Eltern und Kinder bei einer Polio-Impfstelle in Deir Al-Balah im Gazastreifen
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Krieg in Nahost ++ Impf-Zwischenziel laut UNICEF übertroffen ++

Stand: 04.09.2024 23:01 Uhr

Im Gazastreifen konnten laut dem Hilfswerk UNICEF bereits mehr als 189.000 Kinder gegen Polio geimpft werden - mehr als erhofft. Bundesaußenministerin Baerbock reist erneut in den Nahen Osten. Der Liveblog vom Mittwoch zum Nachlesen.

04.09.2024 • 23:01 Uhr

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Wir schließen den Liveblog für heute und danken für das Interesse.

In Tel Aviv kommt es die vierte Nacht in Folge zu großen Protesten. Die Demonstrierenden fordern die Regierung auf, eine Waffenstillstand zu vereinbaren und die verbleibenden Geiseln im Gazastreifen nach Hause zu bringen.

Eine neue Protestwelle brach am Sonntag aus, nachdem Israel die Leichen von sechs Geiseln geborgen hatte, die von Hamas-Kämpfern in Gefangenschaft getötet worden waren.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu äußerte sich zum Rückzug Israels aus dem Philadelphi-Korridor und erklärte, dass Israel den Korridor nun nicht mehr verlassen werde, um die Hamas nicht zu beschwichtigen. Netanyahu sprach von einem "falschen Narrativ" in den internationalen Medien und sagte, er sei in der Tat "bereit, einen Deal zu machen".

Dass aber die Hamas in der vergangenen Woche Geiseln getötet habe, habe die Art des Deals verändert, zu dem er bereit sei. Israel werde "nach diesem Massaker keine Zugeständnisse machen", da dies der Hamas die Botschaft vermitteln würde "Wenn ihr noch mehr Geiseln tötet, werdet ihr noch mehr Zugeständnisse bekommen“.

Karte Israel, Gazastreifen, Rafah, Philadelphi-Korridor und Netzarim-Korridor

Der Einsatz israelischer Truppen in Philadelphi und Rafah habe die Hamas unter Druck gesetzt und dazu gebracht, einige israelischen Geiseln freizulassen. "Ich habe bereits einen Deal gemacht. Einen, der 150 Geiseln zurückbrachte, 117 lebend", sagte Netanyahu der Presse. Er werde alles dafür tun, auch die verbleibenden Geiseln zurückzubringen. "Aber das Verlassen von Philadelphi bringt die Freilassung der Geiseln nicht voran."

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat einen offiziellen Besuch in der Türkei begonnen. Es ist sein erster seit der Beendigung der jahrelangen Spannungen zwischen den beiden Ländern.

Abdel Fattah al-Sisi und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fanden bezüglich ihrer Haltung zum Krieg im Gazastreifen eine gemeinsame Basis. Beide betonten die Notwendigkeit eines dauerhaften Waffenstillstands und einer garantierten Lieferung humanitärer Hilfe.

Das israelische Militär muss bei der Bekämpfung bewaffneter palästinensischer Gruppen im Westjordanland aus Sicht von Israels Verteidigungsminister Joav Gallant seine "ganze Stärke" einsetzen. "Angesichts des Wiederaufflammens des Terrorismus müssen wir die Terrororganisationen in ganz Judäa und Samaria ausrotten", erklärte Gallant vor Militärvertretern, wobei er die israelische Bezeichnung für das Westjordanland benutzte. 

Die "Terrororganisationen" müssten "ausgelöscht" werden, es gebe keine andere Option, sagte Gallant. "Im Wesentlichen mähen wir den Rasen, aber es wird die Zeit kommen, in der wir auch die Wurzeln ausreißen", führte er aus.  Weiter erklärte Gallant, er habe das Militär angewiesen, wo immer nötig Luftangriffe zu fliegen, um "eine Gefährdung der Soldaten zu vermeiden".  Die israelische Armee geht seit rund einer Woche verstärkt militärisch in dem Palästinensergebiet im Osten des Landes vor.

Außenministerin Annalena Baerbock hat Israels Regierung mit ungewöhnlich deutlichen Worten dazu aufgerufen, sich nicht länger Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung zu verschließen. "Diejenigen Mitglieder der israelischen Regierung, die die Zweistaatenlösung in Wort und Tat infrage stellen, gefährden die langfristige Sicherheit Israels", kritisierte die Grünen-Politikerin vor ihrer Abreise zu Krisengesprächen in Saudi-Arabien, Jordanien und Israel.

"Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung sind die einzige Option für dauerhaften Frieden. Nur so wird der Terrorismus dauerhaft zu bekämpfen sein", fügte sie hinzu. Mit dem Begriff Zweistaatenlösung ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert.

Seit Beginn einer israelischen Militäraktion in der vergangenen Woche im nördlichen Westjordanland sind palästinensischen Angaben zufolge 33 Menschen getötet und 140 weitere verletzt worden. Unter den Toten seien sieben Minderjährige, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit. 19 Palästinenser seien allein in der Stadt Dschenin ums Leben gekommen. 

Berichten zufolge soll es sich bei vielen der Opfer um Militante handeln, bei einigen aber auch um Zivilisten. Israels Armee bestätigte die Zahl der Getöteten zunächst nicht. Israel hatte vergangene Woche eine Militäraktion im nördlichen Westjordanland begonnen. Die Armee begründete das Vorgehen mit der deutlich gestiegenen Anzahl von Anschlägen auf Israelis. Ziel sei es, gegen die Hamas sowie den Islamischen Dschihad vorzugehen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF hat eine positive Bilanz der ersten Phase der Polio-Impfkampagne im Gazastreifen gezogen. Vom 1. bis zum 3. September seien mehr als 189.000 Kinder im zentralen Teil des Palästinensergebiets gegen Polio geimpft worden, teilte die UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika, Adele Khodr, in Jordaniens Hauptstadt Amman mit. Damit sei das ursprüngliche Ziel sogar übertroffen worden.

Gestern hatte bereits die Weltgesundheitsorganisation WHO gemeldet, dass die Kampagne schneller vorankommt als erwartet. Mehr als 161.000 Kinder unter zehn Jahren seien in den ersten beiden Tagen im zentralen Gazastreifen gegen das Virus geimpft worden, so der WHO-Beauftragte für die Palästinensergebiete, Rik Peeperkorn. Das Ziel für die beiden ersten Tage der Impfkampagne seien 150.000 Jungen und Mädchen gewesen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock reist am Abend erneut in den Nahen Osten, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin mitteilt. Geplant sind demnach Stationen in Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und den palästinensischen Gebieten im Westjordanland.

Bei ihren Gesprächen gehe es "um die dramatische Lage in der Region", sagt die Sprecherin. Ziel sei nach wie vor die Herstellung einer Waffenruhe im Gazastreifen, um dann auch die verbliebenen Geiseln freizubekommen. Zudem müsse eine drohende Eskalation der Lage im Westjordanland verhindert werden. Es sei bereits die neunte Reise Baerbocks nach Israel und die elfte in die Region seit dem 7. Oktober 2023, als das Hamas-Massaker in Israel den Gaza-Krieg auslöste.

Die gegenseitigen Angriffe der Hisbollah-Miliz im Libanon und der israelischen Armee im Grenzgebiet der beiden Länder dauern an. Israels Armee registrierte eigenen Angaben zufolge rund 65 Geschosse, die aus dem Libanon abgefeuert wurden und auf israelisches Gebiet flogen. Einige wurden demnach abgefangen, andere fielen auf offenes Gelände. 

Auch in der Gegend um Kiriat Schmona seien mehrere Geschosse niedergegangen, hieß es in einer Erklärung der Armee weiter. Israelische Medien meldeten Schäden unter anderem an einem Haus in dem Ort. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht. Die Hisbollah reklamierte mehrere Angriffe für sich. Durch herabfallende Geschosse wurden zudem mehrere Brände entfacht, teilte die israelische Armee weiter mit.

Die libanesische Staatsagentur NNA meldete israelische Luftangriffe auf Ziele in mehreren Orten im Süden des Landes. Laut dem libanesischen Gesundheitsministerium wurden bei israelischen Angriffen eine Frau getötet und zwei weitere Menschen verletzt, unter ihnen ein zwölfjähriges Kind. In der Nacht zuvor hatten zwei Menschen bei den Angriffen Verletzungen erlitten. 

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir hat das Ende der Gespräche mit der Hamas über eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen gefordert - und damit den Druck auf Ministerpräsident Benjamin Netanyahu weiter erhöht. "Ein Land, dessen sechs Geiseln kaltblütig ermordet werden, verhandelt nicht mit den Mördern", schrieb Ben-Gvir am Mittwoch im Onlinedienst X. "Es beendet die Gespräche, stoppt den Transfer von Treibstoff und Strom und zerschlägt sie, bis sie zusammenbrechen."

Ben-Gvir und der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich sind wichtige Koalitionspartner in Netanyahus rechtsreligiöser Regierung. Indirekte Verhandlungen mit der militant-islamistischen Hamas lehnen sie vehement ab. Stattdessen ist aus ihrer Sicht eine Fortsetzung des Krieges im Gazastreifen der einzige Weg, um die dort herrschende Palästinenserorganisation zu vernichten. 

Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid hat sich für eine Friedenslösung im Gaza-Krieg ausgesprochen. "Die Beendigung des Krieges liegt im Interesse Israels", schrieb Lapid auf der Plattform X. Er forderte ein Abkommen mit der Hamas, das auch die Freilassung der noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln vorsieht. 

Israels Oppositionschef forderte zugleich einen Führungswechsel. "Solange diese Regierung existiert, wird der Krieg weitergehen." Sie wolle keinen Frieden, monierte Lapid. Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hatte zuvor mitgeteilt, daran zu arbeiten, die indirekten Verhandlungen mit der Hamas über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zu beenden. Das Land solle nicht mit Mördern verhandeln, forderte er. 

Dutzende Familienangehörige und Unterstützer der von der Hamas verschleppten Geiseln haben am Morgen vor dem Hauptquartier von Benjamin Netanyahus Likud-Partei in Tel Aviv demonstriert. Sie forderten die Regierung auf, ein Abkommen zu erzielen und die Geiseln lebend nach Hause zu bringen. Das berichtete die Times of Israel.

Die Demonstrierenden hätten demnach ein großes Banner hochgehalten mit der Aufschrift: "Das Kabinett des Todes tötet die Geiseln. Das Volk fordert, dass sie lebendig zurückkehren."

Auf Bildern war zu sehen, dass sie auch Plakate mit den Gesichtern von sechs Geiseln hochhielten, die vergangene Woche nach israelischen Angaben von der Hamas ermordet wurden, kurz bevor die israelische Armee sie erreichte.

Zwei frühere Mitglieder des israelischen Kriegskabinetts haben die Behauptung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zurückgewiesen, dass Israel die Grenze des Gazastreifens mit Ägypten - den sogenannten Philadelphi-Korridor - kontrollieren müsse. Der frühere Verteidigungsminister und Generalstabschef Benny Gantz sagte, Israel solle sich darauf konzentrieren, die noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln sicher nach Hause zu holen. Die militant-islamistische Hamas forderte einen israelischen Abzug aus dem Gebiet als Voraussetzung für ein mögliches Abkommen.

Gantz sagte bei einer Pressekonferenz, "Philadelphi ist eine operative Herausforderung, keine existenzielle Bedrohung. Wir müssen die Geiseln zurückholen, selbst zu einem hohen Preis." An der Seite von Gantz befand sich der frühere Militärchef Gadi Eisenkot, ein politischer Verbündeter von Gantz. Beide Männer waren im Juni aus dem Kriegskabinett zurückgetreten.

Das US-Justizministerium will im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober juristisch gegen den Hamas-Anführer Jihia al-Sinwar und andere ranghohe Extremisten vorgehen. Es handelt sich um den ersten Versuch der US-Justiz, die Verantwortlichen für die Massaker zur Rechenschaft zu ziehen.

Zu den sieben Punkten, die den Extremisten in einer bei einem Bundesgericht in New York eingereichten Strafanzeige zur Last gelegt werden, gehört die Verschwörung zur Unterstützung einer ausländischen Terrororganisation, zur Ermordung von US-Bürgern sowie zur Nutzung von Massenvernichtungswaffen mit tödlichen Folgen, darunter Raketen, die bei der Attacke genutzt wurden. Das geht aus der nach monatelanger Geheimhaltung nun freigegebenen Klageschrift hervor.

Angesichts der Tatsache, dass sich Sinwar mutmaßlich in Tunneln im Gazastreifen verborgen hält, hat das Vorgehen des Justizministeriums zunächst eher Symbolcharakter.

Erneut sind in Tel Aviv Menschen auf die Straße gegangen, um einen Deal mit der Hamas zur Freilassung der Geiseln zu fordern. Die Impfkampagne gegen Polio in Gaza läuft laut WHO besser als erwartet. Die Entwicklungen vom Dienstag zum Nachlesen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 04. September 2024 um 07:05 Uhr.