Krieg gegen die Ukraine EU richtet Sicherheitsstrategie neu aus
Der Ukraine-Krieg bringt auch die EU-Verteidigungspolitik unter Zugzwang. Künftig sollen eigene Auslandseinsätze leichter und Rüstungsinvestitionen erhöht werden, zeigt ein Strategiepapier aus Brüssel.
Der russische Angriff auf die Ukraine führt auch zu einer Neuausrichtung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie. Das geht aus dem Entwurf eines EU-Grundsatzpapiers hervor, das in Brüssel von den Außen- und Verteidigungsministern der Europäischen Union beraten werden soll.
In dem sogenannten "Strategischen Kompass" definiert die EU ihre gemeinsamen sicherheits- und verteidigungspolitischen Aufgaben und Prioritäten. Erstmals hat sie dafür eine gemeinsame Bedrohungsanalyse erstellt.
Antwort auf russische Invasion
Mit dem Strategiepapier reagiert die Europäische Union auch auf den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und schreibt von einer "Wiederkehr des Kriegs in Europa". "Russlands Aggressionskrieg", so heißt es in dem Entwurf, "konstituiert eine tektonische Verschiebung in der europäischen Geschichte". Und weiter:
Diese aggressiven und revisionistischen Aktionen, für die die russische Regierung zusammen mit ihrem Komplizen Belarus die volle Verantwortung trägt, bedrohen ernsthaft und direkt die europäische Sicherheitsordnung und die Sicherheit der europäischen Bürger.
Damit begründet die EU auch strategisch eine deutliche Wende, wie Vergleiche mit einem früheren Entwurf des "Strategischen Kompasses" zeigen. In einem langwierigen Verfahren hatten die EU-Staaten auf Initiative Deutschlands bereits im Jahr 2020 mit der Erarbeitung des Grundsatzpapiers begonnen.
Standen in früheren Entwürfen noch Bedrohungen durch etwa Terrorismus, Extremismus, Cyber-Angriffe oder den Klimawandel im Vordergrund, so markiert das Papier nunmehr eine deutliche Wende. Im Fokus steht nun vor allem die Gefahr durch Russland.
Konkrete Verabredungen als Reaktion
"Die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine hat die dringende Notwendigkeit bestätigt, die militärische Mobilität unserer Streitkräfte innerhalb und außerhalb der Union erheblich zu verbessern", heißt es in dem Papier. Unter anderem wollen die EU-Staaten laut dem Entwurf die Schnelligkeit der Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit ihrer bewaffneten Truppen erhöhen.
Eine weitere Reaktion auf die Invasion in der Ukraine: Laut dem Papier will die EU bedrohten Partnern künftig schnell ihre Unterstützung anbieten - etwa in Form von Militärhilfe.
Künftig schnellere Eingreiftruppen?
Und noch eine deutliche Konsequenz könnte das Papier künftig haben: den effektiven Einsatz einer schnellen militärischen Eingreiftruppe unter europäischem Dach. Dabei handelt es sich um ein Kontingent von bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten, die unter dem Dach der Europäischen Union in akuten Krisensituationen militärisch handlungsfähig - und auch kampfbereit - sein sollen.
Bislang verfügt die EU bereits über kleinere Kontingente, sogenannte "Battlegroups". Allerdings: Eingesetzt wurden diese bislang noch nie, weil dazu die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedstaaten nötig ist. Künftig, so erhofft man sich zumindest in deutschen Regierungskreisen, sollen diese Eingreiftruppen leichter zum Einsatz kommen.
Und: "Eine substantielle Veränderung der EU-Battlegroup soll zu einem robusteren und flexibleren Instrument werden." Die EU müsse in allen Phasen eines Konfliktzyklus in der Lage sein, auch "auf unmittelbare Bedrohungen zu reagieren oder schnell auf eine Krisensituation außerhalb der Union zu reagieren."
Einfachere Investitionen in Rüstungsgüter
Daneben plant die EU offenbar, auch Investitionen in Rüstungsgüter zu vereinfachen. Als ein Schlüsselbereich gelten hier Investitionen in neue Technologien, Ausrüstung und Waffensysteme. Dazu soll laut dem Entwurf der "Zugang zu privater Finanzierung" der Verteidigungsindustrie "beworben und erleichtert" werden.
Außerdem soll die EU-Kommission an einem Vorschlag zur "Aufhebung der Mehrwertsteuer" arbeiten, um "die gemeinsame Beschaffung" von in der EU entwickelten Rüstungsgütern zu unterstützen. Auf Anfrage bestätigte die EU-Kommission, dass sie im Frühjahr 2023 einen entsprechenden Vorschlag vorlegen werde.
Rechtlich bindend ist der "Strategische Kompass" nicht. Gleichwohl soll er den sicherheitspolitischen Rahmen des gemeinsamen EU-Engagements auch im Hinblick auf militärische Bedrohungslagen umreißen. Erwartet wird, dass der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, das Papier bei einer Einigung dann in der kommenden Woche vorstellen wird.