Roman Abramowitsch
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Russischer Oligarch Versteckt Abramowitsch Geld in deutschen Firmen?

Stand: 22.06.2023 06:00 Uhr

Der russische Oligarch Abramowitsch hat Millionenbeträge in namhafte deutsche Start-ups investiert. Das geht aus einem Datenleck mit mehr als 400.000 Dokumenten hervor, das dem SWR vorliegt. Der Oligarch steht auf der EU-Sanktionsliste.

Von Marilina Görz y Moratalla und Jan-Philipp Hein, SWR

In mindestens fünf deutsche Unternehmen ist Geld des Putin-Vertrauten Roman Abramowitsch geflossen, das zeigen vertrauliche Dokumente der zypriotischen Vermögensverwaltungsgesellschaft MeritServus aus einem Zeitraum von 2004 bis 2022. Der Oligarch war laut den vorliegenden Papieren bis mindestens Ende März 2022 Klient bei MeritServus.

Seit Mitte März 2022 ist Abramowitsch mit EU-Sanktionen belegt. Sein in Europa investiertes Geld sollte laut Sanktionsbestimmungen eingefroren werden. Die Vermögensgesellschaft MeritServus steht seit April dieses Jahres auf der britischen Sanktionsliste, weil sie für Abramowitsch arbeitete.

Die Unterlagen sind Teil eines hunderte Gigabyte großen Datenlecks, das der SWR über die US-Transparenz-Organisation DDOS-Secrets erhielt und seit Monaten auswertet. Das Material enthält eine Liste von über 2500 Kunden, dazu E-Mails, notarielle Urkunden, Passkopien und Bankdokumente.

Darüber hinaus legen Auszüge aus dem deutschen Handelsregister den Verdacht nahe, dass Abramowitsch trotz Sanktionen noch Anteile an mindestens drei deutschen Softwareunternehmen halten könnte.

Experten: Datenleaks liefern wichtige Hinweise

Seit Russland vor 16 Monaten seinen Angriff auf Kiew startete, versuchen Ermittler weltweit, Vermögen der russischen Oligarchen aufzuspüren, da sie als Teil des russischen Machtapparats gelten und gezielt sanktioniert werden sollen. Vielfach scheitern diese Ermittlungen.

Experten beklagen, dass es oft erst durch geleakte Dokumente möglich sei, verschleiertes Vermögen aufzuspüren, weil grundlegende Informationen wie die wahre Identität der Unternehmenseigentümer nicht zugänglich seien: "Der Finanzmarkt ist immer noch eine Blackbox", sagt Geldwäscheexperte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Viele Sanktionen liefen, so Trautvetter, deshalb ins Leere.

Milliarden-Unternehmen bekam Geld von Abramowitsch

So ist für die Öffentlichkeit bislang unbekannt, dass Geld von Abramowitsch nach Berlin-Kreuzberg floss. Dort hat Auto1 seinen Sitz. Das milliardenschwere Start-up ist nach eigenen Angaben Europas größte Onlineplattform für Autohändler. Die Abramowitsch allein gehörende Offshorefirma Ervington besaß 2020 Anteile von Auto1. Das ist einer Gesellschafterliste des Start-ups zu entnehmen. 

Aus den geleakten MeritServus-Dokumenten geht hervor, dass Abramowitsch in weitere Berliner Start-ups investierte. Das global operierende Medienunternehmen Showheroes, das auch den "Spiegel" und die "Funke Mediengruppe" mit Videos beliefert, bekam nach dem gleichen Muster wie Auto1 Geld, indem sich dort eine Offshore-Firma einkaufte. In diesem Fall war es eine Firma namens Innes Worldwide Holdings Limited.

Nach einem dem SWR vorliegendem Brief von 2019 teilte ein MeritServus-Geschäftsführer dem Showheroes-Gründer mit, dass "Herr Roman Abramowitsch der letzte Nutznießer der Firma Innes Worldwide Holdings Limited ist". Auch an drei kleineren auf Apps spezialisierte Start-ups kaufte Abramowitschs Unternehmen Anteile. Auf Nachfrage des SWR, ob ihnen bekannt gewesen sei, dass Abramowitsch bei ihnen investiert habe, erhielt der SWR weder von diesen Unternehmen noch von Showheroes eine Antwort.

Bekannter Investor mit Verbindungen zu Abramowitsch

Ein Unternehmen, das immer wieder im Zusammenhang mit Abramowitsch-Investments auftaucht, ist der Risikokapitalgeber Target Global, der vor rund zehn Jahren in Moskau gegründet wurde und seinen Hauptsitz laut Website mittlerweile in einer repräsentativen Immobilie gegenüber dem Berliner Stadtschloss hat. Target Global wirbt mit Beteiligungen an über 100 Start-ups in Deutschland, darunter der Online-Versicherungsmakler WeFox, der auch Hauptsponsor des Fußball-Bundesligisten Union Berlin ist. Das ehemalige DAX-Unternehmen Delivery Hero wird ebenso als Referenz genannt wie Auto1. 

Eine Sprecherin bestreitet auf SWR-Anfrage, dass Abramowitsch in die Target Global Holding Limited investiert habe. Unterlagen aus dem Datenleak zeigen allerdings: 2020 gab Abramowitsch einer 100-prozentigen Tochterfirma von Target Global einen Kredit von rund 15 Millionen Dollar.

Darüber hinaus erhöhte der Oligarch noch 2021 für ein Investment einen Kredit auf etwa 15 Millionen Euro über eine Firma namens Target Global Advisors (TGA). Diese arbeitet den Dokumenten zufolge offiziell als Finanzberater für die Target Global Holding. Der Geldfluss wird in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen TGA und einer weiteren Offshore-Firma Abramowitschs beschrieben.

Eine Sprecherin von Auto1 bestätigt, dass "Gesellschaften von Target" sich bei Auto1 eingekauft hätten. "Das war viele Jahre vor den ersten Sanktionen." Mittlerweile habe man aber nur noch "beschränkt Kenntnisse" über die Anteilseigner, da man seit Februar 2021 an der Börse notiert sei. Die Sprecherin verweist zudem darauf, dass es eine Meldepflicht für Stimmrechte aus Aktien erst ab drei Prozent Unternehmensanteilen gibt.

In einer Auto1-Gesellschafterliste des Jahres 2021 lassen sich unter 35 Gesellschaftern sieben mit "Target" im Namen finden. Auch in dem SWR vorliegendem Dokument wird die Abramowitsch-Firma Ervington als "Partei" gemeinsam mit den Target-Firmen genannt. Auffällig ist: Jede Einzelbeteiligung bleibt unter der Schwelle von drei Prozent.

"Millionenschwere Minderheitenanteile teilweise nicht meldepflichtig"

Experten wie Christian Trautvetter sehen darin ein Problem für die Durchsetzung von Sanktionen: "Millionenschwere Minderheitenanteile sind teilweise nicht mal meldepflichtig. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass russische Oligarchen nach wie vor unerkannt Anteile an deutschen Unternehmen halten. Und das wäre noch nicht mal illegal", sagt Trautvetter.

Das Auto1-Investment von Abramowitsch wirft auch ein neues Licht auf einen vielbeachteten Deal in England. Medienberichten zufolge übernahm Auto1-Gründer Hakan Koç zusammen mit einem Partner im Januar 2023 das britische Mobilfunkunternehmen Truphone für einen symbolischen Dollar.

Im Vorfeld der Verhandlungen zur Übernahme und wenige Wochen nach der kriegerischen Eskalation in der Ukraine wies Truphone in einer Mitteilung selbst auf die problematische Rolle von Abramowitsch vor dem Hintergrund der "globalen Ereignisse" und der Sanktionen hin.

Koç sieht in seiner Antwort auf SWR-Fragen keine Probleme in seinem Truphone-Deal, die Transaktion sei "über ein halbes Jahr von A-Z von etlichen Regulierungs- und Sanktionsbehörden geprüft" worden. Zu diesem Zeitpunkt war Abramowitschs Beteiligung an Auto1 allerdings noch unbekannt. Mittlerweile wird Truphone von einem Insolvenzverwalter verwaltet.

Strafen gefordert

Sebastian Fiedler, SPD-Bundestagsexperte für Geldwäsche und Sanktionen, wundern die Ergebnisse der Recherchen nicht: "Das Datenleck zeigt, wie wichtig Schattenfinanzplätze für Oligarchen sind, um ihr Geld in deutschen Unternehmen anzulegen". Die Nutzung einschlägiger Gesellschaftsformen von den britischen Jungferninseln oder den Cayman Islands solle nicht nur verboten werden. Der Ex-Kriminalbeamte Fiedler fordert Strafen, "solange nicht auf Knopfdruck sichtbar wird, wem was wirtschaftlich gehört". Genau daran aber scheitern Ermittler regelmäßig. "Diese Steueroasen verursachen mehr Leid als einzelne Schusswaffen. Dennoch erlauben wir sie."

Am 9. Juni hatten sich die EU-Justizminister darauf verständigt, Verstöße gegen Sanktionen zu bestrafen. Das soll auch für Personen, die Geschäftsbeziehungen zu entsprechenden Unternehmen unterhalten, gelten: "Bei der Durchsetzung von Sanktionen waren viele EU-Staaten miserabel aufgestellt", sagt Fiedler und begrüßt deshalb die Initiative dieser Staaten. Er fordert deshalb, die Zuständigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft zu erweitern.

Roman Abramowitsch reagierte nicht auf mehrfache Nachfragen des SWR.

Kai Laufen, SWR, tagesschau, 22.06.2023 06:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 22. Juni 2023 um 08:37 Uhr.