Ein Rettungswagen ist mit Blaulicht im Zentrum von Berlin unterwegs.
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Rettungsdienste am Limit Wenn der Notarzt zu spät kommt

Stand: 14.03.2023 12:12 Uhr

Für Rettungsdienste im Einsatz zählt eigentlich jede Minute - oft geht es um Leben oder Tod. Doch immer öfter können sie die staatlich vorgegebenen Zeiten nicht einhalten. Das zeigen Recherchen von BR Data und report München

Von Katharina Brunner (Daten), Lukas Graw, Johannes Lenz und Till Rüger, br 

Ein Einsatz am Abend: Eine Frau ist bei ihrem Hausarzt zusammengebrochen, Herzrasen, der Puls über 180. Mit Blaulicht und so schnell wie möglich fährt Notfallsanitäter Markus Wagner los. Die Frau muss dringend ins nächste Krankenhaus. Ein Notfall - und doch Routine für ihn.

Eine Sorge schwingt jedoch immer mit, auch jetzt, während eines Einsatzes: Hoffentlich kommt kein zweiter Notruf. Denn Wagner fährt in der niederbayerischen Gemeinde Schöfweg das einzige Fahrzeug im Umkreis: Ein Fahrzeug für drei Landkreise mit 80.000 Menschen. 

Wenn ein zweiter Anruf kommt, muss ein Team aus der Rettungsstelle des Nachbarbezirks einspringen. Dann gibt es keine Chance, die 12-Minuten-Frist einzuhalten. In Bayern sollen Rettungswagen innerhalb dieser Zeit am Einsatzort sein. Die Messung startet, sobald das Fahrzeug in Richtung Notfall aufbricht. Das bayerische Innenministerium gibt vor: Diese sogenannte Hilfsfrist soll in den sogenannten Versorgungsbereichen in 80 Prozent aller Fälle eingehalten werden.

Eine Auswertung des Rettungsdienstberichtes 2022 zeigt: Immer weniger Rettungswagen können diese Zeit einhalten. Traf dies im Jahr 2012 noch auf 92 Prozent aller Einsätze bayernweit zu, waren es im Jahr 2021 nur noch 87 Prozent.

Probleme insbesondere im ländlichen Raum

In Bayern liegt das besonders an den Einsätzen im ländlichen Raum. Die Daten zeigen: Während in den Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern aktuell noch 95 Prozent aller Rettungskräfte pünktlich kommen, schaffen das nur 76 Prozent aller Kräfte in Landgemeinden unter 5000 Einwohnern - der angestrebte Wert wird also unterschritten.

Notfallsanitäter Markus Wagner ist seit mehr als 20 Jahren im Einsatz, sowohl in der Großstadt München als auch in Niederbayern. Er kennt das Problem: Auf dem Land sind es die weiten Strecken. Zwei Einsätze kurz hintereinander - oder gar gleichzeitig - und die Frist wird gerissen. Schöfweg ist kein Einzelfall - nur zwei Drittel aller Versorgungsbereiche in Bayern können die Quote überhaupt einhalten, ein Drittel braucht im Schnitt länger als 12 Minuten. 

Unterschiedliche Messmethoden

Doch die langen Wege auf dem Land sind nicht das einzige Problem, wie die Analyse von BR Data und Recherchen des ARD-Politikmagazins report München ergeben. Viele Bundesländer liefern Zahlen, die denselben Trend zeigen: Die Quote wird immer seltener erfüllt.  

Direkt vergleichen lassen sich die Werte allerdings nicht, denn jedes Bundesland legt selbst fest, wann die Ankunft des Rettungsteams pünktlich war. In Bayern beginnen die zwölf Minuten bei der Abfahrt des Fahrzeugs. In Berlin etwa sind es nur zehn Minuten - und die Stoppuhr läuft bereits ab dem Anruf bei der Notrufzentrale.

Dennoch: Die Tendenzen sind überall gleich. Das bestätigt Robert Pohl von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft, die auch für Rettungskräfte zuständig ist: Dauer und Zahl der Einsätze seien bundesweit gestiegen. Das führe dazu, dass die vorgegebenen Rettungszeiten immer weniger eingehalten werden können.

Weniger als jeder zweite Berliner Rettungseinsatz im Limit

Das krasseste Beispiel ist Berlin. Hier sank die Quote bei der Feuerwehr im Jahr 2021 auf 46 Prozent. Vor fünf Jahren lag sie noch bei 60 Prozent. Die eigentliche Vorgabe, nur bei jedem zehnten Einsatz länger als zehn Minuten zu brauchen - sie wird seit Jahren verfehlt.  

In Berlin sind nicht die Strecken das Problem, sondern die vielen Einsätze, bei denen eigentlich kein Team notwendig wäre. Heiko Luther ist Notfallsanitäter in der Hauptstadt und schätzt, in 50 Prozent der Fälle sei ein Rettungswagen eigentlich nicht nötig. Denn viele Menschen rufen den Notarzt schon, wenn sie sich etwa in der Küche in den Finger geschnitten haben, berichtet Luther. Statt sich um echte Notfälle zu kümmern, fühle er sich manchmal wie ein Taxifahrer, bestätigt sein Kollege.  

Mangelnde Aufklärung ein Faktor

Für viele Einsätze sei eigentlich der ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig, nicht der Notruf. Doch für eine echte Schuldfrage seien die Probleme eigentlich zu massiv - und zu zahlreich, sagt Robert Pohl von der Feuerwehrgewerkschaft: Mangelnde Aufklärung, wann die 112 die richtige Nummer ist, völlige Überlastung der Krankenhäuser und des Medizinischen Bereitschaftsdienstes. Nur an einer Schraube zu drehen und lediglich beim Rettungsdienst etwas zu ändern, verschiebe nur ein Problem von A nach B, betont er. Man müsse zeitgleich alle Systeme im Gesundheitssystem verbessern.  

Das Bundesministerium für Gesundheit hält sich bedeckt. Auf eine Anfrage von report München kommt nur eine schriftliche Antwort: Das Ministerium bereite derzeit eine Reform der Notfallversorgung vor. So wolle man die verschiedenen Ebenen zukünftig besser miteinander verschränken. Konkrete Pläne oder gar Termine nennt das Ministerium nicht.

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