Israelische Wirtschaft Nazareth wird zum High-Tech-Standort
Noch immer sind arabische Israelis in der boomenden IT-Branche des Landes unterrepräsentiert. Nazareth, die größte arabische Stadt Israels, will jetzt gezielt High-Tech-Firmen anlocken.
Beim Namen Nazareth denken viele Menschen als erstes an Religion, an die Bibel und an Jesus Christus. Die Kuppel der großen Verkündigungsbasilika thront über der Altstadt. Hier soll der Überlieferung nach das Wohnhaus Mariens gestanden haben. Ein geschichtsträchtiger Ort, dessen Wandel sichtbar ist: Gegenüber der Basilika prangt auf einem Bürogebäude das Schild von Microsoft. Auch Salesforce, Broadcom und weitere Software-Konzerne haben sich angesiedelt.
Die größte arabische Stadt in Israel lockt mit günstigeren Mieten als in den Großstädten Tel Aviv und Haifa - und mit qualifizierten jungen Leuten. Mehrere katholische Privatschulen bringen jedes Jahr gut ausgebildete christliche und muslimische Araber auf den Arbeitsmarkt. Viele von ihnen suchten sich bisher einen Job in einer der israelischen Großstädte oder im Ausland.
Start-ups siedeln sich an
Der IT-Sektor boomt nach wie vor in Israel. Vor allem im Sicherheitsbereich, aber auch in der Gesundheitsbranche und im Dienstleistungssektor haben israelische Softwarefirmen weltweit erfolgreiche Produkte. Das Land ist technologisch weit vorne - jedoch nicht, was die Zusammensetzung der Mitarbeiter in den IT-Firmen betrifft. Bisher arbeiten in dem Bereich fast ausschließlich jüdische Israelis. Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure - 95 Prozent von ihnen sind nach Angaben des israelischen Wirtschaftsministeriums jüdischer Abstammung. Seit mehreren Jahren bemühten sich wechselnde Regierungen in Israel, das Potenzial der arabischen Bevölkerung im Land stärker zu nutzen.
Unterdessen plant die israelische Regierung, in den kommenden fünf Jahren rund 170 Millionen Euro für die Förderung der arabischen Bevölkerung Israels im High-Tech-Bereich auszugeben. Geplant sind zusätzliche Kurse, die Finanzierung von arabischen Start-ups und der Ausbau der Infrastruktur in arabischen Orten. Nazareth hat als größte arabische Stadt in Israel dabei Modell-Charakter, sagt Hans Shakour von der Nichtregierungsorganisation Tsofen: "Vor zehn Jahren konnte man 'Nazareth' und 'High-Tech' nicht in einem gleichen Satz verwenden. Heute schaut das ganz anders aus, die Stadt hat sich entwickelt." Nach Angaben der Organisation arbeiten mittlerweile 1500 IT-Ingenieure in Nazareth, 41 Konzerne und Start-ups haben sich angesiedelt.
Auf der Suche nach jungen Talenten
Wie gut die Szene in Nazareth mittlerweile vernetzt ist, sieht man bei der "Nazareth Innovation Night", einem Treffen für Webdesigner und Coder in einem Luxushotel der Stadt. Organisiert wird die Veranstaltung von Tsofen. Die Organisation wurde 2008 von jüdischen und arabischen Israelis gegründet mit dem Ziel, mehr arabische Entwickler in den Hightech-Bereich Israels zu integrieren.
Eine der Teilnehmerinnen ist Shaden Hakim. Die 27-jährige Webdesignerin kommt aus Nazareth und programmiert Benutzeroberflächen für den israelischen IT-Konzern Amdocs. Die Firma hat Büros in Nazareth, fußläufig von Hakims Zuhause. Dass nun immer mehr Softwarefirmen nach Nazareth kommen, findet sie gut: "Wir haben hier viele Talente in Nazareth. Wenn die IT-Firmen nun in der Nähe sind, dann ermutigt das noch mehr junge arabische Israelis, in den Sektor zu gehen." Hakim ist Christin und ging auf eine katholische Privatschule.
Wie viele andere Entwickler möchte sie in der Nähe ihrer Familie wohnen und auch am Arbeitsplatz ihre Muttersprache sprechen. In den Firmen in Tel Aviv oder Haifa sei das nicht immer möglich, sagt sie. Und: In ihrer Firma arbeiten auch andere junge arabische Frauen, was nach wie vor selten sei: "Ich kannte praktisch niemanden aus meinem Umfeld, der in diesem Bereich arbeitet. Das war also etwas total Neues für mich. Auch als Frau."
Frauen, Araber und ultraorthodoxe Juden unterrepräsentiert
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums sind Frauen, Araber und auch ultraorthodoxe Juden in der IT-Industrie noch immer unterrepräsentiert. Eine gezielte Förderung in Schulen und speziellen Regionen wie rund um Nazareth sei auch für den Staat von Vorteil, sagt IT-Experte Shakour. "Es ist eine Win-Win-Situation: Die Tech-Industrie erhält mehr Arbeitskräfte, damit sie wachsen kann, die jungen Leute müssen nicht weggehen, um High-Tech, Wissenschaft und Ingenieurwesen zu studieren. Und die Region profitiert von gut bezahlten Arbeitsplätzen."
Das auch Start-ups aus Nazareth groß rauskommen können, zeigt die Firma AlphaOmega. Das Unternehmen stellt medizinische Geräte zur Messung von Gehirnströmen her. 150 Angestellte hat AlphaOmega mittlerweile; mehrheitlich christliche und muslimische Araber, aber auch Juden arbeiten im Firmensitz nahe Nazareth.
Der christlich-arabische Elektroingenieur Imad Younis bewarb sich nach seinem Studium immer wieder erfolglos bei dem jüdisch-israelischen Unternehmen. Die meisten Tech-Firmen seien damals mit Aufträgen aus der Rüstungsindustrie befasst gewesen, als junger arabisch-israelischer Ingenieur habe er da keine Chance gehabt, sagt er. Kurzerhand gründete Younis selbst ein Start-up. Seine Frau und er entwickelten vor 30 Jahren den Prototyp zur Diagnose von erkrankten Hirnarealen.
Heute werden seine Instrumente bei Gehirn-OPs in mehr als 600 Krankenhäusern weltweit verwendet. Dass nun immer mehr arabische Fachkräfte einen Platz in der boomenden IT-Branche Israels finden, freut Younis: "Die Welt schreitet voran, und die arabisch-israelische Bevölkerung ist da ein bisschen hinten dran, also müssen wir uns mehr bemühen und aufholen, um in dem Sektor dabei zu sein."