Konflikte in Unternehmen Warum das Homeoffice umstritten bleibt
Mobiles Arbeiten gehört inzwischen in den meisten Firmen zum Alltag. Gewerkschaften und Betriebe sind dabei aber nicht immer auf der gleichen Wellenlänge. Es wird um Pflichten und Regeln gerungen.
Für die Gewerkschaften ist es ein Reizthema: Gesetzliche Regeln zum Homeoffice gibt es kaum. Büromaterial und IT-Kosten zahlen die Beschäftigten oft selbst. Astrid Schmidt von der Bundeszentrale bei ver.di findet die Behauptung zynisch, im Homeoffice werde nicht gearbeitet: "Gerade auch angesichts dessen, was viele Beschäftigte in der Pandemie geleistet haben. Die haben den Betrieb am Laufen gehalten. Das kann man nicht zurückdrehen."
Ausgerechnet bei den größten amerikanischen IT-Unternehmen wie Amazon, Microsoft oder Zoom werden die Beschäftigten wieder weitgehend ins Büro zurückgerufen. Selbst mit Kündigungen wird gedroht. Tesla-Chef Elon Musk nennt das Homeoffice sogar "moralisch falsch".
Immer öfter ein Fall für Gerichte
Beim Allianz-Konzern ist die Situation eskaliert. Das Landesarbeitsgericht München gab in diesem Fall einem Betriebsrat erst einmal recht: Dass die Chefetage einfach die Rückkehr vorschreibt, ist nicht möglich.
Simone Wohlmut, ehemalige Betriebsratsvorsitzende bei der Allianz SE Rückversicherung, sieht Willkür beim Allianz-Konzern: "Als Mitarbeiter hätte es beispielsweise passieren können, dass man kurzfristig vom Chef ins Büro gerufen wird, anstatt sein Kind wie geplant aus der Kita abzuholen. Und daher musste der Betriebsrat vor das Arbeitsgericht ziehen, weil die Allianz eine einseitige Anordnung getroffen hat."
"Unternehmen ist ein sozialer Ort"
Bei Unternehmertreffen gibt es aktuell viel Gesprächsbedarf. Das Homeoffice zumindest teilweise wieder aufzugeben - darüber wird auch auf höchster Ebene der Wirtschaftsverbände diskutiert.
Man müsse schon ein attraktiver Arbeitsgeber sein, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. "Aber der attraktive Arbeitgeber ist doch keiner, der den Beschäftigten hinterherläuft." Das Ganze sei "auch eine Elitendiskussion. Es ist eine Diskussion von Menschen, die sich vorstellen können, dass es zu Hause immer schöner ist als im Unternehmen. Aber sie vergessen dabei, dass ein Unternehmen ein sozialer Ort ist und die Sozialisierung des Lebens findet überwiegend dort statt."
Betriebsvereinbarungen nötig
Bei der Sparkasse Saarbrücken gilt für drei Tage in der Woche Anwesenheitspflicht. Zwei Tage kann zu Hause gearbeitet werden. Das hatte man mit einer Betriebsvereinbarung schon vor Corona eingeführt und ist damit gut gefahren. Dem Umsatz hat es nicht geschadet.
Für Frank Saar, den Vorstandsvorsitzenden, ist eindeutig zu erkennen, dass es keinen Rückgang der Produktivität dadurch gibt: "Ganz im Gegenteil, das mobile Arbeiten und die Flexibilität hilft, die Produktivität zu verbessern."
Homeoffice auch im Handwerk möglich
Tatsächlich ist mehr möglich als viele glauben, wenn die Unternehmen dafür offen sind. Mathias Becker will in seinem auf Arbeitsschutz spezialisierten Unternehmen in Saarlouis allen Beschäftigten mehr Flexibilität geben, nicht nur den Bürokräften. Und damit auch gute Leute an die Firma binden.
Seine Elektriker bekommen zum Beispiel die Kundentermine aufs Handy. Prüfberichte können dann zu Hause geschrieben werden. Für ihn ist klar, dass ein modernes Unternehmen durch den Fachkräftemangel langfristig nur überlebt, wenn digitale Möglichkeiten genutzt werden, und seine Mitarbeitenden wünschen sich das.
Auswirkungen auf Büroimmobilien
Für große und kleine Unternehmen hat das auch finanzielle Vorteile. Sie brauchen langfristig erheblich weniger Bürofläche. Auch bei der Sparkasse Saarbrücken ist dieser Trend klar zu erkennen und reduziert deutlich die Kosten. Immerhin 30 Prozent der Fläche werden nicht mehr benötigt. Fremd gemietet Büros werden nun aufgegeben, was viel Geld spart.
Im Rathaus in Calw wird die Chance für eine komplett neue Struktur genutzt. Oberbürgermeister Florian Kling hat für die Verwaltung eine elektronische Akte eingeführt. Jetzt will er auch die traditionellen Büros abschaffen. Er fängt damit bei sich selbst und den engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Es soll nur noch flexible Büroräume geben. Wer nicht im Homeoffice arbeitet, sucht sich nun jeden Morgen einen Tisch, an dem er arbeiten kann.
"Beteiligung ist wichtig"
Mit dem Umbau will Kling den öffentlichen Dienst für junge Bewerberinnen und Bewerber attraktiver machen. Im Rathaus rechnen sie damit, dass in den nächsten vier Jahren ein Drittel der Beschäftigten in den Ruhestand geht. Einen Königsweg, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, gibt es nicht.
Aber eines erfährt Astrid Schmidt, Referentin für "Innovation und gute Arbeit" in der Bundeszentrale von ver.di, immer wieder. "Die wenigsten Menschen wollen jeden Tag von Zuhause aus arbeiten. Die meisten wollen zwei bis drei Tage die Möglichkeit haben, mobil zu arbeiten und möchten den Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen haben. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man auf Beteiligungen setzt, dass man alle diejenigen, die am Ende unter den jeweiligen Konzepten arbeiten, auch einbezieht."
Ergänzung (Stand 27. Oktober 2023):
Der Allianz-Konzern teilt zu den Vorwürfen der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Simone Wohlmut mit: "Der mögliche Eindruck, dass Vorgesetzte der Allianz Reinsurance willkürlich und kurzfristig Mitarbeitende aufgefordert hätten, ins Büro zu kommen, und damit eine Tagesplanung unmöglich gemacht hätten, ist falsch. Die Allianz Reinsurance hatte vielmehr ihre Mitarbeitenden aufgefordert, an in der Regel lediglich einem Arbeitstag pro Woche / vier Arbeitstagen pro Monat das Büro aufzusuchen. Die Wahl des Wochentages sollte in Abstimmung mit dem übrigen Team und der Führungskraft festgelegt werden. Aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts ergibt sich, dass bei Bestehen einer Betriebsvereinbarung (in diesem Fall aus dem Jahr 2016) auch Veränderungen zum Vorteil der Arbeitnehmenden zuvor im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung verhandelt und vereinbart werden müssen. Die Geschäftsleitung der Allianz SE Reinsurance hatte dem Sozialpartner bereits seit Februar 2022 angeboten, eine neue Betriebsvereinbarung zu beraten und abzuschließen."