Russische Akteure Mit Verleumdungsklagen gegen Kritiker
Der russische Sender RT sieht sich im Informationskrieg und bringt Kritiker in Frankreich vor Gericht. RT und andere Akteure instrumentalisierten mit strategischen Klagen die Justiz, sagen Experten.
Der französische Politologe Nicolas Tenzer ist als Kritiker der russischen Führung bekannt. 2018 schrieb er auf Twitter über die Rolle der russischen Staatsmedien RT, Sputnik und Ruptly bei den Protesten der "Gelbwesten". Er warf ihnen vor, die Stimmung anzuheizen. Nun verklagt RT ihn wegen Verleumdung. Die Verhandlung findet am 30. September in Paris statt. Tenzer zufolge gibt es ähnliche Verfahren gegen Beamte, Intellektuelle und Politiker.
In einigen Fällen wurden bereits Urteile gesprochen, bei denen RT verlor. Doch der Sender, der in Frankreich über eine Sendelizenz verfügt und auf Französisch sendet, gibt nicht auf. Eine Klage richtete sich gegen Ex-Regierungssprecher Benjamin Griveaux. Er hatte RT im Januar 2019 als vom russischen Staat finanziertes Propagandainstrument bezeichnet, das im Pressesaal des Elysée-Palastes keinen Platz habe. RT verlor den Prozess im Februar in zweiter Instanz und wurde zu einer Zahlung von 1000 Euro für die Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt. Im ersten Verfahren hatte RT 2000 Euro Anwaltskosten an Griveaux zahlen müssen.
Ebenso scheiterte der Auslandssender mit einer Klage gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo". Es hatte RT mit der Propagandazeitung "Signal" verglichen, die die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich herausgab. RT versuchte, eine Gegendarstellung durchzusetzen, wurde jedoch drei Mal abgewiesen und musste 6500 Euro Anwaltskosten an "Charlie Hebdo" überweisen. Allerdings wies das Gericht auch die Forderung von "Charlie Hebdo" an RT zurück, wegen Verfahrensmissbrauchs 10.000 Euro zu zahlen.
Klagen gegen Bücher über Putins Netzwerke
Nicht allein RT versucht, gerichtlich gegen unliebsame Aussagen vorzugehen. Gegen die Professorin für Russland-Studien von der Universität Rennes II, Cécile Vaissié, und ihren Verleger klagten sechs Personen. Sie sahen sich in ihrem Buch "Die Netzwerke des Kreml in Frankreich" verunglimpft. Das Gericht wies die Klagen bis auf eine zurück: Eine Darstellung als "kremlfreundlich" erfülle den Tatbestand der Diffamierung nicht. Vaissiés Behauptung, der Blogger Oliver Berruyer habe bei russisch-ukrainischen Fragen den Willen gehabt, Tatsachen zu verdrehen, darf sie allerdings unter Androhung einer Geldstrafe von 500 Euro nicht mehr verwenden. Vaissié und der Verlag mussten dem Blogger 2000 Euro Schadenersatz und 2500 Euro Prozesskosten zahlen.
In Großbritannien sieht sich die ehemalige Moskau-Korrespondentin der "Financial Times", Catherine Belton, mit ihrem Verlag HarperCollins wegen ihres Buchs "Putins Leute" ebenfalls Klagen ausgesetzt. Kläger sind die russischen Geschäftsleute Roman Abramowitsch, Michel Fridman, Petr Awen und Schalwa Tschigirinsky sowie der Konzern Rosneft. Belton beschreibt den Aufstieg Wladimir Putins und seiner Mitstreiter vom KGB an die Spitze Russlands sowie deren weltweiten Verbindungen. HarperCollins will sich "energisch" gegen die Klagen verteidigen.
"Reputationswäsche" für vermögende Klienten
Eine solche Unterstützung ihres Verlages war der US-Wissenschaftlerin Karen Dawisha nicht vergönnt. Ein Buch mit Belegen über "Putins Kleptokratie" lehnte der britische Verlag Cambridge University Press ab. Zur Begründung verwies der Verleger auf die Grundannahme des Buchs, wonach Putins Macht auf seinen Verbindungen zum organisierten Verbrechen beruhe: Er glaube nicht, dass das Buch so umgeschrieben werden könne, "dass es uns die nötige Sicherheit gibt", heißt es in einer E-Mail an die Autorin, die der "Economist" veröffentlichte. Das Buch erschien schließlich 2014 bei "Simon & Schuster" in den USA, wo es nicht so strikte Verleumdungsgesetze gibt. Es wurde für seine tiefgründige Recherche gelobt.
Dawisha, die 2018 verstarb, stellte damals klar, dass sich ihre Empörung nicht gegen den Verlag, sondern gegen das Klima in Großbritannien richte, das "präventive Bücherverbrennung" zulasse. Zu den laut "Financial Times" "klägerfreundlichen Verleumdungsgesetzen" in Großbritannien kommt eine ganze "Industrie" zu Diensten vermögender Geschäftsleute aus Russland. So steht es in einem Bericht des Geheimdienstausschusses des Parlaments zu Einflussnahme auf die Brexit-Abstimmung. Demnach sei es Russen mit engen Verbindungen zu Putin gelungen, sich in die Geschäfts- und Gesellschaftsszene zu integrieren. Zur "Industrie" zählen Rechtsanwälte, die für ihre Klienten "Reputationswäsche" betreiben, angelehnt an den Begriff "Geldwäsche".
Schutz vor Zensur
Klienten kommen ebenfalls aus Staaten wie China und Aserbaidschan. Sie finden sich auch in Frankreich: 2019 verklagte der chinesische Konzern Huawei die Forscherin Valérie Niquet sowie einen Journalisten und die Produktionsfirma der Fernsehsendung "C dans l'air". Dort hatte die Asienexpertin gesagt, dass "niemand einem sowjetischen Unternehmen jemals die Mittel gegeben hätte, alle Kommunikationsmittel in der westlichen Welt zu überwachen. Und genau das wird mit Huawei gemacht". Huawei stehe unter Kontrolle des Staates und der Kommunistischen Partei Chinas, die eine echte Machtstrategie verfolge. Huawei beharrte darauf, ein privater Konzern zu sein. Das Verfahren dauert an.
2017 verlor Aserbaidschan eine Klage gegen zwei Journalisten des Senders France 2, die den Staat am Kaspischen Meer als Diktatur bezeichnet hatten. Das Strafgericht in Nanterre nannte die Klage unzulässig. Das Pressegesetz sei eingeführt worden, um politische Zensur zu verhindern, erklärte der vorsitzende Richter.
Instrumenalisierung des Rechtsstaates
Misserfolge vor Gericht halten Klienten nicht davon ab, immer weiter zu klagen. Das zeigt das Vorgehen RTs in Frankreich. Der verklagte Politologe Tenzer schrieb dazu in einem Beitrag für "Le Monde", hier versuche ein Staat, die Justiz in großem Stil zu instrumentalisieren. Er erinnerte daran, dass das Europäische Parlament und der Europarat bereits vor "Strategischen Klagen gegen die Öffentlichkeit" (SLAPPs) gewarnt hätten.
Üblicherweise verklagten öffentliche Personen Medien wegen Verleumdung. Im Fall RT sei dies umgekehrt, so Tenzer. RT sieht sich zusammen mit der russischen Regierung in einem "Informationskrieg": So wie das Verteidigungsministerium in Friedenszeiten Waffen für den Krieg vorhalte, müsse RT als Informationswaffe für Krisenzeiten bereitstehen, erklärte Chefredakteurin Margarita Simonjan 2013.
Die Büroleiterin von RT DE, Dinara Toktosunova, sagte in einem Arte-Interview: "Ich denke tatsächlich, dass die ganze Welt in einem Krieg um Informationen steht. Wenn man sich fragt, wo der Dritte Weltkrieg ist - das ist im Informationsbereich."