Taxis, so genannte Yellow Cabs, stehen bei Nacht hinter dampfenden Gullies am Times Squares in New York. (Archivbild)

Heizungssystem in New York Seit 140 Jahren dampft es im Big Apple

Stand: 21.11.2022 04:36 Uhr

Dampf, der aus Gullydeckeln steigt: ein Bild aus New York, das vielen Menschen geläufig ist. Dahinter steckt ein mittlerweile etwas in die Jahre gekommenes Heizungssystem.

Das Motiv darf in keinem New York-Film fehlen: Dampf steigt auf in den Straßenschluchten Manhattans - manchmal durch orangefarbene Plastikschornsteine, manchmal auch einfach aus dem Gullydeckel. Generationen von Touristen haben sich bereits den Kopf darüber zerbrochen, was der Grund sein könnte. Die Antwort ist einfach und für amerikanische Verhältnisse uralt: ein Dampfheizungssystem in der Unterwelt Manhattans.

Dampfheizung auch am 9/11-Memorial

"Das Dampfsystem ist im März 1882 in Betrieb gegangen. Wir haben also gerade 140. Jubiläum gefeiert", erzählt Frank Cuomo. "Ein paar Jahre zuvor ist das System in Lockport im Bundesstaat New York erfunden worden. Diese Idee wurde dann im großen Stil umgesetzt, als sich New York City vom Battery Park nordwärts entwickelt hat."

Cuomo ist beim New Yorker Energieversorger ConEdison zuständig für das Dampfheizungssystem. 170 Kilometer lang ist es und versorgt rund 1600 Gebäude in der Stadt mit Wasserdampf zum Heizen - bis zu drei Millionen Menschen auf mehr als 460.000 Quadratmetern Fläche vom Empire State Building bis zum Sitz der Vereinten Nationen.

"Wenn ein Tourist den Namen eines Gebäudes kennt, dann versorgen wir es höchstwahrscheinlich auch mit Dampf. Denn viele dieser Gebäude sind in der Zeit entstanden, in der auch das Leitungssystem gebaut wurde", so Cuomo. Eine berühmte Ausnahme ist das World Trade Center: "Das alte wurde bereits mit Dampf versorgt, aber auch der neue Komplex. Von den Türmen bis zu den Wasserbecken. Dort wird das Wasser mit ConEdison-Dampf beheizt, damit es nicht einfriert im Winter."

Wasserdampf vor Wolkenkratzern und Kirche in New York

Wasserdampf vor Wolkenkratzern: Die Schwaden wie hier auf der Fifth Avenue in Manhattan entstammen dem 140 Jahre alten unterirdischen Dampfheizungssystem New Yorks.

Nur Blackout brachte System zum Stillstand

Nur einmal in der 140-jährigen Geschichte der New Yorker Dampfheizung kam das System in der gesamten Stadt zum Erliegen: 2003 beim großen Blackout im Nordosten der USA und Kanadas, als 55 Millionen Menschen zum Teil tagelang ohne Strom waren. Aber beinahe täglich gibt es kleinere lokale Ausfälle im inzwischen etwas maroden Leitungssystem. Und dann steigt Dampf auf aus dem New Yorker Untergrund, erklärt Cuomo.

"Das kann zwei Gründe haben: erstens ein Leck im System, das dann geflickt werden muss, was sehr aufwändig sein kann. Oder zweitens, wenn unsere Dampfleitungen mit Wasser in Kontakt kommen." Die Dampfleitungen seien mehr als 200 Grad Celsius heiß. "Abwasser oder Regenwasser verdampft dann sofort und kommt als Wolke irgendwo aus der Straße oder dem Bürgersteig."

Und dann kommen auch die orangefarbenen Plastikschornsteine ins Spiel, die - wie so vieles in der Stadt - im Marketingsprech als "ikonisch" gelten. Dabei sollen sie nur dafür sorgen, dass sich Fußgänger nicht verbrühen und dem Autoverkehr nicht die Sicht genommen wird.

Alt, aber vergleichsweise umweltfreundlich

Doch trotz aller Anfälligkeit des Systems: Die New Yorker Dampfheizung ist vergleichsweise umweltfreundlich. 60 Prozent der notwendigen Energie wird mit Abwärme aus lokalen Stromkraftwerken erzeugt, so wie bei der Fernwärme in Deutschland. Nur, dass eben Dampf statt Heißwasser produziert wird.

"Der Vorteil besteht darin, dass keine zusätzliche Pumpenergie benötigt wird, wie beim Heißwasser", erläutert Cuomo. "Der Dampf gelangt aufgrund des Drucks direkt zum Standort des Kunden." Und das können auch sehr hohe Wolkenkratzer sein. "Der Dampf erreicht die obersten Stockwerke, ohne dass zusätzliche Energie aufgewendet werden muss." Weshalb mache Klimaschützer schon die Renaissance des Systems heraufbeschwören.

Irgendwann Wasserstoff statt Wasserdampf?

Doch die Krux ist: Solange der Dampf in konventionellen Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen erzeugt wird - in New York sind es 97 Prozent Erdgas -, wird auch die Dampfheizung nicht wirklich CO2-neutral sein. Mit Solar- oder Windenergie lässt sich nur schwer Wasserdampf erzeugen.

Und so setzt Vijay Modi von der New Yorker Columbia Universität auf eine andere Idee: "Vielleicht gelingt es, große Mengen Strom aus den Offshore-Windparks vor New York in Wasserstoff umzuwandeln. Dann könnten wir die alten Dampf-Pipelines nutzen, um die Gebäude mit Wasserstoff zum Heizen zu versorgen." Da seien zwar noch eine Menge technischer Fragen offen, aber: "Zumindest müsste man kein neues Verteilsystem bauen, sondern könnte die alten Pipelines nutzen."

 

Peter Mücke, Peter Mücke, ARD New York, 16.11.2022 09:22 Uhr