Rätseln um Gas und EZB Zu viele Fragen, zu wenige Antworten
Wieviel Gas fließt morgen wieder aus Russland? Und was wird die EZB tun? Auch am Abend gab es dazu keine klaren Antworten. An der Wall Street herrschte demgegenüber weiter Zuversicht.
In New York, wo man sich eher wenig um russische Gaslieferungen sorgt, setzte sich der jüngste Erholungskurs nach wechselhaftem Handel fort. Der Standardwerteindex Dow Jones ging 0,15 Prozent höher aus dem Handel.
Viel deutlicher konnten die Technologiewerte an der Nasdaq zulegen, die besonders von der Bilanz von Netflix gestützt wurden. Der Nasdaq 100 gewann 1,55 Prozent hinzu.
Eine Woche vor der nächsten Zinssitzung der US-Notenbank Fed wurden auch schwache Konjunkturdaten kaum als Belastung gesehen. So sind im Juni die Verkäufe bestehender Häuser in den USA zum fünften Mal in Folge gesunken. Gegenüber dem Vormonat fiel die Zahl der Bestandsverkäufe um 5,4 Prozent, teilte die Maklervereinigung NAR mit. Analysten hatten ein wesentlich geringeres Minus von 1,1 Prozent erwartet. "Die geringere Erschwinglichkeit von Wohnraum fordert weiterhin einen Tribut von potenziellen Hauskäufern", sagte Lawrence Yun, Chefökonom des NAR. Sowohl die Hypothekenzinsen als auch die Immobilienpreise seien in kurzer Zeit zu stark gestiegen.
Der deutsche Aktienmarkt hatte bis zum Mittag seine jüngste Aufwärtsbewegung fortgesetzt. Dann schlug die allgemeine Unsicherheit wieder auf die Kurse durch. Der DAX, der im Tageshoch bereits 13.399 Punkte erreicht hatte, schloss 0,2 Prozent tiefer bei 13.282 Punkten.
Den ganzen Tag rätselten die Marktteilnehmer über widersprüchliche Angaben, ob und wieviel Gas ab morgen nach der Wartung der wichtigen Pipeline Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland fließen wird. Zudem drohte Russlands Präsident Wladimir Putin wieder damit, die Gaslieferungen herunterzufahren. Solche Unsicherheiten schätzen die Marktteilnehmer überhaupt nicht - und nahmen erst einmal wieder ihre jüngsten Gewinne mit.
Zudem bestätigten die Konjunkturdaten des Tages die schwierige wirtschaftliche Lage. So hat sich die Stimmung der Verbraucher in der Eurozone im Juli weiter eingetrübt und ist nun schlechter als beim Ausbruch der Corona-Pandemie. Das Barometer für das Konsumklima, das von der EU-Kommission ermittelt wird, sank um 3,2 Punkte auf minus 27,0 Zähler. Dies ist der tiefste Stand seit Beginn der Datenerhebung.
Angesichts der möglichen Energieengpässe hat außerdem der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wachstumsprognose für Deutschland deutlich gesenkt. "Wir glauben, dass dieses und nächstes Jahr eine Herausforderung für die deutsche Wirtschaft sein werden", sagte Oya Celasun vom IWF Washington. In diesem Jahr erwartet der IWF ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent in Deutschland. Nächstes Jahr 2023 dürfte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) demnach bei 0,8 Prozent liegen. Im Mai hatte der IWF noch für beide Jahre ein Wachstum von rund zwei Prozent prognostiziert. Generell gehe man davon aus, dass das globale Wirtschaftswachstum ausgebremst werde, so der IWF. Da Deutschland eine offene Wirtschaft sei, die stark vom Export abhängig sei, habe das Auswirkungen.
Neben dem Rätselraten über das russische Gas warf der morgen anstehende Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) seine Schatten voraus. Experten sind uneins, ob die Notenbank den Leitzins für die Eurozone um 0,25 oder sogar 0,5 Prozent anhebt.
Der Inflationsdruck in Deutschland scheint jedenfalls weiterhin hoch zu bleiben. Das belegen die Erzeugerpreise für den Juni. Sie erhöhten sich gegenüber dem Vorjahresmonat um 32,7 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Hauptverantwortlich für den Preisanstieg sind die Energiepreise. Diese lagen im Juni rund 86 Prozent höher als vor einem Jahr. Erdgas war gut 141 Prozent teurer. Strom kostete rund 93 Prozent mehr. Die Erzeugerpreise wirken sich auf die Verbraucherpreise aus, an denen die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik ausrichtet.
Die Zinsentscheidung dürfte auch den weiteren Kurs des Euro gegenüber dem Dollar beeinflussen. Die Gemeinschaftswährung wurde am Abend mit 1,0180 Dollar gehandelt. Die Regierungskrise in Italien könnte sich zum Belastungsfaktor für den Euro entwickeln. Am Abend war unklar, ob Ministerpräsident Mario Draghi, der ehemalige EZB-Chef, im Amt bleibt.
Die Ölpreise standen am Abend unter neuem Druck, weil das Bürgerkriegsland Libyen nach monatelanger Unterbrechung wieder Öl exportiert. Zwischenzeitlich hatten die überraschend gesunkenen US-Lagerbestände an Rohöl die Notierungen gestützt. Die Vorräte fielen im Vergleich zur Vorwoche um 0,4 Millionen Barrel (159 Liter) auf 426,6 Millionen Barrel, wie das US-Energieministerium mitteilte. Analysten hatten mit einem Anstieg um 2,0 Millionen Barrel gerechnet. Die Nordsee-Sorte Brent verbilligte sich um 1,1 Prozent auf 106,30 Dollar je Fass. Der Goldpreis setzte seien Abwärtstrend fort und notierte am Abend bei 1700 Dollar pro Feinunze.
Besser als erwartete Zahlen von Netflix stützten den Technologiesektor. Der Video-Streamingdienst hat im zweiten Quartal dank Serienhits nicht so schlecht wie befürchtet abgeschnitten. Die Nutzerzahlen sanken in den drei Monaten bis Ende Juni um 970.000 Bezahlabos. Damit hielt der Kundenschwund zwar an, blieb aber unter dem von Netflix selbst erwarteten Minus von zwei Millionen Abos.
Die HelloFresh-Aktie, die lange die Gewinnerliste im DAX angeführt hatte, wurde am frühen Nachmittag ans Indexende durchgereicht. Der Kochboxen-Anbieter teilte mit, er werde bei Umsatz und operativem Ergebnis im zweiten Quartal zwar besser als von Experten erwartet abschneiden. Dennoch senkte er seine Ziele für 2022. Beim Umsatzplus rechnet das DAX-Unternehmen nur noch mit einer Spanne zwischen 18 und 23 Prozent nach zuvor 20 bis 26 Prozent. Das bereinigte Ebitda wird zwischen 460 und 530 Millionen Euro erwartet. Bislang waren es 500 bis 580 Millionen Euro. Die makroökonomische Lage habe sich seit Ende des vergangenen Jahres signifikant verändert, teilte das Unternehmen mit. "So hat sich seit diesem Zeitpunkt die Inflation weltweit beschleunigt, der Krieg in der Ukraine ist ausgebrochen und die Verbraucherstimmung hat sich erheblich eingetrübt."
Im DAX war auch die Conti-Aktie zeitweise Spitzenreiter. Der Autozulieferer hat im zweiten Quartal operativ besser abgeschnitten als Analysten erwartet hatten. Der Konzernumsatz lag mit 9,4 Milliarden Euro um rund 200 Millionen über den Schätzungen der Experte. Die bereinigte Umsatzrendite vor Steuern und Zinsen (Ebit-Marge) schlug mit 4,4 Prozent ebenfalls die Prognosen. An der im April gesenkten Prognose für 2022 hält Continental fest. Allerdings muss Continental Abschreibungen von fast einer halben Milliarde Euro vornehmen. Die zusätzlichen Sanktionen gegen Russland schlagen im dortigen Geschäft der Reifensparte mit Abschreibungen von 75 Millionen Euro zu Buche.
Im MDAX führte die Uniper-Aktie das Gewinnerfeld an. Das Rettungspaket für den Energiekonzern ist Kreisen zufolge so gut wie geschnürt. Die Vereinbarung mit der deutschen Bundesregierung könne in den nächsten Tagen abgeschlossen werden, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg gestern Abend mit Verweis auf informierte Personen. Im Anschluss könnte die Bundesregierung eine Sperrminorität von bis zu 30 Prozent an Uniper halten. Deutschland erwäge, mehr als fünf Milliarden Euro in Uniper zu investieren, wobei das Gesamtengagement wahrscheinlich weniger als zehn Milliarden Euro betragen soll.
Volkswagen verbündet sich im Ringen um die knappen Chips für die Autoproduktion mit dem französisch-italienischen Halbleiter-Konzern STMicroelectronics. STMicro und die VW-Softwaretochter Cariad wollen gemeinsam Steuerungs-Chips entwickeln, die auf die künftigen Fahrzeug-Generationen des Wolfsburger Autobauers zugeschnitten sind. Die Siliziumscheiben (Wafer), auf denen die Chips produziert werden, sollen vom taiwanischen Auftragshersteller TSMC geliefert werden.
Villeroy & Boch hat im ersten Halbjahr bei Umsatz und Ergebnis zugelegt. Mit 490,3 Millionen Euro hat der Konzern 9,1 Prozent mehr umgesetzt als im Vorjahreszeitraum. Unter dem Strich stand ein Gewinn von 28,1 Millionen Euro. Man sei auch aufgrund des hohen Auftragseingangs zuversichtlich, die Jahresprognose am oberen Ende der Spanne erreichen zu können, teilte der Keramikhersteller mit.
Der niederländische Chipzulieferer ASML schraubt trotz hoher Auftragseingänge seine Erwartungen für den Jahresumsatz nach unten. Statt eines Wachstums um rund 20 Prozent geht das EuroStoxx-50-Mitglied nur noch von einem Zuwachs von zehn Prozent aus. Grund dafür ist, dass sich die Endabnahme schnell ausgelieferter Maschinen und damit die Umsatzbuchung in das kommende Jahr verschiebe. Für das dritte Quartal erwartet ASML Erlöse zwischen 5,1 und 5,4 Milliarden Euro und damit deutlich weniger als von Analysten erwartet. Im abgelaufenen zweiten Quartal steigerte der Konzern seinen Umsatz um ein gutes Drittel auf 5,4 Milliarden Euro. Damit übertraf ASML die Markterwartungen.