Energieversorgung Was mit überschüssigem Strom passiert
Die Stromerzeugung aus Wind oder Sonne ist großen Schwankungen ausgesetzt. Doch das Stromnetz muss stabil sein - und bislang mangelt es an Energiespeichern. Wie klappt es mit der Versorgungssicherheit?
Die Energiewende stellt Deutschland vor Herausforderungen. Und spätestens mit der Drosselung russischer Gaslieferungen wachsen diese noch. Unabhängiger zu werden und Energie selbst zu produzieren, wird immer wichtiger.
Den größten Anteil sollen dabei laut Bundeswirtschaftsministerium künftig die Erneuerbaren Energien einbringen, vor allem Wind- und Solarkraft. Der Vorteil: Sie erzeugen kaum klimaschädliche Emissionen. Der Nachteil: Sie gelten als sogenannte fluktuierende oder volatile Energieträger - das heißt, sie speisen nie gleichmäßig viel Energie ins Netz ein, weil sie abhängig von Witterung, Tages- oder Jahreszeit sind.
Erzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht
Eine gewisse Gleichmäßigkeit ist für die Versorgungssicherheit aber sehr wichtig. Denn sind der Stromverbrauch und die Stromerzeugung nicht im Gleichgewicht, würde das "zu einem schrittweisen Zusammenbruch der Stromversorgung führen", erklärt die Sprecherin der Stadtwerke Saarbrücken, Ulrike Reimann.
Damit das Netz stabil bleibt, muss es sich immer auf einer bestimmten Frequenz halten. In Deutschland liegt diese sogenannte Sollfrequenz bei 50 Hertz. Durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien könnte das Netz häufiger aus dem Gleichgewicht geraten; schließlich lassen sich Wind und Sonne nicht planen.
Bedeutung der Stromspeicherung
Um Ungleichgewichte zu vermeiden, ist die Speicherung von Strom eine vieldiskutierte Idee. Produzieren Erneuerbare Energien zeitweise mehr Strom als verbraucht wird, könnte der Überschuss zwischengespeichert und an energieärmeren Tagen abgerufen werden.
Die Bundesnetzagentur schreibt solchen Speichern zwar eine große Bedeutung zu, warnt aber davor, ihr Potenzial zu überschätzen. Denn die möglichen Speicherkapazitäten reichen bislang nicht aus. In weniger als einer halben Stunde wären sämtliche deutschen Pump- und Batteriespeicher leer, wenn sie die Stromversorgung übernehmen müssten.
In der Gesamtbetrachtung sind sie aber dennoch wichtig, denn zur Bewältigung der Energiewende gibt es nicht die eine Lösung. Vielmehr sei ein "Mix aus allen technologischen Optionen einschließlich der Stromspeicher" notwendig, schreibt die Bundesnetzagentur in einem Bericht. Um Stromnetze zukunftsfähig zu machen, soll die Forschung zu Speichermethoden vorangebracht werden.
Schwankungen im Netz abfedern
Eine wichtige Rolle kommt außerdem dem sogenannten Regelleistungsmarkt zu. Den koordinieren die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland (50 Hertz Transmission, Amprion, TenneT TSO und TransnetBW). Sie behalten Stromproduktion und Verbrauch genau im Blick und sind dafür verantwortlich, das Netz stabil zu halten. Über den Regelleistungsmarkt schreiben sie täglich eine Reserveleistung aus, die Schwankungen abfedern soll - sowohl bei Über- als auch bei Unterproduktion.
Droht eine Überlastung des Stromnetzes durch zu viel erzeugten Strom aus Erneuerbaren Energien, können Betreiber von anderen flexiblen Kraftwerken ihre Leistung reduzieren und damit die Überproduktion ausgleichen. Andersherum funktioniert es ähnlich: Droht die Frequenz abzufallen, können flexible Kraftwerke ihre Leistungen entsprechend hochfahren.
Für die Saarbrücker Stadtwerke sieht das zum Beispiel so aus: Wenn durch Windkraft mehr Strom produziert und ins Netz gespeist wird, als zu einem bestimmten Zeitpunkt verbraucht wird, können die Stadtwerke ihre Blockheizkraftwerke herunterfahren und so das Netz entlasten, erklärt Sprecherin Reimann. Betreiber von flexiblen Kraftwerken können dadurch zusätzliche Erlöse erzielen, auch indem sie die Leistungen ihrer Kraftwerke hochfahren, um Schwankungen auszugleichen.
Fernwärme durch Überschussstrom
Außerdem können Stadtwerke überschüssigen Strom in Fernwärme umwandeln. Dafür wird die Energie in sogenannte "Power-to-Heat"-Anlagen geleitet, die elektrische Energie in Wärme transformieren. Das funktioniert zum Beispiel über einen Elektrokessel. "Damit leisten wir einen aktiven Beitrag zur Netzintegration Erneuerbarer Energien und erzielen einen ökologischen Mehrwert", so Reimann. Denn indem die Schwankungen abgefedert werden, können die Erneuerbaren Energien in Betrieb bleiben, ohne die Netzstabilität zu bedrohen.
Ähnlich gehen auch zahlreiche andere kommunale Energieversorger in Deutschland vor, zum Beispiel in Tübingen, Nürnberg, Bielefeld, Augsburg, Bremen oder Frankfurt.
Menge an Überschussstrom schwankt
Wie viel Energie die Stadtwerke aus Überschussstrom für solche Anlagen nutzen können, sei dabei sehr unstetig. Die Saarbrücker Stadtwerke etwa beziehen "nur wenige Stunden im Jahr" überschüssige Energie am Regelleistungsmarkt für den Elektrokessel, sagt Reimann. Zwischen 2018 und 2021 schwankte die Menge an Überschussstrom zwischen 174.500 und 635.000 Kilowattstunden. Zum Vergleich: Rund 2000 Kilowattstunden Strom verbraucht ein Single-Haushalt laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich pro Jahr.
Trotzdem zeigt das Konzept Wirkung: "Ganz grob kann man sagen, dass wir mit der im E-Kessel produzierten Wärme circa den 1,25-fachen Gaseinsatz und die damit einhergehenden CO2-Emissionen einsparen", sagt Ulrike Reimann.
In Deutschland haben Erneuerbare Energien im vergangenen Jahr rund 40 Prozent des Stromverbrauchs decken können. Der Anteil soll in den nächsten Jahren noch steigen. Mechanismen wie der Regelleistungsmarkt tragen dazu bei, Versorgungssicherheit auch bei Windflaute oder an grauen Tagen zu sichern.