Strafbare Inhalte "Wir kommen an Telegram nicht ran"
Der Messengerdienst Telegram gibt weiter nur selten die notwendigen Daten an Polizei und Justiz, um Tatverdächtige zu ermitteln. Das zeige Recherchen von WDR und SZ. Bei Twitter läuft es besser.
Nein, bei Telegram habe sich eigentlich gar nichts geändert, so das ernüchternde Fazit von Christoph Hebbecker. "Wir kommen an Telegram einfach nicht ran". Hebbecker arbeitet bei der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) der Kölner Staatsanwaltschaft und ist zuständig für die Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet. Und auf Telegram findet sich davon jede Menge.
Der Messengerdienst hat viele Millionen Nutzer weltweit. Hier tummeln sich Oppositionelle aus Russland und Iran, aber eben auch Rechtsextremisten, Islamisten und Verschwörungsideologen. Sie können über das verschlüsselte Chatprogramm weitestgehend anonym kommunizieren, sich vernetzen, hetzen und drohen.
Für die Strafverfolger ist das ein Problem, denn sie können oft nicht herausfinden, wer da Hass verbreitet - oder einen Terroranschlag plant. Erst kürzlich waren in Castrop-Rauxel zwei Männer festgenommen worden, die ein islamistisches Attentat mit Giftstoffen wie Rizin geplant haben sollen. Die US-Bundespolizei FBI war auf verdächtige Chats bei Telegram gestoßen und hatte daraufhin die deutschen Behörden informiert.
Zum Melden und Löschen verpflichtet
Die Betreiber von sozialen Netzwerken sind nach dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dazu verpflichtet, strafbare Inhalte zu melden und zu löschen - und mit der Polizei und Justiz zu kooperieren. Etwa wenn Ermittler die Bestandsdaten haben wollen, um einen verdächtigen Nutzer identifizieren zu können, beispielsweise die E-Mail-Adresse oder Telefonnummer, mit der sich die Person registriert hat.
Bei einigen Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok funktioniert die Zusammenarbeit recht gut. Telegram aber gilt weiterhin als großer Problemfall, denn die Betreiber liefern so gut wie keine Nutzerdaten an deutsche Behörden. "Wir wissen mittlerweile, dass wir in der Regel höchstwahrscheinlich keinen Verdächtigen ermitteln können, weil Telegram nicht kooperiert", so der Kölner Staatsanwalt Hebbecker. Seine Behörde führe daher kaum Verfahren mit Bezug zu dem Messengerdienst.
Drohungen blieben ohne Wirkung
Nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" hat sich die Zusammenarbeit zwischen Telegram und deutschen Strafverfolgern in diesem Punkt zuletzt kaum verbessert. Und das, obwohl das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium im vergangenen Jahr den Druck auf die Betreiberfirma deutlich erhöht hatten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser drohte zwischenzeitlich gar Telegram abschalten zu lassen, Justizminister Marco Buschmann wiederum drohte ein Bußgeld in Millionenhöhe an.
Es gab daraufhin einige direkte Gespräche zwischen Vertretern des Innenministeriums und dem Telegram-Gründer und Chef, dem Russen Pawel Durow. Dabei sei durchaus eine Kooperationsbereitschaft signalisiert worden, hieß es. Telegram benannte sogar eine direkte Ansprechperson für das Bundeskriminalamt (BKA). Doch passiert ist seitdem wenig.
Löschanfragen deutscher Behörden werden inzwischen zwar umgesetzt. So hatte das BKA bis Anfang diesen Jahres in 445 Fällen strafbare Inhalte an Telegram gemeldet, in 419 Fällen wurde dann wohl auch tatsächlich gelöscht. Bestandsdaten zur Identifizierung von tatverdächtigen Nutzern liefert Telegram allerdings weiterhin kaum.
"230 herausgehobenen Fällen"
In "230 herausgehobenen Fällen" hat das BKA solche Daten wie E-Mail-oder IP-Adressen bislang angefragt. Nur in etwas mehr als 60 Fällen gab es überhaupt eine Antwort, und nur in 25 Fällen wurden auch tatsächlich Daten übermittelt. Meist ging es um Darstellungen von sexuellem Missbrauch von Kindern oder um islamistischen Terrorismus. Damit hat sich die Zahl der Auskünfte gegenüber deutschen Behörden seit dem Sommer vergangenen Jahres nicht erhöht. Eine Anfrage, warum Telegram weiterhin so selten Daten herausgibt, hat die Plattform nicht beantwortet.
Im vergangenen Oktober hat das Bonner Bundesamt für Justiz (BfJ) zwei Bußgeldbescheide in Höhe von insgesamt rund 5,1 Millionen Euro ausgestellt. Telegram wird inzwischen in Deutschland von einer Anwaltskanzlei vertreten, die Einspruch gegen das Bußgeld eingelegt hat. "Die Einspruchsbegründungen werden derzeit vom Bundesamt für Justiz geprüft. Eine Entscheidung wird vorbereitet", teilte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums auf Nachfrage mit.
Wissenschaftler sollen Auswirkungen erforschen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat sich derweil der Frage gewidmet, wie sehr soziale Medien wie Telegram zur Radikalisierung von Menschen beitragen, und wie über solche Netzwerke extremistische Inhalte und Verschwörungsmythen in die Gesellschaft hineingetragen werden.
Im vergangenen Jahr hat das neu gegründete Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) des Verfassungsschutzes dazu erstmalig ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Den Zuschlag haben Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität in München erhalten, sie haben die Rolle von Telegram bei der Online-Radikalisierung untersucht. Die Ergebnisse der Studie sollen bald veröffentlicht werden.
Überrascht von Twitter
Trotz aller Probleme bei der Zusammenarbeit mit Telegram gibt es aus Sicht der Strafverfolger jedoch auch erfreuliche Entwicklungen. Als im vergangenen Jahr der Unternehmer Elon Musk die Plattform Twitter kaufte, waren die Sorgen groß, dass dort nun endgültig ein rechtsfreier Raum entstehen könnte. Immerhin feuerte Musk einen großen Teil jener Mitarbeiter, die dafür zuständig waren, strafbare Inhalte ausfindig zu machen und zu löschen. Musk fragte die Twitter-Community zudem, ob es eine "Generalamnestie" für zuvor gesperrte Nutzer geben solle.
"Bei Twitter lief die Zusammenarbeit lange katastrophal", sagt der Staatsanwalt Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Jetzt aber laufe es erstaunlich gut. "Wir wissen nicht, aus welchem Grund, aber auf einmal schickt Twitter regelmäßig Daten." Früher bekamen die Ermittler häufiger auch mal keine Reaktion auf eine Anfrage, inzwischen komme fast immer eine brauchbare Information.