EU-Agrarministertreffen in Brüssel Geschacher um Milliarden
Die EU-Agrarpolitik soll gerechter und umweltbewusster werden. Aber über das Wann und Wie gibt es heftige Auseinandersetzungen. Die dänische EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel muss jetzt miterleben, wie ihre Vorschläge nach und nach verwässert werden. Auch die neue Bundesagrarministerin Aigner hat andere Vorstellungen. Bei ihrer ersten Bewährungsprobe in Brüssel will sie hart für die Interessen der deutschen Bauern kämpfen.
Von Niels Nagel, tagesschau.de
Bei ihrem Treffen in Brüssel wollen die europäischen Landwirtschaftsminister letzte Korrekturen der Agrarreform von 2003 beschließen. Grundlage dafür ist der sogenannte "Health-Check" der EU-Kommission, in dem diese eine Reihe von Veränderungen vorschlägt. Allerdings geht es dabei nicht um eine komplette Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik, sondern um eine Umverteilung der Agrargelder bis 2013.
Doch auch das ist schon ambitioniert - schließlich handelt es sich dabei um eine Summe von 410 Milliarden Euro. Denn soviel Geld bekommen die Landwirtschaften in den 27 EU-Ländern in den nächsten fünf Jahren. Dieser Teil der Vereinbarung ist unter allen Beteiligten unstrittig - um alles andere dagegen wird heftig gerungen.
Löwenanteil sind Direktzahlungen
Den Löwenanteil der bisherigen EU-Agrarzahlungen, nämlich 320 Milliarden Euro, machen Direktbeihilfen für Landwirte aus. Dabei handelt es sich um klassische Subventionen in der sogenannten "Ersten Säule" der EU-Agrarpolitik. Das Einkommen der Landwirte soll damit gesichert werden.
Im Wesentlichen hängt die Höhe dieser Direktzahlungen von der Größe der bewirtschafteten Fläche ab. Je mehr Hektar also ein Betrieb bewirtschaftet, umso mehr Geld bekommt er direkt aus Brüssel. Unabhängig von der eigentlichen Produktion oder etwa der Anzahl der Beschäftigten.
Deutschland profitiert am meisten
Deutschland gehört im EU-Vergleich bisher zu den größten Profiteuren dieser Regelung. Jährlich fließen 5,5 Milliarden Euro solcher Direktbeihilfen in die hiesige Landwirtschaft, insbesondere nach Ostdeutschland. Das hat historische Gründe: Die in der DDR üblichen sogenannten "Landwirtschaftlichen Produktions- genossenschaften" (LPG) sind auch nach der Wende groß geblieben - und im europäischen Vergleich immer noch richtige Mammut-Betriebe. Auf Brüsseler Geld will hier natürlich niemand verzichten.
Ab 2009 schrittweise Entkoppelung von der Betriebsgröße
Genau das aber will die EU-Kommission nun ändern. Ab 2009 sollen die Direktzahlungen schrittweise von der Betriebsgröße entkoppelt werden und das Geld zugunsten der ländlichen Entwicklung umgeschichtet werden. Diese Zweite Säule der EU-Agrarpolitik gilt als Zukunft der Landwirtschaft. Hinter dem etwas sperrigen Begriff verstecken sich Programme, mit denen Bauern ermutigt werden sollen, ihre Betriebe umweltschonend zu bewirtschaften.
Noch liest sich das Finanzvolumen der zweiten Säule vergleichsweise bescheiden. Gerade mal fünf Prozent der jährlichen Direktzahlungen sind 2007 in die ländlichen Entwicklungsprogramme geflossen. Bis 2013 soll dieser Finanztransfer, die sogenannte Modulation, auf 13 Prozent klettern. Zusätzlich sollen Großbetriebe, die jährlich mehr als 100.000 Euro Finanzhilfe bekommen, noch mal bis zu neun Prozent abgeben.
Direktzahlungen sind finanzielle Hilfen für Landwirte der Europäischen Union und ein zentrales Steuerelement der Landwirtschaftspolitik. Sie werden entkoppelt von der Produktion nach Betriebsfläche gezahlt, beziehungsweise für konkrete Nutzungszwecke (zum Beispiel Umwelt- oder Tierschutz).
Die "Gemeinsame Agrarpolitik" der Europäischen Union wird seit 2005 schrittweise reformiert. Im Zuge dieses Reformprozesses sind die zuvor gezahlten Agrarsubventionen immer mehr durch Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe ersetzt worden.
Die traditionelle EU-Agrarpolitik war wegen ihrer Verteilungswirkung kritisiert worden, weil die Subventionen mit der Unternehmensgröße ansteigen und so größere Betriebe gegenüber kleineren systematisch privilegieren. Dieses Problem ist bisher mit den derzeit praktizierten Direktzahlungen nicht gelöst worden. 2005 gab die EU rund 40 Prozent ihres Haushalts für den Agrarsektor aus.
Einkommensverluste für Großbetriebe eher bescheiden
Auch wenn die Einkommensverluste für die Großbetriebe eher "bescheiden" sind, so der frühere EU-Agrarkommissar Franz Fischler im Gespräch mit tagesschau.de, führen die Pläne der EU- Kommission zu einem heftigen Streit. Während der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, gar vor einer "Amputation der EU-Agrarpolitik" warnt, gehen dem grünen Europa-Abgeordneten Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf die Beschlüsse nicht weit genug: "Wie so oft war die Diagnose der EU-Kommission zu gegenwärtigen Agrarpolitik eigentlich gut. Die Therapie bleibt aber unzureichend", sagte er tagesschau.de. Seit der Präsentation des "Health-Checks" im November 2007 sei die Kommission ständig zurückgerudert. Seien damals Kürzungen bei den Direktzahlungen für Großbetriebe bis zu 45 Prozent angedacht gewesen, sei das jetzt geforderte Maximum von neun Prozent gerade zu lächerlich.
Kompromiss eines Kompromisses
Diese gegensätzlichen Ansätze werden die 27 EU-Agrarminister, so ist aus informierten Kreisen zu hören, vermutlich wieder sehr europäisch lösen. Nämlich als Kompromiss eines Kompromisses. Das ist zumindest auch das erklärte Ziel der neuen Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Sie hat angekündigt, erbittert gegen die finanziellen Kürzungen der Direktzahlungen für Großbetriebe zu kämpfen. Doch damit steht sie in Europa ziemlich alleine da. Nur Großbritannien, Ungarn und Tschechien haben bisher ihre Unterstützung signalisiert. Es wird also in jedem Fall zu Kürzungen kommen.
Der "Health-Check" der EU Kommission kann für die deutschen Landwirte teuer werden. Setzt sich die dänische EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel mit ihren Forderungen durch, müssen sich nach Angaben der Bundesregierung die deutschen Bauern ab 2009 auf Kürzungen von rund 425 Millionen Euro einstellen. Im Gegenzug hofft Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), Gelder für einen Milchfonds für die deutschen Milchbauern zu bekommen - als Ausgleich für die erwarteten Einkommenseinbußen durch die ebenfalls geplante Abschaffung der Milchquote. Dieser Sonderfonds soll einen Volumen von 300 Millionen Euro haben.
Die Frage ist nur: wie hoch? Und da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Anstatt die Subventionen um neun Prozent zu kürzen, schlägt der Agrarausschuss des Europaparlaments nun eine überaus sanfte Modulation vor: Lediglich um maximal drei Prozent sollen die Finanzhilfen der Großbetriebe über 100. 000 Euro gekürzt werden. Angefangen hatte die EU vor ziemlich genau einem Jahr mit Kürzungsvorschlägen von 45 Prozent.
Kuh-Handel beim Thema Milch?
Und noch ein weiterer Konflikt zeichnet sich vor dem Treffen der EU-Agrarminister ab - beim Thema Milch. Nach dem Willen der EU-Kommission soll die Milchquote ab dem kommenden Jahr jährlich um ein Prozent erhöht werden. Ab 2015 soll sie dann komplett fallen. Jeder Landwirt in Europa kann dann soviel Milch produzieren, wie er möchte.
Für die deutsche Milchwirtschaft wären das keine schönen Zukunftsaussichten. Je mehr Milch es auf dem Markt gibt, umso günstiger wird sie. Die schon heute für die Bauern katastrophalen Niedrigpreise für Milch würden weiter fallen. Das ist weder im Interesse der Milchbauern, noch im Interesse der Bundesregierung. Aber auch hier zeichnet sich schon ein weiterer Kuhhandel ab. Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner willigt den Kürzungen für Großbetriebe bei den Direktzahlungen ein, im Gegenzug erhält sie Zugriff auf das eingesparte Geld. Dieses fließt dann nicht, wie von der Kommission eigentlich gewünscht, in die ländliche Entwicklung. Es landet in einem speziellen Milchfonds für Milchbauern.