung aus den Rippen geleiert, falls es mal zu einer Kontrolle kommt".
Der Interessenverband der investorengeführten Zahnarztpraxen weist vehement zurück, dass so etwas systematisch vorkomme. Ein solches Vorgehen würde "unseren Grundsätzen widersprechen" und wäre darüber hinaus nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, schreibt der Bundesverband für nachhaltige Zahnheilkunde (BNZK) auf Panorama-Anfrage. Investorengeführte Zahnarztpraxen würden weder anders abrechnen, noch in die Behandlungsfreiheit der Ärzte eingreifen. Das belege eine Studie. Dafür wurden 24 Praxen befragt, an denen Investoren beteiligt sind. Auftraggeber waren die Ketten selbst.
Politik will eingreifen
Einige Politiker wollen bereits seit längerem die Möglichkeiten für Investoren wirksam begrenzen - etwa die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich. "Wenn wir eine Struktur haben, wo Ärzte ganz klar Kennzahlen vorgegeben bekommen, hat es mit unserer Versorgung, so wie wir sie in Deutschland organisieren, nichts zu tun", sagt Stamm-Fibich im Panorama-Interview. "Deshalb muss man dem Einhalt gebieten."
Die Gesundheitsminister der Bundesländer fassten im vergangenen November einen gemeinsamen Beschluss. Der stetig steigende Anteil investorengetragener Praxen an der Versorgung werde mit "wachsender Sorge zur Kenntnis genommen", heißt es darin. Die Minister fordern, mehr Transparenz zu schaffen und bitten das Bundesgesundheitsministerium, eine Gesetzesinitiative zu veranlassen, um den Aufkauf weiterer Praxen zu beschränken.
Auf Anfrage von Panorama teilte das Bundesgesundheitsministerium jedoch mit, eine solche Beschränkung sei rechtlich schwierig. Allein die Feststellung einer Zunahme investorengeführter Praxen reicht dafür aus Sicht des Ministeriums nicht aus.
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sieht allerdings die aktuelle Studie der KVB als Anlass, die Debatte darüber zu führen. Das Gutachten biete eine Datenbasis - und solle auch genutzt werden. "Wir schauen uns das an, wo Fehlentwicklungen sind, und werden dann handeln", sagte Holetschek im Interview mit NDR und BR.