Urteil in Karlsruhe erwartet EU-Bankenunion im Interessenskonflikt?
Ist die EU-Bankenaufsicht durch die EZB rechtmäßig, oder kommt es dadurch zu einem Interessenskonflikt? Darüber entscheidet heute das Bundesverfassungsgericht.
Was ist die europäische Bankenunion?
Die Bankenunion ist als Reaktion auf die Krise zahlreicher Banken in der EU entstanden, die seit gut zehn Jahren andauert. Viele dieser Geldinstitute mussten mit Steuergeld gerettet werden.
Die Bankenunion besteht aus mehreren Elementen. 2013 wurde die Aufsicht für "systemrelevante" Banken von den nationalen Behörden der Euro-Staaten auf die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen. Die wichtigsten Geldhäuser sollen nach einheitlichen Regeln beaufsichtigt und mögliche Schieflagen schneller erkannt werden.
Außerdem richtete man einen Abwicklungsmechanismus für gescheiterte Banken ein, mit einheitlichen Regeln für die Abwicklung im Krisenfall. Zunächst sollen Aktionäre für Gläubiger wie etwa Großsparer einstehen, danach ein spezieller Abwicklungsfonds, in den die Banken bis Ende 2023 insgesamt 55 Milliarden Euro einzahlen sollen.
Rund 120 Geldinstitute werden heute von der EZB beaufsichtigt - darunter 21 aus Deutschland, welche 60 Prozent der Bilanzsummen auf sich vereinen. Die übrigen rund 1400 deutschen Banken und Sparkassen unterliegen weiterhin der nationalen Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Wofür ist die EZB nach den EU-Verträgen zuständig?
Nach den EU-Verträgen ist Aufgabe der EZB die Geldpolitik - mit dem Ziel, eine stabile Währung mit stabilen Preisen zu gewährleisten. Außerdem können der EZB "besondere Aufgaben" im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen werden. Um diese Befugnis wird im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht unter anderem gestritten.
Was kritisieren die Kläger?
Einige Professoren, unter anderem der Berliner Finanzwissenschaftler und Jurist Markus C. Kerber, sind gegen die Bankenunion nach Karlsruhe gezogen. Die Kläger monieren, dass die EZB durch die Bankenunion mehr Befugnisse bekommt, als sie nach den EU-Verträgen haben darf. Es sei von "besonderen Aufgaben" die Rede, aber nicht von einer kompletten Aufsicht über bestimmte Banken. Die Doppelfunktion der EZB - für stabile Preise zu sorgen und gleichzeitig Banken zu beaufsichtigen - führe außerdem zu einem Interessenkonflikt innerhalb der EZB.
Auch die europäische Bankenabwicklung monieren die Kritiker. Die Zuständigkeit von EU-Institutionen für die Bankenabwicklung werde auf die Vorschriften zum europäischen Binnenmarkt gestützt. Das sei viel zu weit hergeholt. Wenn der Abwicklungsfonds nicht ausreiche, müsse doch wieder der Steuerzahler einstehen.
Hat die EZB durch die Bankenunion mehr Befugnisse, als sie nach EU-Verträgen haben darf?
Was halten die Befürworter dagegen?
Die Befürworter sagen, die EU bekomme hier nicht mehr Befugnisse als erlaubt. In einer immer stärker international vernetzten Bankenwelt brauche es auch eine Bankenaufsicht, die nicht an nationalen Grenzen haltmacht. Im Rahmen der Bankenunion wurde 2017 etwa der Bankrott von Spaniens sechstgrößter Bank "Banco Popular" durch einen Verkauf an die Santander Bank abgewickelt, ohne Steuergeld. Als Reaktion auf die Finanzkrise stelle die Bankenunion zum Beispiel mit ihrem Fonds gerade sicher, dass der Steuerzahler nicht für die Bankenrettung aufkommen müsse.
Was ist der "rote Faden" bei Klagen zu EU-Themen?
Bei den Klagen zur Bankenunion zeigt sich ein Konflikt, der sich wie ein roter Faden durch viele Verfahren des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Thema Europa zieht. Bekommen EU-Institutionen wie die EZB mehr Macht, als ihnen die EU-Verträge erlauben? Und zwar auf Kosten der Mitgliedsstaaten?
Wichtig dabei: Die EZB ist eine von der Politik unabhängige Behörde. Sie muss sich - anders als Regierungen und Parlamente - nicht gegenüber dem Wähler verantworten. Deutschland hat durch die Volksvertreter im Bundestag bestimmte, jedoch nicht alle, Kompetenzen auf die EU übertragen. Das erlaubt und will das Grundgesetz ausdrücklich.
Wenn eine EU-Institution wie die EZB dann aber mehr machen würde, als sie nach den EU-Verträgen darf, hätte der deutsche Bürger dem - vereinfacht gesagt - nicht zugestimmt. Es geht also um Grundfragen der Demokratie. Deshalb hat Karlsruhe in solchen Fällen schon vor vielen Jahren für den einzelnen Bürger ein Klagerecht eröffnet. Andernfalls werde sein Wahlrecht "ausgehöhlt". Wenn EU-Organe sich außerhalb dieses Rahmens bewegen, kann das unter strengen Voraussetzungen ein Verstoß gegen das Grundgesetz sein.
Wie lief die mündliche Verhandlung im November 2018?
In der mündlichen Verhandlung am 27. November 2018 haben die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats durchaus kritische Fragen zur Bankenunion gestellt. Etwa zum Thema Interessenkonflikt der EZB in ihrer Doppelfunktion. "Soll man einem Hund den Wurstvorrat anvertrauen?", fragte etwa Verfassungsrichter Peter Müller. Zur demokratischen Legitimation einer unabhängigen Behörde wie der EZB fragte Verfassungsrichter Peter M. Huber, der als Berichterstatter das Urteil vorbereitet: Im Kern gehe es doch hier um die Frage: "Wie hast du's mit der Demokratie?"
Der Verlauf der Verhandlung muss aber nicht zwingend bedeuten, dass die Klagen Erfolg haben werden. Zum einen müsste der mögliche Verstoß gegen die Kompetenzvorschriften im EU-Vertrag wirklich massiv sein, damit Karlsruhe ein Stoppschild hochhält. Außerdem spricht der bisherige Ablauf des Verfahrens nicht unbedingt dafür. Wollte das BVerfG gegen die Bankenunion entscheiden, würde es den Fall zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen. Das ist bei den bisherigen zwei Vorlagen aber immer per schriftlichem Beschluss geschehen, also nicht im Gerichtssaal. Hier hat das Gericht aber eine Urteilsverkündung anberaumt. Sollten die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen werden, könnte das Gericht trotzdem rechtliche Grenzen formulieren, so wie das bei "Europa-Urteilen" schon häufig der Fall war.