Fahrzeuge mit Autopilot Freihändig über die Autobahn
Als erster Autohersteller weltweit hat Mercedes-Benz die Zulassung für ein hochautomatisiertes "Level-3"-Fahrzeug erhalten. Theoretisch ein großer Schritt - wenn da nicht einige Einschränkungen wären.
Auf der A 8 bei Pforzheim wird der Verkehr immer langsamer. Die digitalen Verkehrszeichen am Fahrbahnrand zeigen an: Tempo reduzieren! Erlaubt sind nur noch 60 km/h. Der neue Mercedes-Benz EQS registriert das sofort: Zwei kleine, grüne LED am weißen Lederlenkrad blinken auf. Der Autopilot bietet sich an. Einen Knopfdruck später kann der Fahrer die Hände vom Lenkrad nehmen und sich zurücklehnen. Ab jetzt übernimmt das System das Fahrzeug: Es bremst und beschleunigt von allein, hält die Spur, beobachtet die Umgebung.
Erster Schritt zum autonomen Fahren
Möglich ist das nur dank modernster Technik: Radar, LiDAR, Kameras, Ultraschall- und Nässesensoren messen genauestens, was um das Fahrzeug herum und im Innenraum passiert. Der Autopilot, den Mercedes "Drive Pilot" nennt, sei eine technische Herausforderung gewesen, sagt Technologievorstand Markus Schäfer: "Es gibt sehr viel zusätzliche Technik im Fahrzeug. Die Fahrzeuge haben redundante Bremssysteme an Bord, redundante Lenkungen, ein redundantes zusätzliches Bordnetz und sehr viel Sensorik und Rechentechnik."
Mercedes erfüllt damit als erster Hersteller weltweit die Bedingungen für eine so genannte "Level-3-Zertifizierung", also für Fahrzeuge, die hochautomatisiert fahren und dem Fahrer erlauben, sich vom Verkehr zeitweise abzuwenden. Und das im laufenden Straßenverkehr und nicht nur zu Testzwecken. Während in Level 1 und Level 2 die Technik den Fahrer unterstützt, wird in zukünftigen Fahrzeugen des Level 4 und Level 5 der Fahrer zum Passagier, und das System übernimmt die Steuerung vollautonom.
Zeitung lesen ja - schlafen nein
Im Mercedes auf der A 8 fährt der Fahrer seinen Sitz zurück und blättert - ganz legal - in einem Magazin. Auf dem Display in der Mitte läuft das ARD-Mittagsmagazin. Inzwischen ist der Verkehr noch dichter geworden, der Wagen bremst immer wieder bis zum Stillstand ab und beschleunigt erneut auf bis zu 60 km/h. Ein ungewohntes Gefühl, jetzt nicht selbst aufmerksam auf die Straße zu schauen.
Den Stau zu verschlafen bleibt aber zunächst auch im neuen Mercedes ein schöner Traum. Infrarotsensoren auf Höhe des Lenkrads prüfen, ob der Fahrer noch wach ist. Denn dieser muss das Fahrzeug in jedem Moment wieder übernehmen können, sagt Technologievorstand Schäfer. Ein Recorder zeichnet jeden Fahrzustand auf und kann im Fall eines Unfalls ausgelesen werden. Wer dann am Ende haftet, wenn das Fahrzeug im "Drive Pilot” einen Unfall baut, muss im Einzelfall entschieden werden.
Konkurrenzdruck steigt
Die Entwicklung des "Drive Pilot" von Mercedes sei tatsächlich ein großer Schritt, sagt Automobilexperte Stefan Bratzel: "Das erste Mal ist nicht mehr der Fahrer verantwortlich für das Fahren, sondern der Fahrzeughersteller in dieser spezifischen Fahrsituation. Das ist weltweit neu." Auch andere Autohersteller arbeiten an hochautomatisierten Systemen, sind aber noch nicht so weit wie Mercedes. Die Zukunft sieht der Experte ohnehin in einem anderen Bereich und schaut auf die mehrspurige Straße vor seinem Institut: "Wir werden hier sehr viel mehr Robotaxis sehen, wo kein Fahrer mehr drinsitzt, sondern nur noch Mitfahrer."
Bratzel kann sich vorstellen, dass in zehn bis 15 Jahren nur noch autonome Shuttles durch deutsche Innenstädte fahren. Wie das aussehen könnte, zeigt etwa der US-Techkonzern Alphabet in San Francisco. Sein Fahrdienst Waymo funktioniert wie ein klassisches Taxi, nur ohne Fahrer. Das Lenkrad bewegt sich wie von Geisterhand. In der Entwicklung vollautonomer Systeme des Level 4 und 5 sei Amerika deutlich weiter, sagt Bratzel. Aber zugelassen sind diese Systeme noch nicht. Auf diesem Gebiet könnten Technologiekonzerne den klassischen Autobauern ernsthaft Konkurrenz machen.
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Hochautomatisiertes Fahren mit vielen Einschränkungen
Im neuen Mercedes muss nun wieder der Fahrer ran. Die Displays, auf denen gerade noch das Fernsehprogramm lief, sind schwarz. Das Fahrzeug fordert den Fahrer dazu auf, sofort zu übernehmen. Passiert das nicht, bleibt der Wagen stehen. Durch den Baustellenbereich auf der A 8 geht es nun also wieder manuell. Denn die Einsatzmöglichkeiten des Autopiloten sind bislang - aus rechtlichen Gründen - noch stark eingeschränkt: Aktiviert werden darf er nur auf Autobahnen bis maximal 60 km/h, bei gutem Wetter und nicht an Baustellen.
Auch wenn das Fahrzeug theoretisch mehr könne, nähere man sich von der vorsichtigen Seite, heißt es vom Konzern. Im deutschen Straßenverkehr wird der neue Mercedes wohl vorerst eine seltene Ausnahme bleiben - allein schon wegen des hohen Preises. Dieses Auto kostet mindestens 140.000 Euro.