Fußballclub vor Verkauf Zeitenwende beim FC Chelsea
Der Londoner Fußballclub Chelsea steht zum Verkauf - sein bisheriger Besitzer Abramowitsch kann ihn wegen Sanktionen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg nicht halten. An wen er auch geht: Der Verein wird ein anderer werden.
Viele Fans des Chelsea Football Club haben eine gute Meinung über Roman Abramowitsch, ihren Noch-Besitzer. Fast 20 Jahre wirkte der russische Oligarch, der bei öffentlichen Auftritten immer den Eindruck vermittelt, als würde er sich am liebsten hinter dem nächstgelegenen Baum verstecken wollen, im Londoner Club. Nahbar war er den Fans nie, aber was er getan hat, glänzt für sie sichtbar. Jede Trophäe hat Chelsea unter ihm gewonnen: Meisterschaft, Champions League, zuletzt die Club-WM. 21 Titel insgesamt.
Zwei Bilder, die nicht zusammenpassen
Nachgefragt, preisen die meisten Anhänger aber auch Abramowitschs soziales Engagement im Stadtviertel. Er habe die Community aufgewertet, Kindern und Jugendlichen geholfen, hört man aus vielen Mündern, die zu Spielen blaue Schals und Trikots der "Blues" tragen. Tatsächlich organisiert Abramowitsch seit Jahren eine Reihe an sozialen Projekten für Jedermann im Viertel. Nicht nur Fußball, auch Aktionen zur mentalen Gesundheit von Kindern zum Beispiel, Hilfe für sozial Abgehängte oder Unterstützung bei der Ausbildung. Er habe sich nicht nur für die besten Spieler interessiert, auch für sie im Viertel, ist zu hören.
Es ist ein völlig anderes Bild von Roman Abramowitsch als das des mit Sanktionen belegten russischen Oligarchen, der "Blut an den Händen" habe, wie einige Politiker es formulieren. Das investigative BBC-Programm "Panorama" legte kürzlich Indizien vor, die zeigen, wie Abramowitsch zu seinem Reichtum gekommen ist: laut BBC mit kriminellen Machenschaften. Auch seinen engen Draht zu Putin, viel zitiert, hinterlegte das Programm mit Belegen.
Die britische Regierung zeigt Härte
Abramowitsch bestreitet zwar seit jeher eine Verbindung zu dem russischen Machthaber. Für die britische Regierung gibt es darüber aber keinen Zweifel, und das ist der Grund, weshalb Abramowitschs FC Chelsea nur noch mit einer Sonderlizenz spielen darf. Spielertransfers sind untersagt. Nur das Verbot, Eintrittskarten zu verkaufen, wurde zuletzt teilweise aufgehoben. Was Chelseas Fans als unfair empfinden, weil sie sich mitbestraft fühlen, ist Folge einer harten Haltung der Regierung gegenüber russischen Oligarchen. Chelseas Eigentümer soll keine Geschäfte machen können, kein Geld verdienen.
Damit der Club nicht zusammenbricht, ist ein Verkauf die einzige Lösung. Roman Abramowitsch hat das schon vor den Sanktionen angekündigt; er hatte sie wohl kommen gesehen. Es ist aber auch das oberste Ziel der britischen Regierung. Fußball ist ein Kulturgut, einen Club aufgrund von Sanktionen zu zerstören ist nicht im Interesse der politisch Verantwortlichen.
Bis zu drei Milliarden Euro Erlös erwartet
Darum ranken sich nun ein paar spannende Fragen. Bisher geht jeder davon aus, dass sich Roman Abramowitsch an seine Verkaufsabsichten hält, auch wenn die Bedingungen sich verändert haben. Denn laut Regierung darf er davon keinen Penny bekommen. Zwischen zwei und drei Milliarden Euro stehen im Raum. Auch einen Kredit in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, den Abramowitsch dem Club gegeben hat, muss er abschreiben. Ob er akzeptiert? Geäußert hat er sich bisher nicht. Offen ist auch die Frage, wer das Geld letztendlich erhält.
Klar scheint hingegen für die Fans des FC Chelsea, dass der Club in Zukunft ein anderer sein wird. Die Kaufinteressenten sind keine Einzelpersonen, es sind Konsortien. Es muss auch für sie etwas dabei herausspringen. Mit dem Verkauf beauftragt ist die Raine Group, eine amerikanische Handelsbank. Sie treibt die Abwicklung in Hochgeschwindigkeit voran. Laut Branchenkennern wären sechs Monate normal; doch das Ziel ist es, Chelsea innerhalb der Hälfte der Zeit an einen neuen Eigentümer übergeben zu können - vor Ablauf der Premier-League-Saison Ende Mai.
Offen ist dennoch, ob der Mannschaft nicht zahlreiche Abgänge drohen, da Verträge derzeit nicht geschlossen werden können. Aus einer Vielzahl an Interessenten hat die Raine Group nun vier Kandidaten ausgewählt, die bis zum 11. April verbindliche und endgültige Angebote vorlegen sollen. Zu der Verpflichtung gehört, auch 1,3 Milliarden Pfund für künftige Investitionen in die Mannschaft und das Stadion bereitzustellen. Was mit den Stadtteil-Projekten passiert, die für die Fans so wichtig sind, ist fraglich.
Stimmungsbild der Fans als Faktor
Laut der britischen "Times" plant Chelsea der britischen Regierung am 18. April einen Käufer mit der Bitte um Genehmigung vorzulegen. Die braucht es unter den geltenden Sanktionen. Im finalen Kreis befinden sich laut Medienberichten wohlhabende Persönlichkeiten, die sich mit Sportclubs auskennen und für die Übernahme weitere Investoren organisiert haben. Der Ricketts-Familie gehört das amerikanische Baseball-Team Chicago Cubs, Todd Boehly ist Miteigentümer der L.A. Dodgers. Ihm hat sich der Schweizer Hansjörg Wyss angeschlossen. Martin Broughton saß British Airways und dem FC Liverpool vor. Stephen Pagliuca ist Mitbesitzer der Basketballer Bolton Celtics und dem italienischen Fußballclub Atalanta. Hoffnungen auf den Zuschlag soll sich auch der Londoner Immobilienentwickler und Chelsea-Fan Nick Candy machen.
Die Interessenten sind eingeladen, sich in London ein Bild vom Club zu machen. Einblicke in die Wirtschaftszahlen gehören dazu und Gespräche mit Verantwortlichen, mutmaßlich auch mit dem deutschen Trainer Thomas Tuchel. Es wird aber auch dazugehören, Angebote an die Fans zu machen. Das Stimmungsbild dort erscheint als ein nicht unwesentlicher Faktor. Denn auch der Club entscheidet mit, wer die Nachfolge von Roman Abramowitsch antreten soll. Und dort weiß man, was die Anhänger in den vergangenen Jahr wertgeschätzt haben.