Corona und Klimaschutz Wirtschaft stellt "Green Deal" infrage
Der "Green Deal" ist ein Kernprojekt der EU-Kommission. Doch durch die Corona-Pandemie gerät das Klimaschutzprogramm in Gefahr. Lobbyverbände und Industrievertreter versuchen, das Vorhaben auf Eis zu legen.
Am lautesten schlagen Europas Autohersteller Alarm. Die Unternehmen kämpfen ums Überleben, klagte der Dachverband der europäischen Autohersteller kürzlich und forderte die EU-Kommission in einem offiziellen Schreiben auf, die Pläne für strengere CO2-Grenzwerte zu verschieben.
Die Autobauer sind nicht die Einzigen: Von den Plastikherstellern bis zur Agrarindustrie schreiben Lobbyisten gerade reihenweise Mails an die Brüsseler Kommissare. Alle mit der gleichen Stoßrichtung: Strenge Klimaauflagen seien Gift für Europas Wirtschaftsaufschwung.
"Green Deal" nicht mehr finanzierbar?
Ähnlich sieht das auch der Europaabgeordnete Markus Pieper, CDU-Politiker aus dem Münsterland und Mitglied im mächtigen Industrieausschuss des Europaparlaments. "Schon für die Wirtschaft in Bestform, also vor der Coronakrise, war der 'Green Deal' eine gigantische Herausforderung", sagt Pieper. "Und jetzt nach dem Aderlass ist das schlicht nicht mehr finanzierbar."
An den Pariser Klimazielen will Pieper im Grundsatz festhalten, sagt er - fügt aber sofort hinzu, Branchen wie Stahl, Aluminium und auch die Chemie müssten nach der Krise erst wieder Geschäfte machen, bevor man über ökologische Auflagen nachdenkt. Jetzt liege die Industrie am Boden. "Und wir haben ja diese Zeit auch. Denn eine Industrie, die am Boden liegt, ein Schornstein, der nicht raucht, belastet das Klima nicht. Und das gibt uns Zeit, jetzt wirklich das Notwendige zu tun."
Argumente der Lobbyindustrie "eine Falle"
Ganz anders sieht das der Vizechef der EU-Kommission, Frans Timmermans. Der Niederländer ist zuständig für den "Green Deal", das wichtigste Projekt der Kommission. Er hält die Argumente vieler Industrieverbände für vorgeschoben. Das sei eine Falle, sagt er, jetzt den grünen Umbau der Wirtschaft als Luxus einzustufen, den man sich in der Krise nicht leisten könne. Timmermans sieht im Green Deal das Gegenteil: die Rettungsleine, die aus der Krise herausführt.
Vor dem Umweltausschuss des Europaparlaments ließ der Klima-Kommissar in der vergangenen Woche keinen Zweifel daran, dass die Kommission am Programm gegen den Klimawandel festhalten will. Ganz offen sagte Timmermans den Ausschussmitgliedern, wie sehr er sich im Moment über die Lobby-Briefe der Industrie ärgert.
Klimakrise und Artensterben "sind immer noch da"
Er fand es nicht gut, berichtete er, dass die Plastikbranche ihm geschrieben habe und forderte, das Verbot von Einwegverpackungen wieder aufzuheben. Begründung: die seien in der Coronakrise hygienischer. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, ärgerte sich Timmermans. Der Klimakommissar will verhindern, dass jetzt Milliarden in den Wiederaufbau der alten Wirtschaft auf dem Stand vor Corona gesteckt werden. Stattdessen solle gefördert werden, was klimafreundlicher ist: erneuerbare Energien, die Sanierung von Häusern und vor allem moderne Mobilität im Verkehr.
"Natürlich müssen wir uns jetzt um die Coronakrise kümmern", sagt Timmermans. Aber er warnt: Es sei eine Illusion, zu glauben, dass die Klimakrise oder auch die Krise der Artenvielfalt verschwunden seien: "Sie sind immer noch da!"
"Corona zeigt, dass man auf die Wissenschaft hören sollte"
Die Grünen im Europaparlament fordern die Kommission auf, dem Lobbying der Industrieverbände nicht nachzugeben. Die milliardenschweren Aufbauprogramme sollen nur dahin fließen, wo auch für die Einhaltung der Pariser Klimaziele gesorgt wird, fordert der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss.
Es gebe jetzt viele, die den "Green Deal" in Frage stellten, sagt Bloss. "Das sind meistens diejenigen, die die Klimakrise auch davor schon nicht ernst genommen haben." Corona zeige, dass man auf die Wissenschaft hören sollte, dass zeige nun auch wieder die Dürreperiode in Deutschland.