Arbeitsmarkt Mit mehr Inklusion gegen den Fachkräftemangel
Körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen bleiben auf dem Arbeitsmarkt häufig unberücksichtigt. Dabei wäre mehr Inklusion eine echte Chance gegen den Fachkräftemangel. Eine Gesetzesänderung soll Abhilfe schaffen.
Für Thorsten Franz steht heute ein Großauftrag an: 3,5 Tonnen wiegt die Lieferung am Ende. Dafür hat er anderthalb Tage Zeit. Der 24-Jährige arbeitet als Lagerist bei Steinigke Showtechnic in Waldbüttelbrunn bei Würzburg. Nach fünf Jahren im Betrieb ist der Auftrag für den Großkunden Routine für ihn - trotz seiner Lerneinschränkung.
Nach der Förderschule war für ihn schnell klar: "Für die Werkstatt war ich zu fit." Sein Ziel: der erste Arbeitsmarkt. Dank einer Berufsqualifizierungs-Maßnahme hat er diesen Schritt geschafft. Damit ist der 24-Jährige einer von ganz wenigen. Nur etwa ein Drittel der schwerbehinderten Menschen im erwerbsfähigen Alter ist bei einem Unternehmen beschäftigt, also rund 1,1 Millionen.
Wenige Menschen mit Handicap am ersten Arbeitsmarkt
Laut aktuellem Inklusionsbarometer, das die "Aktion Mensch" jährlich in Auftrag gibt, liegt der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den arbeitssuchend gemeldeten Menschen mit Behinderung bei rund 46 Prozent. Das sind zwar weniger Arbeitslose als im Vorjahr; allerdings liegt der Vergleichswert bei Menschen ohne Behinderung nur bei 34,6 Prozent.
Für das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist das nicht nachvollziehbar: "Für den Arbeitsmarkt sind Menschen mit Behinderungen eine unverzichtbare Stütze, das ist unstrittig." Denn schwerbehinderte Menschen seien häufig gut qualifiziert.
Beratungsangebote für Arbeitgeber
"Ein großer Anteil der Arbeitgeber ist skeptisch oder vorsichtig. Oder hat sich noch nicht näher mit der Option befasst, Menschen mit Behinderung anzustellen", sagt Susanne Niederhammer. Sie leitet den Integrationsfachdienst (ifd) in Würzburg. Hier ist auch eine der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) angesiedelt.
Solche Ansprechstellen sind seit 2022 bundesweit gesetzlich vorgeschrieben, damit sich Arbeitgeber dort zu mehr Inklusion im eigenen Betrieb beraten lassen können. Da ist nämlich noch Luft nach oben, wie aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Bisher kommt die Inklusion am Arbeitsplatz nur schleppend voran.
Ausgleichsabgabe seit dem 1. Januar erhöht
Denn eigentlich müssen bei Arbeitgebern mit mehr als 20 Angestellten mindestens fünf Prozent der Belegschaft Menschen mit Schwerbehinderung sein. Deutschlandweit schaffen das nicht einmal 40 Prozent der Arbeitgeber. Der Rest muss die sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen - bis zu 360 Euro pro Monat je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz.
Neu ist seit Januar dieses Jahres: Wer überhaupt niemanden mit einer Schwerbehinderung angestellt hat, zahlt ab sofort doppelt so viel Ausgleichsabgabe, nämlich 720 Euro. Doch zeigt dies Wirkung?
Fachleute kritisieren Gesetz
"Grundsätzlich wird die Gesetzesänderung das Problem nicht lösen. Betriebe, die sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt haben, ärgern sich über die Beitragserhöhung, das Thema kriegt eher einen negativen Touch - und am Ende öffnen sie sich trotzdem nicht für mehr Inklusion", befürchtet ifd-Chefin Niederhammer.
Auch die "Aktion Mensch" sieht Nachbesserungsbedarf und schreibt im aktuellen Inklusionsbarometer: "Jedes vierte Unternehmen, das eigentlich müsste, beschäftigt gar keinen Menschen mit Behinderung, sondern zahlt lieber die Ausgleichsabgabe." Die Beschäftigungsquote liege bei 4,5 Prozent, also unter den geforderten fünf Prozent.
Beratung, Weiterbildung, Vermittlung
Echte Lösungen wären dagegen für Niederhammer mehr Beratungsangebote für Betriebe, mehr Weiterbildungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderung und eine bessere Vermittlung zwischen beiden.
Die erste Palette hat Thorsten mittlerweile fertig bepackt. Hier ist man froh, den 24-Jährigen zu haben, sagt René Wehrmann, der den Logistikbereich leitet. "Wir gucken: Wie läuft die Probezeit? Wie passt er ins Team? Zeugnisse sind eher zweitrangig." Thorsten arbeitet zuverlässig und eigenständig - ihm wurde deshalb sogar eine Ausbildung zum Fachlageristen im Betrieb angeboten.