EU-Austritt Großbritanniens Brexit - welcher Brexit?
Nach dem Brexit-Votum hatten fast alle Experten einen Einbruch der britischen Wirtschaft prophezeit. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Arbeitslosenrate sinkt, die Konjunktur brummt. Aber bleibt das so?
Die Zahl der Arbeitslosengeldempfänger in Großbritannien ist im Juli weiter gesunken. Die Arbeitslosenrate liegt mit 4,9 Prozent auf einem Rekordtief. Die Umsätze des Einzelhandels lagen im Juli fast sechs Prozent über dem Vorjahr. Die neuesten Zahlen zeigen nichts von Brexit-Angst oder -Panik. Im Gegenteil: Die britischen Unternehmen stellen weiter ein, und die Bürger sind ganz offenbar in bester Kauflaune. Brexit? Welcher Brexit?
Dabei hatten fast alle Experten doch so etwas wie den Zusammenbruch der britischen Wirtschaft nach dem Votum für den Ausstieg aus der EU vorhergesagt. Die Aktien der britischen Unternehmen haben sich aber nach einem ersten Absturz längst wieder erholt. Und der niedrigere Wechselkurs des Pfundes hilft der Wirtschaft sogar: Nachdem die britische Währung in den vergangenen Jahren gegenüber dem Euro immer teurer geworden war, sind die Produkte von der Insel auf dem Kontinent jetzt wieder konkurrenzfähiger, und gleichzeitig ist das Land für Touristen vom Festland wieder billiger und damit attraktiver geworden. Vor allem die Schmuckgeschäfte auf der Insel erleben einen Touristenboom.
Unsicherheit über die Zukunft
Also alles gut in Großbritannien nach dem Votum für den Brexit? Nicht wirklich: Es bleibt die Unsicherheit, wie das Leben nach dem Austritt aus der Europäischen Union tatsächlich aussehen wird. Von der Politik in London gibt es dazu bisher so gut wie keine Informationen. Regierung und Parlament verabschiedeten sich erst einmal in die Sommerpause. Die neue Premierministerin Theresa May wandert derzeit in der Schweiz - dort kann sie sich schon mal ein Bild vom Leben außerhalb der EU machen.
Ihr Statthalter, Finanzminister Philip Hammond, gab derweil in London eine Art Subventionsgarantie ab: "Wir wollen nicht nur sicherstellen, dass britische Unternehmen, Universitäten und Bauern Zugang zu den EU-Fördermitteln bekommen, solange wir Mitglied sind. Sondern wir garantieren auch die Übernahme dieser Zahlungen durch die britische Regierung, wenn die Projekte über den Austrittstermin hinauslaufen."
Philip Hammond will britische Förderprojekte auch nach einen EU-Austritt weiter subventionieren.
Das ist das einzig Konkrete, was derzeit aus der britischen Regierung zu hören ist, auch, weil die Regierung in London von der Entscheidung der Bürger vollkommen überrascht wurde und keine Planungen für den Brexit-Fall in der Schublade hatte.
Offene Fragen
Die Zukunft der in Großbritannien lebenden EU-Ausländer? Werden wohl bleiben können, wenn sie jetzt schon auf der Insel wohnen - eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Die Übergabe des Austrittsschreibens in Brüssel? Wohl Anfang kommenden Jahres, vielleicht aber auch später. Zugang zum Europäischen Binnenmarkt auch in Zukunft? Irgendwie ja, vielleicht aber auch nur ein bisschen - die Verhandlungsposition der Briten in Brüssel ist derzeit noch völlig offen, könnte aber unter dem Motto stehen: so viel Binnenmarktzugang und so wenig Freizügigkeit der Arbeitnehmer wie möglich. Wird es in Schottland ein neues Unabhängigkeitsreferendum geben, wenn der Rest des Vereinigten Königreichs aus der EU austritt? Bisher ist das nicht mehr als eine ziemlich vage Drohung aus Edinburgh. In London streiten sich der neue Außenminister und der neue Handelsminister über Zuständigkeiten und Ressourcen.
Die Premierministerin kommt am Mittwoch aus ihrem Urlaub zurück - vielleicht wird es dann konkreter. Eine Hoffnung vieler Europäer hat sich jedenfalls bisher nicht bewahrheitet: Dass viele Briten ihre Entscheidung vom 23. Juni bereuen könnten. Warum auch? Noch spüren sie wenig von den möglichen negativen Folgen eines Brexit.