Radfahrer im Regen.
interview

Klimapolitik "Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg"

Stand: 21.12.2023 15:03 Uhr

Wie steht es um die Klimapolitik der Ampelkoalition? Sie hat momentan große Probleme zu bewältigen - und ist dennoch auf einem guten Weg, sagt der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation, Uwe Cantner, im Interview.

tagesschau24: Wenn Klimaneutralität gelingen soll, braucht es Veränderungen in mehreren Sektoren: Verkehr, Landwirtschaft, Wohnungsbau. Was wären die wichtigsten aus Sicht der Expertenkommission, der Sie vorsitzen?

Uwe Cantner: Vielleicht eine Vorbemerkung dazu: Das Klimaschutzgesetz erfordert Transformationen, die im Umfang und auch im finanziellen Volumen über das hinausgehen, was eine Wirtschafts- und Innovationspolitik in "normalen" Zeiten ausmacht. Das Volumen ist vergleichbar mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg oder vielleicht auch mit der Wiedervereinigung, wahrscheinlich sogar viel größer. Das ist ein riesengroßes Programm.

Und Sie hatten es ja gerade gesagt: In verschiedenen Sektoren, Branchen und Industrien müssen Umstrukturierungen stattfinden, Innovationen, neue Technologien eingeführt und Verhaltensänderungen angeregt werden. Und dazu braucht es einen Plan. Der ist nicht so aufgesetzt wie bei einem Standard-"Konjunkturprogramm". Sondern jetzt brauchen Sie viele verschiedene Maßnahmen.

Womit man anfängt, ist letztendlich eine politische Entscheidung. Wichtig ist nur, dass man anfängt. Denn eins ist auch klar: Den Königsweg, wie man so ein großes Programm umsetzt, kennt niemand. Es ist auch eine experimentelle Politik.

Uwe Cantner
Zur Person

Uwe Cantner ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist aktuell der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung berät.

"Noch ein Haufen Arbeit vor der Bundesregierung"

tagesschau24: Aber hat die Bundesregierung nicht schon längst angefangen?

Cantner: Man hat das schon angefangen, aber man ist noch nicht so weit gekommen. Und es liegt noch ein großer Berg an Arbeit vor der Bundesregierung, vor dieser und vor den nächsten Bundesregierungen.

tagesschau24: Wie könnte man schnell Erfolge erzielen?

Cantner: Es gibt ein Instrument, das man unbedingt einsetzen muss: den CO2-Preis oder ähnliche Preise auf die umweltschädlichen Wirkungen unseres Tuns. Also auch ein Preis auf Dünger, auf Pflanzenschutzmittel. Deren Wirkungen sind in den normalen Marktpreisen nicht eingepreist, machen aber die Umwelt kaputt und generieren damit in der Zukunft Kosten. Und das muss man mit dem CO2-Preis und äquivalenten Preisen versuchen, in den Griff zu bekommen. Ich denke, da ist die Bundesregierung auf einem einigermaßen guten Weg, das zu tun.

Wofür sorgt der CO2-Preis? Die Art, wie wir heute Technologien bedienen, produzieren und konsumieren, wird so einfach teurer. Wenn es teurer wird, nutzt man davon weniger. Und man kommt auch auf die Idee, es vielleicht ganz anders zu machen, also auf nachhaltige Technologien und Verhaltensweisen umzustellen. Und das kann dieser CO2-Preis als generelles Instrument erst einmal leisten.

Wenn man dann in die einzelnen Bereiche reingeht, in den Energiesektor, in den Mobilitätssektor, in den Gesundheitssektor, in die Landwirtschaft, dann gibt es sicherlich hier und da noch speziellere Maßnahmen. Da muss man dann priorisieren. Mit welcher Maßnahme kann ich schnell eine Wirkung erzeugen? Eine Wirkung, die so ausfällt, dass die Menschen auch mitgehen.

Ich nehme mal das Beispiel des Verkehrssektors: Es war mir immer unverständlich, warum man nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen sehr schnell auf 130 oder 120 gesetzt hat. Denn wir haben ja während der Coronakrise gesehen, wie auf einmal die Umweltbelastung durch den Verkehr nach unten gegangen ist. Das hätte man schnell machen können, das hätte nicht viel gekostet und die Wirksamkeit wäre unmittelbar da gewesen.

Uwe Cantner, Wirtschaftswissenschaftler Friedlich-Schiller-Universität Jena, zu Deutschlands geplante Klimaneutralität bis 2045

tagesschau24, 20.12.2023 19:00 Uhr

"Entscheidungsautonomie ist wichtig"

tagesschau24: Bleiben wir noch mal kurz bei der Mobilität: E-Autos werden jetzt nicht mehr gefördert. Ist das ein wirtschaftlich guter Weg?

Cantner: Wenn man die Menschen mit Maßnahmen dazu bewegen will, sich nachhaltig zu verhalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann das mit Geboten und Verboten machen. Man kann sagen: Ab Tag X sind fossile angetriebene Autos einfach verboten und danach müssen die Menschen alternativ angetriebene Autos verwenden. Man kann versuchen, es über die Preise zu regeln und dafür sorgen, dass die fossilen Antriebsautos einfach teurer werden. Über den CO2-Preis zum Beispiel.

Aber man kann auch versuchen, die alternativen Vehikel zu subventionieren. Das ist diese Kaufprämie. Ich bin davon nicht begeistert. Eine generelle Steuererleichterung wäre mir lieber, denn dann könnten die Menschen selbst entscheiden. Mit der Prämie gibt es nur eine Entscheidung: Ich kaufe das Elektroauto - oder nicht. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man den Menschen größere Entscheidungsautonomie lässt, soweit es geht.

Und zum Zweiten bin ich auch nicht so ein großer Freund davon, dass man spezielle Dinge herausgehoben fördert - wie diese Kaufprämie bei den E-Autos.

tagesschau24: Nun ist die Haushaltslage ja gerade angespannt. Gibt es überhaupt noch Spielraum für die Bundesregierung für Klimaschutzmaßnahmen?

Cantner: In jeder schlechten Entwicklung gibt es auch immer einen Kern des Guten. Und dass man nun auf einmal dieses hohe Ausgabenvolumen stoppt und überlegt, was wirklich wichtig ist und wofür man wirklich Geld ausgeben muss, ist ein großes Thema bei den neuen Haushaltsplänen. Wie kann man auch staatliche Ausgaben für schädliche Technologien, für Industrien mit negativen Umwelteffekten abbauen?

Oftmals reicht es aus, rechtliche Bedingungen abzusenken und somit Freiräume zu schaffen, etwa bei der Nutzung von Daten. Das ist gar nicht mal so teuer und dann bekommt man die Leute auch den richtigen Weg. Diese Wege gilt es kreativ zu nutzen und so die eigene Transformationspolitik auf gesündere und partizipativere Füße zu stellen.

"Die Regierung hat Riesenprobleme zu bewältigen"

tagesschau24: Wie kreativ ist die Bundesregierung in diesem Transformationsprozess?

Cantner: Die Bundesregierung hat gerade Riesenprobleme zu bewältigen. Und zwar nicht nur die Transformationen, sondern in ganz anderen Politikbereichen - Außenpolitik, Verteidigungspolitik. Ich glaube, es gab keine Bundesregierung vorher, die so viele dringende Aufgaben auf einmal auf dem Tisch hatte wie die aktuelle Bundesregierung.

Das alles zu bewältigen, ist unheimlich schwierig, was nicht nur an der Masse der Aufgaben liegt, sondern auch an den bestehenden Strukturen innerhalb des Ministerialapparats. So wie der strukturiert ist und wie die Prozesse ablaufen, wird es schwierig sein, diese Aufgabenvolumen in gegebener Zeit bewältigen zu können.

Hierfür wäre es nötig, die Ministerialstrukturen auf eine andere Ebene zu bringen, mehr über die Ressorts hinweg zu koordinieren, mehr Entscheidungsbefugnisse auf unteren Hierarchieebenen zuzulassen, mehr Teamarbeit, mehr Matrixorganisation. Moderne Managementstrukturen müssten da Einzug erhalten, aber das umzustellen ist ein unheimlich dickes Brett.

Das Bildungs- und Forschungsministerium setzt jetzt zum Beispiel auf ressortübergreifende Teams, sogenannte Missionsteams, die aus Referaten von verschiedenen Ministerien zusammengesetzt sind - zur Erreichung eines ganz bestimmten Ziels. Ich glaube, das sind schon die organisatorisch klugen Schritte, die man da geht.

Die Bundesregierung ist bei allen Schwierigkeiten auf dem richtigen Weg. Das könnte sicherlich alles deutlich schneller gehen. Aber vor Schnelligkeit kommt auch Sorgsamkeit. Und so sehe ich in vielen Bereichen durchaus grüne Zeichen. Es läuft in die prinzipiell gewünschte Richtung.

Das Gespräch führte Anja Martini, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde es gekürzt und redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 20. Dezember 2023 um 19:00 Uhr.