Prozess gegen Ex-VW-Chef Winterkorn Drei Anklagen - und ein Deal?
Fast neun Jahre nach dem Dieselskandal hat der Prozess gegen den einstigen VW-Vorstandschef Winterkorn begonnen. In dem Verfahren könnte es zu einem Deal kommen. Doch dafür müsste der Manager erst Fehler einräumen.
Es war eine leicht skurrile Situation am Vormittag im Landgericht Braunschweig: Etwa eine halbe Stunde bevor der Prozess gegen den einstigen VW-Vorstandschef Martin Winterkorn beginnen soll, tritt dieser mit seinen Anwälten auf den Gerichtsflur. Fotografen, Kameraleute und Reporter stehen bereit. Winterkorn bleibt ein paar Minuten stehen.
Doch er hat nicht vor, etwas zu sagen. Auf Fragen antwortet er entweder gar nicht oder sehr einsilbig und undeutlich. Winterkorn, der als Top-Manager gern im Rampenlicht stand, will zeigen: Ich verstecke mich nicht. Hier bin ich. "Heute geht es mir gut", ist eine der wenigen Antworten, die er gibt. Auch wenn er danach zunächst gar nicht gefragt wurde. Als ein Journalist wissen möchte, wie er sich erhofft, aus dem Strafprozess wieder herauszukommen, sagt er kurz: "Warten wir's ab." Dann lächelt er und verschwindet wieder mit seinen Anwälten.
Neun Jahre nach Auffliegen des Dieselskandals
Kurz darauf, um 11 Uhr startet der Prozess, auf den viele seit nunmehr fast neun Jahren gewartet haben. Im September 2015 war der VW-Dieselskandal aufgeflogen. Jetzt geht es um die persönliche Schuld von Martin Winterkorn. Dem Mann, der einst zu den mächtigsten und bestbezahlten Managern Deutschlands gehörte. Wofür trägt er die strafrechtliche Verantwortung?
Das Gericht stellt zunächst die Anwesenheit der Beteiligten fest und fragt die Personalien des Angeklagten ab: "Mein Name ist Martin Winterkorn", sagt der 77-Jährige. Diesmal klar und deutlich.
Drei Anklagen in einem Prozess
Dann gehört der erste Prozesstag wie üblich fast komplett den Vertretern der Staatsanwaltschaft. Es geht gleich um drei Anklagen, die das Gericht in diesem Verfahren zusammengezogen hat. Und es dauert viele Stunden bis in den Nachmittag, diese vorzulesen - mit all den Details zum VW-Dieselskandal.
Winterkorn wird gewerbs- und bandenmäßiger Betrug vorgeworfen. Er soll spätestens seit Mai 2014 von dem Einsatz der VW-Schummelsoftware in den USA und im September 2015 auch vom Einsatz in Europa gewusst haben. Als Vorstandsvorsitzender hätte er den Betrug sofort stoppen müssen. Stattdessen habe VW unter seiner Führung weiterverkauft und weiter die Kunden getäuscht.
Außerdem wirft ihm die Staatsanwaltschaft Marktmanipulation vor. Weil er die VW-Aktionäre nicht rechtzeitig informiert habe über den Dieselskandal, bevor die Aktie abstürzte. Als dritter Vorwurf steht die Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages im Raum.
Was wusste Winterkorn?
Bei allen Vorwürfen ist eine Frage zentral: Was wusste Winterkorn von der Schummelsoftware, die VW in rund neun Millionen Autos einbaute? Von der Abschalteinrichtung, die die Autos auf dem Prüfstand sauber erschienen ließ, auch wenn sie das auf der Straße nie einhalten konnten. Zu welchem Zeitpunkt hat Winterkorn davon erfahren?
Er, der promovierte Ingenieur, der sich sehr genau auskannte mit seinen Autos, mit seinen Motoren, der mit autoritärem Führungsstil herrschte und sich alles berichten ließ. Der jedes technische Detail kannte im Konzern, so erzählte man über Winterkorn. Mit diesem Bild wurde gespielt, das gefiel auch Winterkorn selbst.
Verteidigung zeigt sich gelassen
Aber all das reicht im Strafprozess nicht aus. Das Gericht muss am Ende überzeugt sein von der Schuld des Angeklagten, um ihn zu verurteilen. Es muss also in dem Prozess aufklären, wann Winterkorn was erfahren hat.
Am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, will die Verteidigung sich im Verhandlungssaal einlassen, zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen. Einer von Winterkorns Anwälten trat aber auch heute schon vor die Kameras. Rechtsanwalt Felix Dörr erklärte, man sehe dem Verfahren gegen Winterkorn gelassen entgegen: "Wir sind fest davon überzeugt, dass alle Vorwürfe gegen ihn widerlegt werden können."
Winterkorn "nicht der Hauptverantwortliche"
Schon am Morgen verteilt die Verteidigung eine Pressemitteilung und die liest sich, wenn man genau hinschaut, etwas anders. Klar, auch da heißt es: "Unser Mandant hat nicht betrogen und niemanden geschädigt."
Aber es hilft zwischen den Zeilen zu lesen: Winterkorn sei nicht der Hauptverantwortliche, heißt es da zum Beispiel und es sei nicht richtig ihn für das Thema "Dieselmotoren" in allen Facetten verantwortlich zu machen. Man sei zuversichtlich zu einem "guten Ergebnis zu kommen für unseren Mandanten."
Als "Hauptverantwortlicher" ist Winterkorn gar nicht angeklagt. Und was meinen die Verteidiger damit, wenn sie von einem "guten Ergebnis" sprechen? Das Wort Freispruch haben sie offenbar ganz bewusst nicht geschrieben.
Ein Deal ist nicht ausgeschlossen
Am Nachmittag führt der Vorsitzende Richter im Verhandlungssaal aus, welche Gespräche es im Vorfeld des Prozesses zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gegeben hat. Solche Erörterungen erlaubt das Gesetz, das Gericht muss die Öffentlichkeit aber davon in Kenntnis setzen.
Aus den Vermerken zu all den Gesprächen im Vorfeld wird klar: Die Verteidigung könnte sich eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage durchaus vorstellen. Dafür müsste Winterkorn dann jedoch einräumen, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis hatte von der Schummelsoftware. Nicht ausgeschlossen, dass es dazu irgendwann in diesem Verfahren und in der Folge zu einer Zahlung von vielen Millionen durch Winterkorn kommt.
Aber noch ist es nicht soweit. Zumindest die Staatsanwaltschaft war jedenfalls im Vorfeld des Prozesses wohl nicht bereit und so verkündet der vorsitzende Richter: "Das Ergebnis ist: bislang kein Deal."
Gesundheitszustand verschlechterte sich
Ein solcher "Deal", juristisch Verfahrensabsprache genannt, ist möglich, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und das Gericht, die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte einverstanden sind. Möglicherweise könnte bei den Überlegungen der Beteiligten irgendwann auch der Gesundheitszustand von Winterkorn eine Rolle spielen.
Eigentlich sollte er schon seit 2021 auf der Anklagebank sitzen. Mehrere komplizierte Hüftoperationen sorgten aber dafür, dass er damals verhandlungsunfähig war. Deshalb begann der Prozess gegen ihn erst jetzt, fast neun Jahre nach dem Auffliegen des VW-Dieselskandals. 89 Prozesstage hat das Landgericht zunächst angesetzt.