Drei Jahre nach dem Brexit "Ein wirtschaftliches Desaster"
Großbritannien versprach sich nach dem Brexit viel für die heimische Wirtschaft. Doch drei Jahre nach dem Austritt aus der EU ist die Erfolgsbilanz mager. Dieses Jahr dürfte das Land als einzige große Volkswirtschaft in eine Rezession rutschen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) fasst die Bilanz des Brexit als "wirtschaftliches Desaster" für Großbritannien und die EU zusammen. Zum dritten Jahrestag des Brexits findet DIHK-Präsident Peter Adrian keine warmen Worte zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Für deutsche Unternehmen herrsche weiterhin eine erhebliche Planungs- und Rechtsunsicherheit. "So besteht die Gefahr von Handelskonflikten, weil Großbritannien sich vom EU-Austrittsabkommen distanziert."
"Es steht viel auf dem Spiel"
Laut DIHK haben deutsche Unternehmen mehr als 2100 Niederlassungen in Großbritannien und beschäftigen mehr als 400.000 Mitarbeiter. Britische Unternehmen wiederum hätten in Deutschland 1500 Niederlassungen und knapp 300.000 Mitarbeiter. "Es steht für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals viel auf dem Spiel", so Adrian.
Die wirtschaftliche Bilanz des Vereinigten Königreichs drei Jahre nach dem Brexit ist mager. Das lässt sich auch an den Handelszahlen erkennen. "Während Großbritannien im Jahr 2016 noch drittwichtigster Exportmarkt Deutschlands war, ist das Land im Jahr 2022 auf Platz acht abgerutscht", so der DIHK-Präsident. In diesem Jahr könnte das Land laut der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI) sogar erstmals in der jüngeren Geschichte aus den Top Ten der deutschen Handelspartner fallen.
Schneidet schlechter ab als Russland
Während die heute veröffentlichte und nach oben korrigierte Konjunkturprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2023 in großen Teilen der Welt Erleichterung ausgelöst hat, herrscht im Vereinigten Königreich weiter Katerstimmung: So ist Großbritannien die einzige große fortgeschrittene Volkswirtschaft, für die die Ökonomen in diesem Jahr eine Rezession vorhergesagt haben.
Nach Einschätzung der IWF-Experten wird die britische Wirtschaft dieses Jahr nicht wachsen, sondern um 0,6 Prozent schrumpfen. Das Land bildet damit das Schlusslicht in der veröffentlichten IWF-Betrachtung und schneidet selbst schlechter ab als das wegen seines Angriffskriegs auf die Ukraine mit weitgehenden Sanktionen belegte Russland. Hintergrund für die düsteren Aussichten seien die sparsame Steuer- und Geldpolitik und noch immer hohe Energiepreise, die den Geldbeutel der Haushalte belasten.
Mangel an Arbeitskräften
Für die konservative britische Regierung ist die Prognose am dritten Jahrestag des EU-Austritts wenig schmeichelhaft. Das schwache Wachstum sei vor allem auf den Mangel an Arbeitskräften zurückzuführen, sagte der Direktor des Institutes for Fiscal Studies, Paul Johnson, der BBC am Dienstag. Auslöser dafür sei unter anderem der Brexit gewesen, der Einwanderung aus der EU erheblich erschwerte. In vielen Bereichen - etwa der Gastronomie oder der Logistik - fehlen Arbeitskräfte.
Früher wurden diese Berufe von EU-Bürgern ausgeübt. Davon orientierten sich jedoch viele in der Pandemie sowie rund um den Brexit um. Nun ist es wegen kostspieliger Visa nicht mehr ohne weiteres möglich, zum Arbeiten nach Großbritannien zu kommen.
Politische Instabilität verschlechtert die Lage
Der EU-Austritt habe aber auch andere Herausforderungen mit sich gebracht, die das britische Wirtschaftswachstum hemmen, so Paul Johnson. Unter anderem leide die britische Konjunktur unter der politischen Instabilität des Landes in den vergangenen Jahren.
Die IWF-Zahlen zeigten, dass Großbritannien nicht immun sei gegenüber dem Druck, dem fast alle entwickelten Volkswirtschaften ausgesetzt seien, sagte der britische Finanzminister Jeremy Hunt dem Nachrichtensender Sky News. Dabei verwies er auf langfristige Prognosen, wonach Großbritannien schneller wachsen soll als Deutschland und Japan.
Weniger Handelsverträge als erhofft
Doch auch andere Kennzahlen sorgen für Ernüchterung in der britischen Wirtschaft. Eines der zentralen Versprechen des Brexits war die Möglichkeit, als souveräner Staat eigene Handelsverträge frei von EU-Regularien zu schließen. Doch das für den Jahreswechsel selbst gesetzte Ziel hat Großbritannien deutlich verfehlt: Weniger als zwei Drittel des Außenhandelsvolumens sind bislang durch Post-Brexit-Handelsverträge abgedeckt.
Ursprünglich hatte die Regierung in London als Ziel ausgegeben, bis Ende 2022 sollten neue Handelsverträge 80 Prozent ausmachen. Nach den jüngsten verfügbaren offiziellen Zahlen sind bisher aber lediglich 63 Prozent des Außenhandels durch solche Verträge abgedeckt. Die bisher neu verhandelten Verträge etwa mit Australien oder Neuseeland wiegen zudem die schweren Einbußen im Außenhandel mit der EU nicht annähernd auf. Und das erhoffte Freihandelsabkommen mit den USA ist in weiter Ferne.
Exportziele werden wohl verfehlt
Der "Guardian" berichtete vergangene Woche zudem, dass Großbritannien auch seine Exportziele deutlich verfehlen dürfte. Der Wert von Ausfuhren aus dem Vereinigten Königreich werde frühestens 2035 eine Billion Pfund betragen, so die Zeitung unter Berufung auf Aussagen des zuständigen Staatssekretärs Andrew Bowie.
Ex-Premierminister Boris Johnson hatte 2021 angekündigt, dieses Ziel werde 2030 erreicht. Staatssekretär Bowie machte "externe Schocks" wie sinkende globale Nachfrage, schwankende Wechselkurse und die hohe Inflation für die schwachen Zahlen verantwortlich. Den Brexit erwähnte er nicht - im Gegensatz zu Wirtschaftsvertretern.
Exporteure stellen Verkäufe in EU ein
Auch der Anteil kleinerer Unternehmen in Großbritannien, die ins Ausland exportieren, ist nach dem Brexit zurückgegangen. "Einer von acht Exporteuren hat zeitweise oder endgültig seine Verkäufe in die EU eingestellt - und ein weiteres Zehntel erwägt dies", sagte Lucy Monks vom Branchenverband Federation of Small Businesses, der kleinere Firmen und Selbstständige vertritt. Aktuell exportiere noch rund ein Fünftel dieser Unternehmen seine Güter oder Dienstleistungen ins Ausland - dies ist nach Angaben des Verbandes der niedrigste Stand seit Beginn der Pandemie, als Einschränkungen den Handel insgesamt einbrechen ließen.
Boris Glass, leitender Ökonom bei der Rating-Agentur S&P Global, sagte, die zunehmende Bürokratie im Handel zwischen Großbritannien und der EU habe die Wettbewerbsfähigkeit vor allem kleinerer britischer Hersteller beeinträchtigt, da diese weniger Ressourcen hätten, um damit umzugehen.