Großbritanniens Premier vor EU-Gipfel Cameron braucht klare Kürzungen
Der britische Premier Cameron steht zu Hause unter Druck. Die Umfragen sind desaströs, und seine konservativen Abgeordneten immer rebellischer. Gerade beim umstrittenen Thema EU muss er liefern - kommt er ohne Etatkürzungen aus Brüssel zurück, ist seine Zukunft gefährdet.
Von Barbara Wesel, ARD-Hörfunkstudio London
"Das werden sehr schwierige Verhandlungen, und ich will in jedem Fall die bedeutende Kürzung über die wir gesprochen haben" - das versprach David Cameron vor Beginn des entscheidenden EU-Haushaltsgipfels noch einmal im Parlament.
Der britische Premier antwortete damit übrigens einem seiner eigenen Hinterbänkler, das sind die Leute die ihn seit Herbst vergangenen Jahres in der Zange halten: Seine konservativen Abgeordneten, vor allem der EU-feindliche Flügel, zwang ihn damals per Abstimmung zu dem Versprechen, für die Absenkung des europäischen Haushalts auf 886 Milliarden zu kämpfen. Alles andere sei für Großbritannien nicht akzeptabel.
"Diese Regierung nimmt die härteste Linie in den Haushaltsverhandlungen seit jeher ein, seitdem wir der europäischen Union beigetreten sind", tönte Cameron. Am liebsten wolle man ihn kürzen, notfalls einfrieren: "Ich werde mein Veto benutzen, um einen guten Deal für Großbritannien zu bekommen." Und seinen Sprecher ließ er vor dem Beginn der Brüsseler Gespräche noch einmal erklären: Wenn sich nichts bewege, sei ein Deal nicht machbar.
Drohgebärden eines Isolierten
Das sind die üblichen Drohgebärden. Aber seit seiner Europarede vor zwei Wochen ist Cameron isolierter denn je: Er drohte mit dem Austritt seines Landes, wenn die EU sich nicht im britischen Sinne reformieren und ihm einen Sack voller Zugeständnisse mache. So etwas schafft nicht gerade Goodwill bei den Nachbarn.
Cameron hat sich jetzt nicht erneut öffentlich auf eine Zahl fest, aber im Prinzip liegt die britische Forderung noch einmal um rund 100 Milliarden Euro unter einem Kompromissvorschlag, der von EU-Ratschef Van Rompuy erwartet wird - der will versuchen, das Budget unter eine Billion Euro zu drücken. Auch die Deutschen und andere Nettozahler wollen sparen - aber niemand so drastisch wie Cameron. Und eine erneute Diskussion um den leidigen "Britenrabatt" kann er auch nicht zulassen.
Wem soll er es recht machen?
Der Premier steckt in der Zwickmühle: Zeigt er sich in Brüssel kompromissbereit, gibt es eine Palastrevolte bei den Konservativen. Schon seit Wochen kursieren Putschgerüchte. Gibt er seinen euroskeptischen Tories nach und zeigt sich als Hardliner, lässt die Verhandlungen gar platzen, werden sie ihm zujubeln wenn er nach Hause kommt. Das heißt aber nicht, dass sie danach Ruhe geben.
Gerade verpasste ihm dieselbe Gruppe von Abgeordneten eine schallende Ohrfeige bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe: Die Hälfte der Tories stimmte gegen den Gesetzentwurf der Regierung. Camerons Position als Premier und Parteichef wird immer schwächer. Außerdem lahmt die Wirtschaft, die Sparpolitik funktioniert nicht, der Lebensstandard der Briten sinkt, die oppositionelle Labour-Partei liegt in den Umfragen konstant vorn.
Am Ende muss es heißen: "Ich habe gesiegt"
Cameron braucht also unbedingt irgendeine Art von Erfolg in Brüssel. Und der kann nur durch die überragenden Rechen- und Auslegungskünste der von den Briten stets so beschimpften Eurokraten zustande kommen: Zwischen Ermächtigungsrahmen im Haushalt und tatsächlich abgerufenen Mitteln gibt es einen Spielraum. Wenn also etwa übriges Geld in das nächste Haushaltsjahr übertragen würde, könnte der Gesamtansatz sinken.
So oder ähnlich könnten Lösungen aussehen, die auch für den britischen Premier nach außen erträglich scheinen. Für ihn ist es noch wichtiger als für seine Kollegen, nach diesem Gipfel nach Hause zu fahren und behaupten zu können: Ich habe gesiegt.
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.
Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.