Stromversorgung Sind die Netze fit für die Mobilitätswende?
1,6 Millionen E-Autos fahren zurzeit durch Deutschland. Aber was, wenn es in nur acht Jahren 15 Millionen sein werden? Der Energieversorger EnBW hat für Baden-Württemberg den Stresstest gemacht.
Für Matthias Rother aus Wangen im Allgäu war es ein "Sechser im Lotto" - als einer von 113 Probanden durfte er für eine Studie der Netze BW das elektrische Fahren ein halbes Jahr lang kostenlos testen. Die Netze BW sind größter Verteilnetzbetreiber für Strom und Gas im EnBW-Konzern und stehen vor einer ebenso großen Herausforderung: Sie müssen das Stromnetz für die Zukunft rüsten.
Denn wenn bald immer mehr E-Autos auf Deutschlands Straßen unterwegs sein werden, belastet dies auch zunehmend die Stromversorgung. Damit diese nicht zusammenbricht, haben die Netze BW in ihrer Studie untersucht, wie sich Elektromobilität auf unsere Stromnetze auswirkt - mit Fokus auf dem privaten Bereich.
Netzbetreiber müssen Stromnetz stabil halten
"Das Problem sind die Spitzen beim Energieverbrauch, die insbesondere durch die hohe Leistung von den Wallboxen zum Laden für E-Autos entstehen können", sagt Clemens von Walzel von der EnBW, einem der größten deutschen Stromkonzerne. Man nehme einen klassischen Abend im Winter: Das Licht ist an, es wird gekocht, der Fernseher und die Waschmaschine laufen - und das E-Auto wird nach dem Fahren angeschlossen. "Irgendwann können die Trafos dabei in den Grenzbereich kommen", sagt von Walzel.
Die Netzbetreiber sind dazu verpflichtet, die Spannung im Stromnetz gleichzuhalten. "Wenn wir hier durch die E-Mobilität Probleme mit der Spannungshaltung bekommen, müssen wir dringend dafür sorgen, dass die Grenzen nicht verletzt werden", erklärt Markus Wunsch. Seine Aufgabe bei Netze BW ist es, die Elektromobilität ins Netz zu integrieren.
Für ihre Studie haben die Netze BW seit Anfang 2018 verschiedene Pilotprojekte, Feldversuche und Forschungsprojekte durchgeführt, die helfen sollen, die Stromversorgung künftig zu optimieren. "Wir wollten das nicht nur auf dem Papier machen, sondern tatsächlich rausgehen unter echten Bedingungen mit echten Menschen", sagt Wunsch. Die Studie sollte zeigen, was es an Versorgung für die Kunden braucht, um die Mobilitätswende möglich zu machen.
Was passiert, wenn alle in einer Straße aufs E-Auto umsteigen?
Einer dieser "echten Menschen" war auch Norbert Simianer aus Ostfildern bei Stuttgart. Der 75-Jährige lebt in der sogenannten "E-Mobility-Allee" in der Belchenstraße. Dort testete Netze BW in einer Straße, mit elf E-Autos und einem Stromkreis für rund eineinhalb Jahre, wie E-Mobilität das Stromnetz beeinflusst. Dafür wurden zehn Haushalte mit Elektroautos und der Ladeinfrastruktur für zu Hause ausgestattet - Stromkosten inklusive. "Uns war dabei wichtig, das Ladeverhalten der Menschen kennenzulernen", sagt Wunsch.
Simianer fuhr während der Studie ein kleines, kompaktes E-Auto und habe dies "sehr gern gemacht". Die Studie habe sein Vertrauen in Elektromobilität gestärkt: "Ich bin sehr positiv überrascht und würde mir jetzt ein E-Auto kaufen. Auch unsere Nachbarschaft ist jetzt viel enger geworden, ich bin durch die Studie und das gemeinsame Thema mit vielen ins Gespräch gekommen." Ein positives Fazit zu dem Pilotprojekt zieht auch Ostfilderns Bürgermeisterin Monika Bader: "Das kam in der Bevölkerung sehr gut an, es gab intensive und angeregte Diskussionen, im positiven Sinne und aus Neugier. Das Projekt hat zu großer Begeisterung und Akzeptanz für Elektromobilität geführt."
Intelligent laden, um Stromnetz zu entlasten
Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie für die Netze BW: Klassische Batteriespeicher sind unflexibel. Deshalb will man in Zukunft vor allem auf intelligentes Laden setzen. Das bedeutet, dass die Stromversorgung durch den Netzbetreiber aus der Ferne gesteuert werden würde. So könne man den Stromverbrauch der Kunden flexibel optimieren, wie Wunsch erklärt: "Wir haben festgestellt, dass die meisten E-Autos deutlich länger an einen Ladepunkt angebunden sind, als eigentlich nötig. Das ist Flexibilität, die hier entsteht. Und die kann man nutzen, um Ladevorgänge auch zu optimieren, so dass wir im Prinzip das Stromnetz entlasten und das Fahrzeug trotzdem am nächsten Morgen vollgeladen ist."
Wenn die Netzbetreiber jetzt intelligentes Laden betreiben dürften, dann ginge es auch schnell genug mit der Mobilitätswende: "Dann können wir jetzt die Infrastruktur befähigen, damit wir die Fahrzeuge auch wirklich alle ins Stromnetz aufgenommen bekommen." Dafür müssten aber noch einige Voraussetzungen gegeben sein, etwa der rechtliche Rahmen. Damit die Stromversorgung vom Netzbetreiber intelligent gesteuert werden darf, müssen Kunden nämlich zustimmen und sich beteiligen. Und das machen aktuell noch viel zu wenige, sagt Wunsch: "In der Praxis erleben wir, dass Ladestationen nahezu nie zur Steuerung durch den Netzbetreiber angemeldet werden. Dies wird mit einer zunehmenden Durchdringung der Netze mit E-Fahrzeugen zu einer großen Herausforderung."
Deshalb wolle man die Netze verstärken und intelligent machen. Ziel dafür muss laut Wunsch sein, den Rechtsrahmen wegweisend auszugestalten, um regionale Netzüberlastungen sicher zu verhindern. Doch Wunsch ist zuversichtlich: Die Bundesnetzagentur als verantwortliche Fachbehörde habe bereits umfassende Festlegungskompetenzen vom Bund zum 1. Januar 2023 erhalten, um die Ausgestaltung des Paragrafen 14a EnWG, um den es hierbei geht, umzusetzen. "Wir werden eine Möglichkeit zur netzdienlichen Steuerung benötigen, um den sicheren und stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten."
Für Klimaziele muss sich auch die Elektromobilität entwickeln
Auch wenn man vor einer großen Aufgabe stehe, ist Wunsch zuversichtlich, was Stromversorgung und Mobilitätswende betrifft: "Es ist eine sehr große Herausforderung, und ich glaube, es ist sehr wichtig, das zu betonen. Für unsere Klimaziele brauchen wir auch einen Elektromobilitätsmarkt, der sich entsprechend entwickelt. Das alles ist sehr herausfordernd für uns, für unser Stromnetz. Wir kriegen das hin, aber wir haben gewisse Hausaufgaben zu machen."
Und es sei unabdingbar, die Stromversorgung mitzudenken, betont von Walzel: "Viele reden über Erneuerbare Energien, reden über die Energiewende. Wenn man das Netz nicht ertüchtigt und nicht ebenfalls in das Netz investiert, funktioniert das Ganze nicht."