Gemeinschaftswährung Warum Estland den Euro will
Der EU-Gipfel soll endgültig den Weg frei machen: Estland bekommt im dritten Anlauf als 17. EU-Staat den Euro - in einer Zeit, in der Neuankömmlinge dem Verdacht ausgesetzt sind, potenzielle Pflegefälle zu sein. Doch wären andere Kandidaten so genau geprüft worden wie Estland, müsste die EU heute keine Rettungsschirme aufspannen.
Von Albrecht Breitschuh, ARD-Hörfunkstudio Stockholm
Der Euro kommt zwar erst zum 1. Januar nächsten Jahres nach Estland. Wie die heimische Version aussieht, wissen die gerade mal 1,3 Millionen Einwohner des baltischen Staates aber schon seit 2004. Damals konnten sie per Tele-Voting über das Design der Münzen abstimmen und entschieden sich für einen Entwurf, der auf der Rückseite der Münzen den Kartenumriss Estlands zeigt.
Euro-Start im dritten Anlauf
2004 galt Estland - wie seine Nachbarn Lettland und Litauen - noch als "baltischer Tiger". Die Wirtschaft meldete zweistellige Zuwachsraten, und auch wenn die Inflation hoch war, rechnete offiziell kaum einer damit, dass der Euro nicht wie geplant am 1. Januar 2007 eingeführt werden könnte. Daraus wurde bekanntlich nichts. Auch der nächste angepeilte Termin, zwei Jahre später, konnte nicht eingehalten werden. Nun also 2011, in einer Zeit, in der in Europa schon vielfach das Ende der Gemeinschaftswährung beschworen wird und Neuankömmlinge wie Estland dem Verdacht ausgesetzt sind, potenzielle Pflegefälle wie Griechenland zu sein.
Bei den Esten dagegen geht eher die Angst um, bald für kränkelnde Eurostaaten zahlen zu müssen. Dennoch ist für die Regierung von Ministerpräsident Andrus Ansip die Einführung ein logischer Schritt - und das gar nicht mal so sehr aus wirtschaftlichen Gründen. Der Euro hat einen hohen symbolischen Wert, zeigt er doch, dass die frühere Sowjetrepublik Estland nach EU- und Nato-Mitgliedschaft endgültig im Westen angekommen ist.
Estland hofft auf neue Investoren
Auch für das Selbstbewusstsein des kleinen Landes ist der Euro enorm wichtig. Die Empfehlungen der EU-Kommission und der Finanzminister sind die Bestätigung, dass die Regierung in Tallinn ihre Hausaufgaben gemacht hat und auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten solide Staatsfinanzen vorweisen kann. Das wiederum, so die Hoffnung, wird das Vertrauen potentieller Investoren stärken. Denn die hat Estland nötig. Die Arbeitslosenquote liegt immer noch deutlich über zehn Prozent, viele gut ausgebildete Menschen verlassen das Land - und bei gerade einmal 1,3 Millionen Einwohnern wiegt der Faktor Auswanderung besonders schwer.
Um praktische Effekte, wie beispielsweise eine stabile Währung, geht es den Esten kaum. Denn die heimische Krone war seit Anfang der 90er-Jahre zunächst fest an die D-Mark, später an den Euro gebunden. Für exportorientierte Unternehmer wird nun die Buchführung etwas leichter, viel mehr wird sich auf Anhieb nicht ändern. Langfristig soll der Euro das Vertrauen in die estnische Wirtschaft stärken - angesichts dessen derzeitiger Schwäche eine vage Hoffnung.
Dass die Esten gerne unter anderen Bedingungen der Eurozone beigetreten wären und unter besonders starker Beobachtung stehen, haben sie am wenigsten zu verantworten. Vielmehr gilt: Wären andere Eurokandidaten so genau geprüft worden wie Estland, müsste die EU heute keine Rettungsschirme aufspannen.