Stahlarbeiter in einem Salzgitter-Werk

Förderprogramm angekündigt Auf dem Weg zu grünem Stahl

Stand: 03.05.2021 19:45 Uhr

Um die Klimavorgaben zu erfüllen, muss sich die Stahlindustrie neu erfinden - mit Wasserstoff. Die Politik verspricht nun Subventionen in Milliardenhöhe. Doch es bleiben Baustellen. Kann der Umstieg gelingen?

Von Till Bücker, tagesschau.de

Nach jahrelangen Verlusten und einem drastischen Einbruch in der Corona-Krise befindet sich die deutsche Stahlindustrie 2021 im Aufwind. Eine sprunghaft gestiegene Nachfrage und hohe Preise sorgen dafür, dass die Stahlöfen wieder Gewinne abwerfen. Doch der Industriezweig steht vor einem gewaltigen Umbruch.

EU-Klimaziele erzwingen große Veränderungen

Grund dafür sind die Klimaziele der Europäischen Union. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent reduziert werden. Bis 2050 will die EU komplett klimaneutral sein. Besonders die energiereichen Branchen stehen dabei im Fokus - darunter die Stahlindustrie.

Für deren klimafreundlichen Umbau sollen in den Jahren 2022 bis 2024 zusätzlich mindestens fünf Milliarden Euro mobilisiert werden, kündigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Montag nach einem Treffen mit Vertretern der deutschen Hersteller und der IG Metall an. "Die Transformation der energieintensiven Industrien wie der Stahlindustrie ist eine Daueraufgabe."

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier

Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte Förderprogramme für die Stahlbranche an.

Stahl für acht Prozent der Emissionen verantwortlich

Die Branche ist einer großen Kohlendioxid-Produzenten in Deutschland. Jährlich stoßen die Hochöfen und Stahlwerke etwa 58 Millionen Tonnen des Gases aus - nach Angaben des Bundesumweltministeriums sind das mehr als 30 Prozent der Industrie- und rund acht Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen.

Eine klimafreundlichere Alternative zur Beheizung der Hochöfen mit stark kohlenstoffhaltigem Koks ist Wasserstoff aus erneuerbaren Energien. "In der Stahlindustrie gibt es den größten Hebel im gesamten industriellen Sektor, um die Klimaschutzziele zu erreichen", erklärte Jürgen Kerner, für die Stahlindustrie zuständiges geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

Schwierige Umstellung auf Wasserstoff

Die Bundesregierung verabschiedete im vergangenen Jahr eine nationale Wasserstoffstrategie, in der die Transformation der Stahlindustrie eine zentrale Rolle spielt. Erste Versuche von großen Herstellern wie ThyssenKrupp oder Salzgitter, beim Stahlkochen die Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen, gibt es bereits. Doch einfach wird die Umstellung Experten zufolge nicht.

"Die Dekarbonisierung mithilfe von Wasserstoff ist eine riesige Herausforderung, da die Produktionstechnik komplett umgestellt und eine Infrastruktur aufgebaut werden muss", sagt Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter der Wissenschaft am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, im Gespräch mit tagesschau.de. Denn der grüne Wasserstoff müsse an die verschiedenen Standorte gebracht werden und langfristig zur Verfügung stehen. Dabei gebe es noch zahlreiche ungelöste Baustellen.

Hohe Investitionskosten nötig

Eine davon sind die hohen Investitionskosten. Für den Umstieg auf saubere Herstellungsverfahren seien rund 35 Milliarden Euro nötig, so Altmaier. Davon könnten in den kommenden 30 Jahren etwa zehn bis zwölf Milliarden Euro aus öffentlichen Hilfen kommen. Die genaue Höhe hänge davon ab, "wann das Ziel der Klimaneutralität im Einzelnen erreicht werden muss", sagte er mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz.

ThyssenKrupp bezifferte die Kosten zuletzt auf etwa zehn Milliarden Euro, Salzgitter geht von drei Milliarden Euro aus. Dafür sei eine "substanzielle Anschubfinanzierung" erforderlich, forderte Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann. Die Unternehmen betonen schon länger, sie könnten die hohen Investitionen nicht alleine stemmen - trotz der Stabilisierung der Stahlkonjunktur in den vergangenen Wochen.

Um die Branche zu stützen, hatte das Bundeskabinett im vergangenen Juli ein "Handlungskonzept Stahl" beschlossen. Konkrete Finanzierungszusagen hatte es bisher aber nicht gegeben, was für Kritik sorgte. "Das Handlungskonzept Stahl feiert bald Jubiläum, passiert ist absolut gar nichts außer das Totreden in Arbeitsgruppen", sagte Saarlands Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger am Wochenende der Nachrichtenagentur dpa.

Ähnlich sieht es auch Stahlexperte Bardt. Ohne Unterstützung kommt es nicht zu den notwendigen Zusatzinvestitionen, dann würden die Branchen "Scritt für Schritt kaputtgehen". "Die Politik ist gut darin, anspruchsvolle Ziele zu formulieren, aber sehr viel schlechter darin, sich zu überlegen, was sie selbst dafür tun muss." Das scheint sich jetzt zu ändern.

Klimaverträge gegen die laufenden Kosten

Vor dem Treffen hatte der "Spiegel" berichtet, die fünf großen Stahlkonzerne Thyssenkrupp, ArcelorMittal, Saarstahl, Georgsmarienhütte und Salzgitter forderten in einer ersten Stufe Investitions- und Subventionszusagen der Regierung zwischen 15 und 30 Milliarden Euro. Dafür wollen sie bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel ihrer Primärstahlproduktion auf eine klimafreundliche Erzeugung umstellen und 17 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen.

Doch es sind nicht nur die Investitionskosten, die die Wirtschaftlichkeit der Transformation gefährden. "Das ist noch der einfachere Teil", meint IW-Experte Bardt gegenüber tagesschau.de. Da die laufenden Kosten höher ausfielen als bei der konventionellen Stahlherstellung seien auch auf längere Sicht Förderinstrumente erforderlich.

Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter am Institut der deutschen Wirtschaft, Köln

Hubertus Bardt ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Hierbei verwies Altmaier auf ein Pilotprojekt für zehnjährige Klimaschutzverträge zwischen dem Staat und Unternehmen, die mit neuen Verfahren ihren CO2-Ausstoß um mehr als die Hälfte senken. Mithilfe dieser "Carbon of Contracts for Difference" sollen die Mehrkosten der klimafreundlichen Produktion ausgeglichen und die Differenz zu den Marktpreisen der CO2-Zertifikate erstattet werden.

Industriebetriebe haben zwar schon durch die Pflicht zum Kauf von CO2-Emissionsrechten einen Anreiz zur Vermeidung von umweltschädlichen Produkten. Dieser reicht aber für die komplette Umstellung auf den teuren Einsatz von Wasserstoff meist nicht aus.

Klimaabgabe an den EU-Grenzen?

Ein weiteres Problem ist die Wettbewerbsfähigkeit. Grüner Stahl wird nach aktuellen Schätzungen 30 bis 40 Prozent teurer sein als der aus Staaten mit geringeren Klimaauflagen. Die Stahlindustrie in Europa wird bereits jetzt von Überkapazitäten und Dumpingpreisen belastet. Besonders China überschwemmt den europäischen Markt mit billigem Stahl.

Die europäischen Konzerne könnten somit beim Buhlen um Kunden weiter ins Hintertreffen geraten. Auf EU-Ebene wird derzeit über eine Grenzsteuer diskutiert - eine Art Klimaabgabe für Import-Produkte an der EU-Außengrenze. Die Idee wird in Fachkreisen allerdings eher kritisch gesehen.

"Wenn es nur für Importe gelten soll, hilft es auf Drittmärkten nicht unbedingt weiter, weil man trotzdem mit höheren Kosten produziert", erklärt Bardt. "Zweitens ist die Gefahr riesig, dass das andere Marktteilnehmer als Protektionismus auffassen und ein eskalierender Handelskonflikt entsteht." Darüber hinaus würden auch die heimischen stahlverarbeitenden Abnehmer belastet werden.

Experten plädieren für sektorale Klimaclubs

Im Gegensatz dazu schlug der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium im März den Aufbau eines internationalen Klimaclubs vor, dessen Mitglieder sich auf einen Mindestpreis für CO2-Emissionen einigen und sich dadurch absichern können. Noch sinnvoller wären sektorale Klimaklubs von Ländern, in denen der Großteil der Stahlproduktion stattfindet, so der IW-Geschäftsführer. "Wenn diese sich auf einen gemeinsamen CO2-Preis einigen können, haben wir die Wettbewerbsprobleme aus dem Weg geräumt."

"Trotz der riesigen Herausforderung bin ich aber optimistisch, dass die Transformation klappen kann", sagt Bardt. Dafür müssten einige Dinge zusammenkommen: neben einer international besseren Koordination der CO2-Preise, einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffproduktion, zahlungswilligen Kunden auch ein funktionierender Fördermechanismus. Letzterer kommt nun langsam ins Rollen.

Theo Geers, DLF, 03.05.2021 19:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk in der Sendung "Wirtschaft und Gesellschaft" am 03. Mai 2021 um 17:05 Uhr.