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marktbericht

Zins- und Rezessionsängste Wall Street fällt zurück

Stand: 23.06.2023 22:15 Uhr

Die jüngsten Zinswarnungen von Notenbankchef Jerome Powell haben der Wall Street heute zugesetzt. Zuvor hatte auch schon der DAX unter dieser Aussicht gelitten.

An den US-Börsen haben die Anleger wegen der Aussicht auf weitere Zinserhöhungen der Notenbank Fed zum Wochenschluss den Rückwärtsgang eingelegt. Der Dow-Jones-Index der Standardwerte fiel am Ende um 0,65 Prozent auf 33.727 Punkte. Auf Wochensicht stand ein Verlust von rund 1,7 Prozent.

Der breiter gefasste S&P 500 sackte um 0,77 Prozent auf 4348 Zähler ab. Der Index der Technologiebörse Nasdaq verlor ebenso ein Prozent wie der Auswahlindex Nasdaq 100, der bei 14.891 Zählern die Marke von 15.000 Punkten wieder unterschritt. Im Dow zählten Technologiewerte wie Salesforce, CiscoSystems, IBM und Microsoft zu den größten Verlierern.

Grund für die schlechte Stimmung war, wie zuvor auch schon in Europa, die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen der Fed, was wiederum Rezessionssorgen schürte. Vor einem Ausschuss im Senat hatte Notenbankchef Jerome Powell am Donnerstag signalisiert, dass auch nach zehn Zinserhöhungen in den USA noch Spielraum nach oben ist.

Investoren fürchten, dass eine zu aggressive Zinspolitik der Wirtschaft nachhaltig zusetzen könnte. "Die jüngsten Daten haben die Angst vor einer möglichen Rezession verstärkt, was die Risikobereitschaft weiter gedämpft hat", fassten die Strategen der Deutschen Bank zusammen.

Allerdings hat die Fed stets darauf hingewiesen, dass sie die Inflationsbekämpfung priorisiert, auch um den Preis einer sich abschwächenden Konjunktur. Wirklich überraschend scheinen Powells Ausführungen daher nicht, zumal die Inflationsrate mit zuletzt 4,0 Prozent immer noch deutlich über dem Ziel der Fed von 2,0 Prozent liegt.

Trotz der jüngsten Pause kann die Fed laut der Währungshüterin Mary Daly durchaus noch einige Zinsschritte gehen. Zwei weitere in diesem Jahr im Umfang von jeweils einem viertel Prozentpunkt seien derzeit eine "sehr vernünftige Projektion", sagte die Chefin des Fed-Bezirks San Francisco in einem heute veröffentlichten Interview. Allerdings sei noch keine Entscheidung darüber gefallen.

"Im Moment verfehlen wir unser Preisstabilitätsziel wirklich, und dieser Fehlschlag ist nicht trivial", sagte Daly mit Blick auf die von der Fed angestrebte Teuerungsrate von 2,0 Prozent. Zuletzt lag die Inflation in den USA mit 4,0 Prozent doppelt so hoch. "Möglicherweise sind weitere Straffungen erforderlich, um die Wirtschaft nachhaltig wieder ins Gleichgewicht zu bringen", sagte die Notenbankerin weiter. Doch hänge dies von der Datenlage ab.

Daley schloss sich mit ihren Aussagen einer ganzen Reihe von US-Notenbankern an, die zuletzt die Entschlossenheit der Fed bekräftigten, die Inflation weiter massiv zu bekämpfen. Erst gestern hatte Notenbankdirektorin Michelle Bowman deren Höhe als "inakzeptabel" bezeichnet.

Die Aussicht auf einen Streik von 3500 US-Mitarbeitern drückte unter den Einzelwerten die Aktien von Starbucks um 2,5 Prozent nach unten. Die Gewerkschaften der Kaffeekette riefen für die kommende Woche zu einer Arbeitsniederlegung auf. Hintergrund ist der Vorwurf, der Konzern habe Dekorationen im Rahmen des Pride Month in seinen Cafes untersagt. Starbucks wies das als Falschinformation zurück.

Mit einem Tagesverlust von 0,99 Prozent auf 15.829 Punkte hat sich der DAX aus einer schwachen Handelswoche verabschiedet. Im Wochenvergleich rutschte der Index um 3,2 Prozent ab. Neue Zinsängste, aber auch der Absturz der Aktie von Index-Mitglied Siemens-Energy- ließen die Anleger auf den Verkaufsknopf drücken.

Der deutsche Leitindex gab die zuletzt umkämpfte Marke von 16.000 Punkten dabei auf. Er notiert jetzt an seiner Unterstützungsmarke etwas oberhalb von 15.800 Punkten. Das Tagestief lag bei 15.733 Punkten, also rund 1,5 Prozent schwächer.

Damit hatten die "Bären" (Verkäufer) nach dem Rekordhoch vom vergangenen Freitag bei 16.427 Punkten in dieser Woche das bessere Ende für sich. Seit dem Rekordhoch bei 16.427 Punkten sind es jetzt schon rund 600 Punkte, die der DAX verloren hat.

Erneut besser als der Leitindex hielt sich der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, dessen Verluste von 0,4 Prozent auf 26.789 Punkte deutlich niedriger waren. Er war auch in den vergangenen Handelstagen besser gelaufen als der DAX.

Aus charttechnischer Perspektive steht der DAX nunmehr am Scheideweg. Mit seinen Tagestiefs gestern und heute bei 15.810/15.811 Zählern hatte er ein Doppel-Tief markiert, das er heute auf Basis der wichtigen Schlusskurse bestätigte. Das gibt zumindest etwas Hoffnung, dass kurzfristig ein Boden gefunden sein könnte.

Trotzdem ist der DAX seit seinem Fehlausbruch auf das Rekordhoch (16.427 Punkte) und dem Rutsch unter die 16.000-Punkte-Marke technisch angeschlagen.

Hintergrund der schwachen Börsentendenz zuletzt ist die Tatsache, dass es sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks immer mehr Investoren dämmert, dass die großen Notenbanken mit ihrem aggressiven Zinszyklus noch keinesfalls am Ende sind. Mehr noch, das von den "Bullen" (also den Käufern) lange favorisierte Szenario, dass es nach Erreichen des Zinsgipfels - zumindest in den Vereinigten Staaten - alsbald zu Zinssenkungen kommen könnte, ist wohl endgültig vom Tisch.

Update Wirtschaft vom 23.06.2023

Klaus-Rainer Jackisch, HR, tagesschau24, 23.06.2023 09:00 Uhr

Denn die weiterhin hohen Inflationsraten, verbunden mit zunehmend robusteren Konjunkturdaten, sprechen klar dagegen. Bestes Beispiel ist der US-Immobilienmarkt, der trotz der hohen Zinsen wieder zulegt und die Erwartungen der Experten in dieser Woche deutlich übertroffen hat.

US-Notenbankchef Jerome Powell hatte am Vortag erneut unmissverständlich klargemacht, dass die Spekulationen mancher Marktteilnehmer auf baldige Zinssenkungen jeglicher Grundlage entbehrten. Vielmehr müssten sich Anlegerinnen und Anleger auf erneute Zinserhöhungen in den USA gefasst machen.

"Hoffnungen auf eine baldige Zinssenkung sind wie eine Seifenblase geplatzt", sagte Christian Henke vom Broker IG. Fed-Chef Jerome Powell habe die Anleger recht unsanft auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Auch die Bank of England schürte mit ihrer überraschend deutlichen Zinserhöhung am Vortag die Konjunktursorgen am Markt. Eine weitere Anhebung der Sätze durch die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli gilt am Markt als ausgemachte Sache.

Zur schlechten Stimmung passt, dass mit Siemens Energy ein weiterer Industriekonzern am Vorabend eine verheerende Gewinnwarnung ausgesprochen hat. Die Aktie stürzte dramatisch um 37,3 Prozent auf 14,65 Euro ab. Nach Reuters-Berechnungen der drittgrößte Tagesverlust eines DAX-Unternehmens überhaupt. 6,3 Milliarden Euro an Börsenwert wurden dadurch vernichtet. Die Warnung reiht sich ein in ganz ähnliche Schockmomente wie jüngst von Sartorius oder Lanxess, was die Stimmung am Gesamtmarkt zusätzlich drückt.

Die Enttäuschung der Anleger belastete die gesamte Branche. Die Aktien des Windkraftanlagen-Herstellers Nordex verloren im MDAX fast sechs Prozent. Die Titel des dänischen Windturbinenbauers Vestas rutschten um mehr als vier Prozent ab.

Schlimmer wird es bei Siemens Energy zudem dadurch, dass die Probleme mit der spanischen Windturbinentochter Siemens Gamesa nicht neu sind, während die anderen Bereiche wie geplant laufen. Konkret muss der Energietechnikhersteller wegen Qualitätsmängeln und einer Milliardenbelastung bei seiner Windanlagentochter Siemens Gamesa seine Ergebnisprognose zurückziehen.

Der Chef von Siemens Gamesa, Jochen Eickholt, sagte, die Qualitätsprobleme seien "viel schlimmer, als ich es für möglich gehalten hätte". Die damit verbundenen Kosten liegen laut Siemens Energy "voraussichtlich bei über einer Milliarde Euro".

Auch die im DAX schwer gewichtete Siemens-Aktie gab rund 2,5 Prozent nach. Siemens ist unmittelbar und über Beteiligungen noch stark bei der ehemaligen Konzernsparte engagiert.

Der Euro hat seine Vortagesverluste deutlich ausgeweitet. Die Gemeinschaftswährung notierte zuletzt im US-Handel Nachmittag bei 1,0892 Dollar und damit rund einen dreiviertel Cent tiefer als am Vorabend. Damit hat der Eurokurs mittlerweile seine seit Donnerstag letzter Woche angehäuften Gewinne größtenteils wieder eingebüßt. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0884 (Donnerstag: 1,0985) US-Dollar fest.

Händler begründeten den Kursrutsch beim Euro mit der unerwartet deutlichen Eintrübung der Unternehmensstimmung im Euroraum im Juni. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global liegt mittlerweile nur noch leicht über der Grenze, die Wirtschaftswachstum von Schrumpfung trennt.

"Nach der kurzen Belebung im Frühjahr ist das Wirtschaftswachstum der Eurozone im Juni nahezu zum Stillstand gekommen", kommentierte S&P die Zahlen. Der Auftragseingang sei erstmals seit Januar wieder gesunken, der Stellenaufbau habe sich abermals verlangsamt. Die Geschäftsaussichten verschlechterten sich ebenfalls.

Konkret brach der Index für Industrie und Dienstleister im Euroraum im Juni auf 50,3 Punkte von 52,8 Zählern im Mai ein. Der an den Finanzmärkten stark beachtete Konjunktur-Frühindikator hielt sich damit nur ganz knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Commerzbank-Ökonom Christoph Weil sieht sich dadurch in seiner Einschätzung bestätigt, "dass die Wirtschaft im Euroraum in der zweiten Jahreshälfte erneut schrumpfen wird".

Die Digitalwährung Bitcoin hat am Freitag den höchsten Stand seit einem Jahr erreicht. Der Kurs der ältesten und nach Marktwert größten Kryptoanlage stieg kurzzeitig bis auf 31.411 US-Dollar. Dies ist der höchste Stand seit Juni 2022. Am Morgen hatte er zeitweise noch weniger als 30.000 Dollar gekostet.

"Die Hoffnung auf die erstmalige Zulassung eines physisch besicherten Bitcoin-ETFs auf US-amerikanischen Grund und Boden könnte die jüngste Kursrallye weiter am Leben halten", kommentierte Krypto-Experte Timo Emden. Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock und der Anbieter börsengehandelter Fonds (ETF) WisdomTree in den USA hatten in der vergangenen Woche die Einführung von Bitcoin-ETFs beantragt.

Auch immer mehr Bond-Anleger wetten auf eine tiefgreifende Rezession in Deutschland. Die Renditekurve ist so invers wie seit 1992 nicht mehr, der Abstand zwischen den kürzer und länger laufenden Titeln ("Spread") war zum Wochenschluss nochmals gestiegen. So rentieren zweijährige Bundesanleihen bei etwa 3,3 Prozent, während die zehnjährigen nur rund 2,4 Prozent abwerfen. Eine inverse Renditekurve gilt an den Märkten als verlässlicher Vorbote einer Rezession.

Gleiches galt auch für die US-Anleihemärkte. Die zweijährigen US-Treasuries rentierten heute bei 4,77 Prozent, während die zehnjährigen Pendants 3,75 Prozent abwarfen.

"Die Signale sind nicht zu übersehen, dass die Zentralbanken bereit sind, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, bei dem etwas kaputt gehen könnte oder zumindest ein stärkerer Konjunktureinbruch folgt", sagte Commerzbank-Anlagestratege Christoph Rieger.

Die PMI-Daten für die USA zeigten derweil kein einheitliches Bild. Während in der Industrie im Juni der Wert auf 46,3 Punkte weiter fiel auf den tiefsten Stand seit drei Monaten und mit 48,5 Punkten die Erwartungen verfehlte, sah es bei den Dienstleistern besser aus. Deren Stimmungsindex lag etwa wie erwartet bei 54,1 Punkten und damit oberhalb der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Der schwache Industriewert drückte auch die Stimmung am Aktienmarkt.

Konjunktur- und Zinssorgen dämpfen auch die Kauflaune der Investoren am Ölmarkt. Das Nordseeöl Brent wurde am Abend mit 73,71 Dollar je Fass um 0,1 Prozent leicht schwächer gehandelt.

Der Münchner Triebwerksbauer MTU hat bei der Luftfahrtmesse in Paris Aufträge im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar einsammelt. Der größte Teil der Bestellungen entfalle auf den Getriebefan (GTF), ein Triebwerk für Mittelstrecken-Flugzeuge, das als besonders effizient gilt, teilte MTU mit.

Die Franken-Kredite ihrer polnischen Tochter mBank belasten die Commerzbank auch im laufenden Quartal. Die Bank werde weitere 1,51 Milliarden Zloty (342 Millionen Euro) auf das Kreditportfolio abschreiben, teilte die Commerzbank am Freitag nach Börsenschluss mit. Das sei die Konsequenz aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der in der vergangenen Woche im Streit um die bei polnischen Banken lange gebräuchlichen Fremdwährungsdarlehen zugunsten der Verbraucher geurteilt hatte.

Insgesamt hat die mBank damit bereits 7,5 Milliarden Zloty (1,7 Milliarden Euro) für diese Kredite zurückgestellt. Am Ziel der deutschen Muttergesellschaft, das Ergebnis im laufenden Jahr deutlich zu steigern, ändere die Abschreibung vorerst nichts, erklärte die Commerzbank.

Thyssenkrupp verkauft die Aktien seiner Wasserstoff-Tochter Nucera bei deren Börsengang billiger als erwartet. Die bis zu 30,3 Millionen Aktien sollen zu einem Preis zwischen 19 und 21,50 Euro angeboten werden. Das entspricht einem Börsenwert zwischen 2,4 und 2,7 Milliarden Euro. Zuletzt war eine Bewertung von mehr als drei Milliarden Euro erwartet worden. Das Unternehmen soll am 7. Juli sein Debüt an der Frankfurter Börse feiern.

Aktien des Kasseler Herstellers von Wechselrichtern für Solaranlagen waren Tagessieger im MDAX mit einem Gewinn von über 16 Prozent. Das Unternehmen erhöhte nach einem besser als erwarteten zweiten Quartal seine Prognose für das Gesamtjahr. So sei die Lieferfähigkeit aufgrund der schnelleren Verbesserung der Materialversorgung auf Zuliefererseite deutlich gestiegen, heiß es.

So geht SMA Solar nun von einem Jahresumsatz von 1,7 Milliarden bis 1,85 Milliarden Euro aus, das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) soll 230 Millionen bis 270 Millionen Euro betragen. Bislang hatte das Management beim Umsatz 1,45 Milliarden bis 1,6 Milliarden und beim Ebitda 135 Millionen bis 175 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

Im zweiten Quartal konnte das Unternehmen seine Kennziffern deutlich verbessern. Die endgültigen Zahlen will SMA am 10. August veröffentlichen.

Die US-Investmentbank Morgan Stanley hatte Evotec von "Equal-weight" auf "Overweight" hochgestuft und das Kursziel von 22 auf 29 Euro angehoben. Stark laufende Geschäfte der Hamburger und mögliche neue Kooperationen dürften bei den Anlegern wieder auf Interesse stoßen, schrieb Analyst James Quigley in einer Studie. Zudem sei Evotec in Europa am besten positioniert, um von der "KI-Revolution" in der Pharmabranche zu profitieren.

Ein kaltes und verregnetes Frühjahr hat dem Baumarktkonzern Hornbach den Beginn der Gartensaison vermiest. Der Umsatz ging in den drei Monaten von März bis Mai um 2,2 Prozent auf 1,77 Milliarden Euro zurück, unter dem Strich stand ein um gut ein Drittel niedrigerer Nettogewinn von 71 Millionen Euro.

Im Rechtsstreit um verschmutztes Trinkwasser durch sogenannte Ewigkeits-Chemikalien muss mit 3M ein weiterer US-Konzern hohe Summen zahlen. Das Dow-Unternehmen einigte sich mit den Behörden auf eine Zahlung von bis zu 12,5 Milliarden Dollar. Erst kürzlich hatten auch die Chemiekonzerne DuPont, Chemours und Corteva sich zu einer Zahlung von zusammengenommen 1,2 Milliarden Dollar bereit erklärt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Juni 2023 um 09:00 Uhr.