BGH-Urteil zur Access-Provider-Haftung Ja zu Sperren - aber als allerletzter Schritt
Können Internetprovider wie die Telekom verpflichtet werden, Piraterie-Websites zu sperren? Im Notfall ja, hat der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil entschieden. Aber was bedeutet das genau? Details und Einschätzungen.
Was hat der Bundesgerichtshof entschieden?
Access-Provider stellen ihren Kunden den Zugang zum Internet zur Verfügung. Die illegalen Inhalte auf einzelnen Seiten im WWW stammen nicht von ihnen, sie haben die Urheberrechtsverletzungen nicht begangen.
Dennoch hat der BGH heute entschieden: Grundsätzlich können die Rechteinhaber auch den Access-Provider in Anspruch nehmen, der dann den Zugang zu den rechtswidrigen Inhalten sperren muss. Wichtig: Das darf aber nicht der erste, sondern nur der letzte Schritt sein. Wer in seinen Rechten verletzt wurde, muss sich erst einmal an den Betreiber der Internetseite und den "Host-Provider" wenden, der den Speicherplatz für die Inhalte zur Verfügung stellt. Diese seien ja viel näher an der Rechtsverletzung dran als der Provider, der nur den Zugang zum Internet vermittelt, sagen die Richter.
Dabei darf man sich auch nicht zu schnell zufriedengeben, wenn es nicht klappt, betont der BGH. In zumutbarem Umfang müssen Musik- und Filmindustrie selbst Nachforschungen anstellen, wer hinter der Rechtsverletzung stecken könnte, zum Beispiel: eine Detektei beauftragen, ein auf solche Ermittlungen spezialisiertes Unternehmen einschalten, die staatlichen Ermittlungsbehörden ins Boot holen, also zum Beispiel Anzeige erstatten.
Der BGH hat also eine Art "To-do-Liste" aufgestellt, die man abarbeiten muss. Wenn das alles scheitert, erst dann kann man den Access-Provider in Anspruch nehmen. Andernfalls gäbe es eine "Rechtsschutzlücke".
Wer haftet wofür im Internet?
Grundsätzlich gilt der schon oft gehörte Satz: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum." Das heißt: Wer im Internet Straftaten begeht, zum Beispiel Beleidigungen oder auch Urheberrechtsverletzungen, kann dafür strafrechtlich belangt werden. Daneben haftet er auch zivilrechtlich. Er muss also unter Umständen Schadensersatz zahlen und ähnliche Verstöße unterlassen. Und: Natürlich muss er auch die Inhalte aus dem Internet entfernen.
Rechtlich umstritten und in vielen Einzelfällen diskutiert war bislang die Frage, inwieweit Betroffene (zum Beispiel von Urheberrechtsverletzungen) auch gegen Diensteanbieter - also die unterschiedlichen Provider im Internet - vorgehen können.
Welche Provider gibt es?
Grob gesagt lassen sich drei verschiedene Formen unterscheiden, in denen ein Provider im Internet in Erscheinung tritt. Der Content-Provider stellt eigene Inhalte im Internet zur Verfügung. Der Host-Provider stellt anderen Personen auf einem Server Speicherplatz zur Verfügung, damit diese eigene Inhalte ins Netz einstellen können.
Der Access-Provider hingegen gewährt Internetnutzern lediglich den Zugang zum WWW. T-Online, 1&1 oder O2 sind zum Beispiel in erster Linie solche Access-Provider.
Was sagt das Gesetz zur Haftung der Provider?
Im sogenannten Telemediengesetz (TMG) heißt es in Paragraf 7, dass Diensteanbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sind. Also: Content-Provider haften vollumfänglich, weil es um ihre eigenen Inhalte geht. Übrigens auch, wenn sie sich fremde Inhalte zu eigen machen und dabei Urheberrechtsverletzungen begehen.
In Paragraf 8 des TMG heißt es, dass Diensteanbieter für fremde Informationen nicht verantwortlich sind. Sie müssen nach Paragraf 7 die übermittelten oder gespeicherten Daten auch nicht ständig auf Rechtsverstöße hin überprüfen. Soweit, so klar.
Allerdings, so heißt es weiter im Gesetz: Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen bleiben auch bei Nichtverantwortlichkeit unberührt.
Was heißt das konkret?
Der Host-Provider haftet grundsätzlich nicht für fremde Inhalte auf seinem Server und muss auch nicht ohne Anlass überprüfen, ob dort Rechtsverstöße geschehen. Wenn Host-Provider aber Kenntnis von den Rechtsverstößen bekommen, so müssen sie, einfach gesagt, sofort handeln. Sie müssen die Inhalte entfernen oder den Zugang zu ihnen sperren. Jedenfalls, wenn ihnen das zumutbar und technisch möglich ist. Und sie müssen die Wiederholungen dieser Rechtsverstöße auch in der Zukunft verhindern. Diese Grundsätze gelten auch für Blogs, Internetforen und soziale Netzwerke.
Hoch umstritten war bislang, ob dieselben Regeln auch für die Access-Provider gelten. Also: Müssen T-Online, 1&1 und Co. Seiten im Internet sperren, wenn sie erfahren, dass dort illegale Inhalte bereitgestellt werden? Klar ist: Sie sind nicht verantwortlich für die Inhalte. Sie können diese auch nicht selber löschen, weil sie in diesen Fällen nicht Host-Provider sind, also die Inhalte nicht auf ihren Servern gespeichert sind. Sie ermöglichen ihren Kunden lediglich den Zugang zum unbegrenzten Netz.
Geklagt hatte unter anderem die GEMA gegen die Deutsche Telekom. Sie verlangt die Sperrung einer Internetseite, über die auf eine Sammlung von urheberrechtlich geschützter Musik zugegriffen werden kann.
Wie argumentierte die GEMA vor Gericht?
Die GEMA meinte, dass sie für die von ihnen vertretenen Komponisten, Textdichter und Musikverleger alles versuchen muss, um der Urheberrechtsverletzungen im Internet Herr zu werden. Viele Betreiber von Websites würden sich jedoch irgendwo im Ausland aufhalten, die Server seien in der Welt verstreut. Deshalb sei es sehr schwer oder gar unmöglich, gegen die Urheberrechtsverletzer selbst vorzugehen. Einzige Möglichkeit deshalb: Die "Tür zumauern", also die Seite sperren zu lassen. Und das sei Access-Providern auch zumutbar und technisch möglich.
Was entgegnete die Telekom?
Die Telekom verweigerte eine Sperrung bestimmter Internetseiten. Dies sei praktisch keine vernünftige Lösung, weil zum einen Sperren immer umgangen werden könnten. Zum anderen bestehe dabei die Gefahr, dass die Sperrmaßnahmen auch unkritische Inhalte erfassten.
Durch eine Sperrung seien Grundrechte der Kunden betroffen. Deshalb sei für eine Sperrung ein ausdrückliches Gesetz erforderlich, das es in Deutschland nicht gibt. Der Telekom sei aufgrund dessen die Löschung nicht zumutbar.
Auch bei jugendgefährdenden oder strafbaren Inhalten, wie kinderpornografischem Material, werde seit Jahren das Prinzip "Löschen statt Sperren" angewendet. Es sei etwas aufwendiger, aber die GEMA und andere Geschädigte müssten sich an die Content- oder Host-Provider wenden, um die Inhalte löschen zu lassen.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Die Richter in Karlsruhe erkennen an, dass es bestimmte Fälle gibt, in denen es für die Rechteinhaber nicht möglich ist, die Content- oder Host-Provider zu verklagen. Denn: In vielen Fällen sind die Server in der Welt verstreut, die Verantwortlichen der illegalen Internetseiten sind nicht auffindbar. Die einzige Möglichkeit ist dann die Seiten durch die Access-Provider zu sperren.
Allerdings betonten die Richter auch, dass die Access-Provider am wenigsten für die Rechteverletzungen können. Deshalb dürfen sie nur im äußersten Notfall zu einer Löschung verpflichtet werden, wenn vorher wirklich alles versucht wurde, an die eigentlich Verantwortlichen heranzutreten.
Im konkreten Fall hatten die Rechteinhaber zum Beispiel eine einstweilige Verfügung erwirkt, die aber nicht zugestellt werden konnte. Damit hätte sich die GEMA aber nicht zufrieden geben dürfen, sondern weitere Nachforschungen anstellen müssen, so die Richter.