Heftige Kursturbulenzen Börsen unter Kriegsschock
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Börsen zeitweise ins Taumeln geraten. Derweil kletterten die Preise für Rohstoffe wie Öl nach oben und schürten neue Inflationsängste. Am Abend drehte sich die Stimmung an der Wall Street.
Raus, raus, raus - zeitweise herrschte heute an diesem denkwürdigen 24. Februar Panik an Europas Börsen. Der DAX krachte um bis zu 5,6 Prozent nach unten. Am Nachmittag reduzierten sich die Verluste etwas. Das deutsche Börsenbarometer schloss um rund vier Prozent tiefer bei knapp über 14.000 Punkten.
Ähnlich hohe Verluste verzeichneten die Börsen in Paris und London. Der europäische Leitindex EuroStoxx50 sackte um 3,6 Prozent ab. In Moskau kam es zum Börsencrash: Der Leitindex RTS erlebte einen Rekord-Kurssturz von gut 40 Prozent. Er rutschte auf den tiefsten Stand seit sechs Jahren. Der russische Rubel fiel in der Spitze auf ein Rekordtief.
Investoren befürchten, dass der Ukraine-Konflikt den erwarteten Wirtschaftsaufschwung in Europa abwürgen könnte. "Die russische Invasion in der Ukraine ist eine ernste geopolitische Krise mit weitreichenden Folgen", sagte Analyst Kallum Pickering von der Bank Berenberg. Sie werde die kurzfristige Wirtschaftsleistung, insbesondere in Europa, beeinträchtigen und den globalen Anlegern einen zusätzlichen Anstoß geben, ihr Risikoengagement zu verringern.
"Entscheidend ist, wie lange die Militäroperation andauert, wie weit russische Truppen in die Ukraine vordringen und welche Reaktionen aus dem Westen und aus China erfolgen", sagte Anlagestratege Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel. Besonders Risikotitel und Bankaktien wurden heute gemieden.
Nur an der Wall Street hielt sich der Schock in Grenzen. Der Dow Jones drehte nach fünf Verlusttagen in Folge zum Handelsschluss leicht ins Plus, nachdem er anfangs noch um rund zwei Prozent abgesackt war. Der breiter gefasste S&P 500 legte um 1,5 Prozent , die technologielastige Nasdaq zog gar um 3,4 Prozent an. Allerdings hatten die Indizes bereits in den letzten Tagen kräftig Federn gelassen.
Einige Anleger spekulieren nun darauf, dass der Ukraine-Krieg den geldpolitischen Straffungskurs der Notenbanken wieder verzögern könnte. Eigentlich war für März mit der ersten Zinserhöhung der Fed gerechnet worden. Auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte es zuletzt erste Hinweise auf eine nahende Zinswende gegeben. "Der über Europa gekommene Kriegsschock verdüstert den globalen Ausblick", warnte heute EZB-Direktorin Isabel Schnabel auf einer von der britischen Notenbank organisierten Veranstaltung. Die EZB behalte die Lage genau im Auge und werde sorgfältig prüfen, welche Konsequenzen diese für ihre Geldpolitik habe.
Der militärische Einmarsch der Russen in der Ukraine dürfte indes den Inflationsdruck weiter erhöhen. Nach der russischen Invasion kletterten die Rohstoffpreise in die Höhe. Der Ölpreis stieg erstmals seit 2014 wieder über die Marke von 100 Dollar je Barrel. Die Rohölsorte Brent aus der Nordsee verteuerte sich um bis zu neun Prozent auf 105,79 Dollar je Barrel und markierte ein Siebeneinhalb-Jahres-Hoch. Im späten Handel schmolz der Preis auf 99,02 Dollar ab. Der europäische Erdgas-Future sprang um bis zu 42 Prozent auf 120 Euro je Megawattstunde in die Höhe.
Aluminium, das vor allem in der Auto- und Flugzeugindustrie gebraucht wird, kostete mit 3449 Dollar pro Tonne so viel wie. Auch der Preis für das in Lebensmittel-Dosen verwendete Zinn, zu deren wichtigsten Exporteuren Russland gehört, kletterte auf ein Rekordniveau von 45.410 Dollar je Tonne. "Durch die Sanktionen wird Russland seine Rohstoffe nicht an den Westen verkaufen können oder wollen", warnte Analyst Ricardo Evangelista vom Brokerhaus ActivTrades. "Dies wird die aktuellen Angebotsengpässe noch verschärfen."
Der europäische Weizen-Future stieg ebenfalls auf ein Rekordhoch von 344 Euro je Tonne. Laut Experten steht die Ukraine für ein Viertel des weltweiten Agrarhandels.
Experten schließen nicht aus, dass Russland auf die harten Wirtschaftssanktionen des Westens mit einem Gaslieferstopp reagiert und damit die Preisspirale weiter anheizt. Dann könnte die Inflationsrate in diesem Jahr auf über sechs Prozent klettern, prophezeit das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "So unberechenbar die politische Eskalation und Lage ist, so greifbar sind jetzt doch die denkbaren weltwirtschaftlichen Auswirkungen", kommentierte Thomas Böckelmann vom Vermögensmanagement Euroswitch die Entwicklung an den Rohstoffmärkten.
Anleger suchten sichere Häfen wie Gold, Silber, Staatsanleihen sowie Währungen wie der Yen oder der US-Dollar. Das gelbe Edelmetall verteuerte sich um bis zu 3,5 Prozent auf 1.973 Dollar je Feinunze. Das ist der höchste Stand seit 18 Monaten.
An den Devisenmärkten war der US-Dollar gefragt. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, sprang um ein Prozent nach oben. Der Euro indes rutschte erstmals seit Ende Januar wieder unter die Marke von 1,12 Dollar und kostete am Nachmittag nur noch 1,1163 Dollar. Traditionell ist der Dollar in Krisenzeiten gefragt, ebenso wie der japanische Yen.
Angesichts des Konflikts um die Ukraine fanden Unternehmensberichte nur begrenztes Interesse. So auch die Jahresbilanz der Telekom, die sich durchaus sehen lassen konnte. Der Magenta-Konzern hat 2021 den Umsatz um 7,7 Prozent auf 108,8 Milliarden Euro gesteigert. Das um Sondereffekte bereinigte operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erhöhte sich um 6,6 Prozent auf 37,3 Milliarden Euro. Beim freien Mittelzufluss (FCF AL) wurden 8,8 Milliarden Euro verzeichnet. Bei beiden Werten erreichte die Deutsche Telekom damit etwas mehr als sie selbst angepeilt hatte. Auch die Schätzungen der Analysten wurden übertroffen. Die T-Aktien fielen dennoch um über sechs Prozent.
Am Abend gab VW Details für den möglichen Teil-Börsengang seiner Sportwagentochter Porsche bekannt. Der Wolfsburger Autokonzern und sein Haupteigner Porsche SE unterzeichneten eine Eckpunktevereinbarung. Auf deren Grundlage solle geprüft werden, ob eine Platzierung möglich sei, teilten beide Unternehmen mit. Ob es tatsächlich dazu kommt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren sowie dem Börsenumfeld ab. Die Vereinbarung sieht vor, dass das Grundkapital der Porsche AG je zur Hälfte in Vorzugs- und Stammaktien aufgeteilt wird. Bis zu 25 Prozent der Vorzüge sollen am Kapitalmarkt platziert werden.
Die Porsche SE, über die die Familien Porsche und Piech die Mehrheit an Volkswagen halten, werde 25 Prozent zuzüglich einer Aktie der Stammaktien zeichnen. Die Holding soll die Papiere zum Preis der Vorzugsaktien zuzüglich einer Prämie von 7,5 Prozent erwerben. Auch das Emirat Katar, das mit 14,6 Prozent an VW beteiligt ist, will sich an den Vorzugsaktien der Porsche AG beteiligen. Die stimmberechtigen Stammaktien sollen nicht an der Börse gelistet werden.
Derweil stockt Mercedes-Benz nach einem Gewinnsprung die Dividende für die Aktionäre kräftig auf. Sie soll von 1,35 Euro je Aktie auf nun 5,00 Euro steigen. Das Geld ist da, 2021 verdiente der zuletzt noch unter Daimler firmierende Autokonzern mit 23 Milliarden Euro gut sechsmal so viel wie ein Jahr zuvor. Der Umsatz kletterte trotz gesunkener Autoverkäufe um neun Prozent auf 168 Milliarden Euro. Bei der Umsatzrendite schafften die Schwaben mit 13 Prozent einen neuen Rekord. Eine solch hohe Marge peilt die Marke mit dem Stern auch für 2022 an. Der Autobauer will durch die Fokussierung auf Luxusmodelle den Gewinn auf hohem Niveau halten.
Auch Deutschlands größer Softwarekonzern SAP hat eine höhere Dividende angekündigt. Sie soll um 60 Cent auf 2,45 Euro steigen. Die Zahlung schließe eine Sonderausschüttung von 50 Cent zum 50-jährigen Bestehen des Unternehmens ein. Insgesamt entspricht dies einer Erhöhung um 32 Prozent. Sollten die Anteilseigner auf der Hauptversammlung am 18. Mai dem Dividendenvorschlag zustimmen, käme SAP auf eine Ausschüttungsquote von 54 Prozent.
HeidelbergCement, der einzige Baukonzern im DAX, verbreitete ebenfalls frohe Nachrichten: "Die weltweiten Infrastrukturmaßnahmen werden sukzessive zum Absatzwachstum unserer Produkte beitragen", sagte Unternehmenschef Dominik von Achten bei der Vorlage der Bilanz. 2021 schloss HeidelbergCement dank gut laufender Geschäfte mit einem Milliardengewinn ab. Der auf die Aktionäre anfallende Überschuss betrug 1,76 Milliarden Euro. Hohe Abschreibungen hatten dem Unternehmen ein Jahr zuvor einen Verlust von gut 2,1 Milliarden Euro eingebrockt.
Zu den Gewinnern zählten heute Aktien von Firmen, die auf erneuerbare Energien setzen. Die Titel von Nordex zogen um 12,8 Prozent an, die Aktien von RWE gewannen 0,5 Prozent. Die Aktien von Siemens Energy waren mit einem Plus von über sieben Prozent DAX-Spitzenreiter. Mehrere Fondsgesellschaften drängen das Unternehmen in Richtung einer kompletten Übernahme der Windkrafttochter Siemens Gamesa. Dann könne Siemens Energy dort durchgreifen und würde gleichzeitig den Umsatzanteil mit erneuerbarer Energie erhöhen.
Aus den Depots wurden vor allem Finanzwerte geworfen. Die Aktien der Deutschen Bank waren mit einem Minus von 12,5 Prozent DAX-Schlusslicht. Noch etwas schwächer zeigten sich die Commerzbank-Aktien im MDax, die rund 13 Prozent einbrachen. Bankwerte hatten zuletzt stark von der Aussicht auf höhere Zinserträge profitiert. Womöglich könnte sich die Zinswende nun aber wegen des Ukraine-Kriegs verzögern. Zudem könnte ein Ausschluss Russlands auf dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift, über den noch spekuliert wird, auch westliche Banken belasten.
Rüstungswerte zählten heute zu den Profiteuren des Ukraine-Kriegs. Die Aktien von Rheinmetall stiegen um über drei Prozent auf den höchsten Stand seit zwei Jahren. Auch die Papiere des Rüstungselektronik-Herstellers Hensoldt legten kräftig zu.
Seit Dienstag sind Rüstungsaktien hoch im Kurs. Die Titel von Rheinmetall kletterten seither um gut acht Prozent, Hensoldt sogar um über 13 Prozent nach oben.
Der französische Versicherer Axa hat seinen Gewinn im zweiten Corona-Jahr dank gesunkener Schäden und lukrativer Finanzgeschäfte mehr als verdoppelt. Der Überschuss stieg um 131 Prozent auf 7,3 Milliarden Euro. Besonders gut habe sich der hauseigene Rück- und Spezialversicherer Axa XL entwickelt, sagte der deutsche Konzernchef Thomas Buberl. Der bereinigte Gewinn je Aktie soll in den Jahren 2020 bis 2023 jetzt im Schnitt um rund sieben Prozent steigen. Für das abgelaufene Jahr sollen die Anteilseigner eine Dividende von 1,54 Euro je Aktie erhalten.
Gegen den schwachen Börsentrend stiegen die Moderna-Aktien um rund 15 Prozent. Der mRNA-Impfstoff Spikevax hat Moderna im vierten Quartal einen Nettogewinn von 4,9 Milliarden Dollar beschert. Im gesamten abgelaufenen Jahr verdiente die US-Biotech-Firma 12,2 Milliarden Dollar. Insgesamt ließ die starke Vakzin-Nachfrage die Erlöse von 803 Millionen im Vorjahr auf 18,5 Milliarden Dollar steigen. Für 2022 hob Moderna die Absatzprognose für seinen Corona-Impfstoff leicht an. Moderna rechnet nun mit Erlösen von etwa 19 Milliarden Dollar. Der Corona-Vakzinhersteller will zudem eigene Aktien im Wert von drei Milliarden Dollar zurückkaufen.
Der Onlinehändler eBay hat mit seinen Prognosen für das erste Quartal die Anleger enttäuscht. Der US-Konzern sagte gestern nach Börsenschluss für das Auftaktquartal ein Ergebnis je Aktie zwischen 1,01 und 1,05 Dollar und einen Umsatz zwischen 2,43 und 2,48 Milliarden Dollar voraus. Beides lag unter den Erwartungen des Marktes. Die Aktie schloss dennoch nach anfänglichen Verlusten 1,6 Prozent fester.