"Shutdown" im Fokus Viel Skepsis an der Wall Street
Nach gutem Start haben sich die großen US-Aktienindizes schwer getan. Zinsängste bleiben, zudem droht ein Regierungsstillstand. Selbst Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung halfen nicht.
An der Wall Street haben die großen Aktienindizes ihre anfänglichen Gewinne nicht behaupten können und schlossen am Ende uneinheitlich. Der Dow Jones, der Leitindex der Standardwerte, verlor 0,47 Prozent auf 33.507 Zähler. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Minus von 1,3 Prozent und für den Monat September eines von 3,5 Prozent.
Etwas besser hielt sich die Technologiebörse Nasdaq, die von ermutigenden Daten zur Inflation profitierte. Aber auch die Techwerte konnten ihre Anfangsgewinne nicht halten, der Composite-Index schloss letztlich um 0,14 Prozent leicht höher, der Auswahlindex Nasdaq 100 zog um um 0,1 Prozent an. Der marktbreite S&P-500-Index, in dem sowohl Technologie- als auch Standardwerte enthalten sind, ging bei 4288 Zählern um 0,27 Prozent schwächer aus dem Handel.
Ein Hauptbelastungsfaktor blieb wie schon die ganze Woche die Aussicht auf einen Regierungsstillstand, den sogenannten "Shutdown". Republikaner und Demokraten können sich im Washingtoner Kongress nicht auf einen Haushalt einigen, ein Szenario, das es schon des Öfteren gegeben hat. Der Streit über den Etat kocht seit Jahren regelmäßig hoch, je näher der Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober rückt.
Um eine Stilllegung der Regierungsgeschäfte zu verhindern, müssten sich Republikaner und Demokraten im Kongress vor Sonntag auf eine Lösung einigen - danach sieht es momentan aber nicht aus. Die US-Regierung teilte den Beschäftigten der Bundesbehörden schon am Donnerstag mit, dass ein "Shutdown" unmittelbar bevorzustehen scheine, wie mehrere US-Medien übereinstimmend berichteten. Das würde bedeuten, dass Millionen Angestellten und Militärangehörigen kein Gehalt mehr gezahlt werden könnte.
Etwas Entspannung gab es vom Rentenmarkt, wo die die Renditen zwar hoch bleiben, heute aber über alle Laufzeiten zumindest etwas gesunken sind. Allerdings konnten auch die festverzinslichen Papiere ihre anfänglichen Kursgewinne nicht behaupten.
Zehnjährige US-Staatsanleihen rentieren bei 4,58 Prozent, nach 4,51 Prozent im Tagestief. Mit 4,69 Prozent war in dieser Woche der höchste Stand seit 16 Jahren erreicht worden, gestern rentierten sie bei 4,61 Prozent - ein für den Aktienmarkt drohendes Szenario, werden festverzinsliche Papiere doch zunehmend attraktiver. Zweijährige Staatsanleihen bieten sogar über fünf Prozent, und das bei überschaubaren Kursrisiken.
Der jüngste Rückgang der Anleiherenditen von langjährigen Höchstständen habe den Aktienmärkten eine dringend nötige Atempause verschafft, schrieb Tim Waterer, Marktanalyst beim Broker KCM Trade.
Für Unterstützung sorgten die nach unten zeigenden Inflationstrends. In den USA lag der PCE-Kernindex, ein Inflationsmaß, das die US-Währungshüter besonders im Auge halten, im August im Vergleich zum Vormonat mit 0,4 Prozent zum Vormonat niedriger als erwartet. Ohne die volatilen Lebensmittel- und Energiekomponenten stieg der Index im Monatsvergleich um 0,1 Prozent, erwartet worden war ein Anstieg von 0,2 Prozent
"Das sind sehr, sehr gute Zahlen", sagte Analystin Kim Forrest von Bokeh Capital Partners. "Auch wenn der Rückgang nicht spektakulär ist, geht er in die richtige Richtung. Ich bin sehr optimistisch, dass die Inflation weiter sinkt, und die Fed wird dies in ihren Überlegungen zu den Zinssätzen berücksichtigen."
Laut dem FedWatch-Tool der CME lagen die Wetten der Händler auf eine Zinspause im November bei 85 und im Dezember bei knapp 67 Prozent. Zinsängste bleiben allerdings den Märkten auch weiter erhalten, denn Notenbankchef Jerome Powell hat sich alle Optionen offen gehalten und erwägt mindestens noch eine Zinserhöhung in diesem Jahr.
Die US-Verbraucher zeigten sich ungeachtet der hartnäckigen Inflation auch im Sommer konsumfreudig. Sie steigerten ihre Ausgaben im August um 0,4 Prozent zum Vormonat, wie das Handelsministerium heute mitteilte. Befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Zuwachs in dieser Höhe gerechnet, nach einem Plus von aufwärts revidiert 0,9 Prozent im Juli. Der private Konsum ist eine tragende Säule der US-Wirtschaft, der mehr als zwei Drittel zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert.
Unternehmensnachrichten wurden geprägt von Nike. Die Aktien reagierten mit einem Kurssprung von 6,7 Prozent auf Geschäftszahlen. Sie knüpfen damit an ihre gestrige Stabilisierung nach einem Tief seit Oktober 2022 an.
Der Sportartikelhersteller habe im ersten Geschäftsquartal bei weitem nicht so schlecht wie befürchtet abgeschnitten, kommentierte Jefferies-Analyst James Grzinic die Zahlen. Dazu habe Nike mit dem Umsatzausblick auf das laufende Quartal positiv überrascht, ergänzte Gabriella Carbone von der Deutschen Bank. Im DAX profitierte auch Erzrivale Adidas von den Zahlen und legte über sechs Prozent zu.
Der DAX hat zum Wochen- und Quartalsschluss zugelegt, konnte seine Höchststände dabei aber nicht halten. Am Ende schloss der deutsche Leitindex bei 15.386 Punkten um 0,41 Prozent höher und knüpfte damit an die Erholung des Vortages an. Allerdings hatte es zwischenzeitlich noch deutlich besser ausgesehen, im Tageshoch erreichte der DAX 15.515 Punkte, ehe die Anleger sich zurückzogen. Rückläufige Inflationsraten, gestern in Deutschland, heute in Europa, hatten die Zinssorgen zumindest temporär verdrängt.
Die auch psychologisch wichtige Marke von 15.500 Punkten konnte der DAX aber nicht behaupten. Auch seine Tiefs vom Juli und August bei 15.456/15.469 Zählern konnten letztlich nicht überwunden werden, so dass markttechnisch keine Entwarnung gegeben werden kann.
Trotzdem grenzte der deutsche Leitindex seine Verluste im saisonal schwachen September ein, die letztlich 3,5 Prozent Prozent betrugen. Auch die Bilanz der vergangenen drei Monate fällt bitter aus, hat der DAX doch seit Ende Juni über 700 Punkte eingebüßt. Bis zum gestern bei 15.139 Zählern markierten Quartalstief betrug das Minus sogar über 1.000 Punkte.
Der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, ging bei 26.075 Punkten um 1,39 Prozent höher aus dem Handel. Hier lag das Tageshoch bei 26.354 Zählern ebenfalls deutlich höher.
Die Aussicht auf zunächst anhaltend hohen Zinsen der großen Notenbanken und die damit verbundenen Risiken für die Weltwirtschaft hatten den Börsen in den vergangenen Wochen zugesetzt - ein Szenario, das trotz der aktuellen Erholung auch weiter die Märkte maßgeblich beeinflussen sollte, so dass eine flächendeckende Entwarnung nicht gegeben werden kann.
"Mit Blick auf das vierte Quartal stellt sich für die Anleger vor allem die Frage, ob der anhaltende Ölpreisanstieg zu einer längeren Stagflation führt, bei der die Zinsen länger hoch bleiben müssen", fasste Marktanalyst Michael Hewson von CMC Markets zusammen. Diese bremse das Wirtschaftswachstum so weit ab, dass es zu einer Rezession kommen könnte, was wiederum das Risiko einer weiteren Schwäche der Aktienmärkte erhöhe.
Rückenwind für die Kurse kam zum Wochenschluss von frischen Konjunkturdaten, welche die Zinssorgen der Anlegerinnen und Anleger etwas dämpften. So ist die Inflationsrate im Euroraum im September deutlich auf 4,3 Prozent gefallen. Auch bei der Kerninflation, also die Teuerungsrate ohne die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise, zeigt der Trend nun klar nach unten.
"Dies dürfte eine Mehrheit der EZB-Ratsmitglieder mit Freude zur Kenntnis nehmen", kommentierte Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. Vermutlich werde die EZB ihre Zinsen nicht weiter erhöhen. Zuvor hatte bereits der am Morgen gemeldete stärkste Rückgang der deutschen Importpreise seit fast 37 Jahren für Erleichterung unter den Anlegerinnen und Anlegern gesorgt.
Positive Impulse für die Aktienmärkte kamen zum Wochenschluss vom Ölmarkt. Denn die Ölpreise haben sich von ihren im Wochenverlauf markierten Höchstständen etwas entfernt. Nach den kräftigen Abschlägen am Vortag kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent rund ein Prozent weniger bei 92,17 Dollar. Gestern wurden noch über 97 Dollar bezahlt. Das US-Leichtöl WTI notierte bei 90,79 Dollar ebenfalls ein Prozent schwächer. Damit bleiben die Preise hoch, sie stiegen aber zumindest nicht mehr.
Seit Anfang Juli sind die Preise um mehr als 20 Dollar gestiegen. Hintergrund ist die künstliche Angebotsverknappung durch große Förderländer wie Saudi-Arabien und Russland.
Der Euro konnte seine frühen Kursgewinne ebenfalls nicht halten. Zuletzt wurden im US-Handel 1,0570 Dollar bezahlt. Zur Mittagszeit war die Gemeinschaftswährung bei 1,0609 Dollar kurzzeitig wieder über die Marke von 1,06 Dollar gestiegen. Zur Wochenmitte lag das Tief noch bei 1,0489 Dollar und damit auf dem tiefsten Stand seit Januar. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzte den Referenzkurs auf 1,0594 (Donnerstag: 1,0539) Dollar fest
An der DAX-Spitze schnellte die Commerzbank-Aktie prozentual zweistellig empor auf das höchste Niveau seit sieben Wochen. Die Aktionäre sollen in den nächsten Jahren ein deutlich größeres Stück vom Gewinn bekommen. Die Bank will für die Jahre 2025 bis 2027 mindestens die Hälfte ihres Nettogewinns über Dividenden und Aktienrückkäufe ausschütten.
Nach der umfassenden IT-Panne bei VW hat der Autohersteller Entwarnung gegeben. "Die Produktion läuft marken- und regionsübergreifend wieder normal", sagte heute ein Sprecher. "Die IT-Infrastrukturprobleme im Volkswagen-Netzwerk konnten behoben werden, das Netzwerk arbeitet wieder stabil." Ein Netzwerkfehler hatte den Konzern am Mittwoch fast komplett lahmgelegt. Die Produktion in fast allen Werken stand still.
Bei der Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp könnte einem Pressebericht zufolge bald der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky einsteigen. Vertreter des Industriekonzerns führten mit diesem vertiefte Gespräche, berichtete das "Handelsblatt" unter Berufung auf mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen. Nach derzeitigem Stand solle Kretinsky einen Anteil von 50 Prozent an der Sparte erhalten und Thyssenkrupp AG in gleicher Höhe beteiligt bleiben.
An der Börse kommen die Pläne gut an. nach einem Gewinn von über sechs Prozent gestern zog die ThyssenKrupp-Aktie im MDAX heute weitere 1,6 Prozent an.
Die Aktien von Europas größter Medizin-Laborkette Synlab stiegen heute über 24 Prozent auf 10,09 Euro. Sie waren damit Spitzenreiter im SDAX. Der Finanzinvestor Cinven bietet zehn Euro je Synlab-Aktie und hat sich bereits fast 80 Prozent der Anteile gesichert. Gut zwei Jahre nach dem Börsengang soll Synlab so wieder bei Cinven landen.
Am SDAX-Ende brach die Suse-Aktie um rund elf Prozent ein. Hintergrund war ein Dividendenabschlag im Zusammenhang mit der Finanzierung der Übernahme durch den schwedischen Finanzinvestor EQT. Suse schüttet eine Sonderdividende von 3,20 Euro je Aktie aus, insgesamt 547 Millionen Euro. Das Geld, das EQT dadurch zufließt, reicht genau aus, dass der Großaktionär die übrigen Aktionäre damit abfinden kann.