Suche nach Fachkräften Wohnungsnot als zusätzliche Jobbremse
Oft liegt es nicht an Gehalt oder Arbeitsbedingungen, wenn Bewerber einer Firma absagen - sondern daran, dass sie keine Wohnung finden. Viele Unternehmer reagieren darauf mit einer "Renaissance der Werkswohnungen".
Matthias Ganter sitzt in seinem Büro in Traben-Trarbach und telefoniert. Am anderen Ende der Leitung hat er die deutsche Schule in Madagaskar. Ganter hört sich nach neuen Azubis um. "Wir haben über einen privaten Kontakt beste Verbindungen in den Inselstaat an der südostafrikanischen Küste. Wir brauchen die jungen Leute dort hier für unseren Betrieb. Ohne sie und andere ausländische Arbeitskräfte hätten wir ein Problem."
Ganter ist Chef des Jugendstilhotels "Bellevue" und führt noch ein weiteres Hotel in Traben-Trarbach. Er kann den Azubis aber nicht nur Ausbildung und Jobs anbieten, sondern auch Wohnungen.
"Müssen international attraktiv sein"
Vor drei Jahren hat Ganter ein Haus in Traben-Trarbach gekauft und saniert. Den Umbau hat er allein finanziert. Jetzt wohnen dort acht ausländische Azubis in möblierten Mitarbeiterwohnungen. "Sie zahlen 330 Euro und alles ist drin: Strom, Heizung und WLAN. Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Ohne diese Unterkünfte hätten die jungen Leute Schwierigkeiten, eine eigene Unterkunft in der Region zu finden", erklärt Ganter.
Traben-Trarbach sei bei den Mietpreisen natürlich nicht mit München oder Hamburg vergleichbar, sagt der Hotelchef. Aber auch in dem Moselstädtchen werde Wohnraum immer knapper. Zudem würden viele Wohnungen verstärkt an Touristen vermietet, beobachtet Ganter.
Bei ihm kommen die Azubis je nach Lehrjahr auf 880 bis 1.040 Euro netto plus Trinkgelder. Das würde zwar auch für eine kleine Wohnung reichen, erzählt Ganter. "Aber wir müssen auch international attraktiv sein, damit junge Menschen zu uns nach Traben-Trarbach kommen. Wir stehen auch in einem internationalen Wettbewerb um die besten Leute für unsere Branche", schildert der Hotelier.
Unternehmen denken beim Wohnraum um
Ein anderer Ort, die gleiche Vorgehensweise: Im hessischen Kiedrich errichtet die Unternehmensgruppe Gemünden/Molitor ein eigenes Hotel. Im nächsten Jahr soll der erste Bauabschnitt komplett fertig sein. Neben dem Hotelgebäude entsteht auch ein Haus für bis zu 30 Mitarbeiter mit eigenen Pkw-Stellplätzen. "Im Rhein-Main-Gebiet sind die Mieten hoch. Kiedrich liegt in einer ländlichen Region. Da ist es für die Beschäftigten schwer, eine günstige Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu finden", erklärt Geschäftsführer Tim Gemünden das Projekt.
Die Baufirma hat bereits seit Jahren eigene Werkswohnungen. "Viele Kollegen kommen aus dem Ausland, arbeiten hier und pendeln auch zu ihren Familien. Deshalb bieten wir die Unterkünfte schon lange an", erzählt Gemünden, der ein Umdenken bei einigen Unternehmen bezüglich Mitarbeiterwohnungen beobachtet. "Gute Arbeitgeber fangen mit dem Bau selbst an oder denken ernsthaft darüber nach. Der Wohnungsmangel ist ein zusätzlicher Standortnachteil im Werben um Fach- und Arbeitskräfte geworden."
Risiko für Standort
Viele Unternehmen sehen sich mit wachsenden Problemen bei der Suche nach Fachkräften konfrontiert - gerade in Ballungsräumen, wie Ingeborg Esser sagt. Sie ist Hauptgeschäftsführerin beim Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW). "Einerseits geht es um Polizisten und Klinikmitarbeiter im Schichtbetrieb, ortsnahes und bezahlbares Wohnen für sie ist kaum noch zu finanzieren. Andererseits findet auch die Industrie bei Großprojekten nicht mehr genügend Wohnraum für ihre Beschäftigten - selbst in der Fläche."
Die Lage verschärfe sich seit fünf Jahren spürbar. Als Lösung fordert Ingeborg Esser mehr Anreize für Firmen, in Wohnraum zu investieren. Sie denkt dabei unter anderem an Sonderabschreibungen, oder Grundstücke für die Bebauung zur Verfügung zu stellen. "Die Bundesbauministerin hat das Thema ins Visier genommen. An konkreten Maßnahmen hapert es aber", sagt Esser.
Die Hauptgeschäftsführerin lobt dagegen eine Initiative aus Baden-Württemberg: Das Land hat mit einer Förderrichtlinie auf die Krise reagiert. Die Landesbank hat hier Mittel mit einem Gesamtvolumen von rund 33 Millionen Euro zugesagt. Immerhin wurden so 430 Mitarbeiterwohnungen genehmigt. Sie sind aber noch nicht fertiggestellt. Die Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) spricht aufgrund des absehbar dauerhaften Mangels von einem hohen "Gefährdungsrisiko für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg".
Rahmenbedingungen stimmen nicht mehr
"Die Werkswohnungen erleben eine Renaissance", sagt Simon Wieland von "Regiokontext". Das Berliner Institut analysiert den Wohnungsmarkt und berät die öffentliche Hand, Arbeitgeber und die Wohnungswirtschaft unter anderem zum Mitarbeiterwohnen. Es sei schwierig, den Neubau von Firmen für ihre Beschäftigten zahlenmäßig zu erfassen. Wieland schätzt aber, dass jährlich etwa 10.000 Wohnungen gebaut werden.
Fachleute schätzen den Mangel an Wohnraum in Deutschland auf mindestens 800.000 Wohnungen. Um mehr günstigen Wohnraum zu schaffen, hat sich die Ampelkoalition auf ein neues Gesetz zur sogenannten Wohngemeinnützigkeit verständigt. Stimmt der Bundesrat zu, soll das Gesetz Anfang 2025 in Kraft treten.
Das Gesetz hat zum Ziel, den gemeinwohlorientierten Wohnungsbau zu unterstützen. Stellt etwa ein Unternehmen Werkswohnungen vergünstigt zur Verfügung, soll es im Gegenzug Steuererleichterungen erhalten. Wieland ist aber skeptisch: "Das wird sicher kein Turbo beim Mitarbeiterwohnen auslösen. Die Rahmenbedingungen am Markt stimmen nicht mehr. Auch Firmen haben die gleichen Probleme am Immobilienmarkt wie Investoren oder private Bauherren. Das sind bekannte Dilemmata."
Kreditangebot und Bürokratie als Bremsen
Auf die Frage nach den Zukunftsaussichten beim Arbeits- und Wohnungsmarkt spricht Bauunternehmer Gemünden von einem "Drama". Ein Grund für die Krise in der Immobilienwirtschaft sind für ihn die strengen Auflagen für die Banken bei der Vergabe von Immobilienkrediten: "Selbst Gutverdiener haben deshalb kaum noch Chancen auf einen Kredit. Sie bleiben dann in Mietwohnungen, können steigende Mieten zahlen und treiben so den Mietspiegel in die Höhe", erklärt Gemünden. Das Nachsehen hätten Gering- und Normalverdiener.
Aber was könnte kurzfristig helfen? Für Tim Gemünden ist Bürokratie ein zentrales Problem: "Bei einer Gesamtinvestition von zehn Millionen Euro machen bürokratiebedingte Faktoren wie Gutachten oder Verzögerungen bei der Baurechtschaffung und die daraus resultierenden Kosten 12 Prozent aus. Das sind 1,2 Millionen Euro - für Papier", rechnet Gemünden vor. Das würde in der Folge zu Mietsteigerungen für die Bewohner führen - was viele Menschen vor weitere Problem stelle.