Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört Das Märchen vom fairen Handel
Die EU will mit viel Geld Entwicklung in Afrika fördern und Fluchtursachen damit bekämpfen. Übersehen wird dabei, dass Europa mitverantwortlich für afrikanische "Wirtschaftsflüchtlinge" ist. Beispielsweise in Ghana, wo die EU-Wirtschaftspolitik die Geflügelwirtschaft zerstört - und damit auch Tausende Arbeitsplätze und Perspektiven.
Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkstudio Nordwestafrika
Stände mit bunten Sonnenschirmen und kleine überdachte Holzbuden bilden ein Labyrinth von endlos langen Gassen auf dem großen Madina-Markt in Ghanas Hauptstadt Accra. Frisches Gemüse wird hier verkauft, Obst, Fisch, vor allem aber Fleisch. Metzger mit langen Beilen zerteilen Lammschultern, Rinderhüften und Schweinefüße.
Fleisch made in Ghana, die Kunden schwören darauf. Beim Geflügel sei das anders, sagt Gladys Klu vom Metzgerladen "Goodness and Mercy": "Das importierte Hähnchen verkauft sich besser. Denn die Importhähnchen sind einfach schöner verpackt, das sieht ansprechender aus. Und: Sie sind auch noch billiger als die einheimischen."
Das Geschäft mit Importgeflügel brummt
Pro Woche verkauft Gladys Klu alles an Importgeflügel, was ihr die Zwischenhändler anliefern: insgesamt rund 500 Kilo tiefgekühlte Hühnerbeine, Hühnerfüße und Hühnerflügel. In einer Theke tauen die Pakete vor sich hin, das Tauwasser tropft in kleinen Rinnsalen an den Glasscheiben herunter. Kein Wunder, bei über 40 Grad im Schatten und ständigen Stromausfällen.
Das Geschäft brummt, trotz der Probleme mit der Kühlkette. Auf den heimischen Hähnchen aus Ghanas Geflügelfarmen bleibt Gladys oft sitzen. Und deswegen will sie die bald gar nicht mehr anbieten. Kundinnen wie Kesewaa Adu-Darko würden sie ohnehin nicht kaufen: "Ich achte immer darauf, dass es Importgeflügel ist. Das einheimische macht einfach zu viel Arbeit. Die Importhähnchen kann man in abgepackten Teilen kaufen. Ja, das Importfleisch ist oft sehr fett, viel fetter als unser ghanaisches Hähnchenfleisch. Aber ich kaufe trotzdem das ausländische Geflügel, und das würde ich auch tun, wenn es teurer wäre. Denn da sind die Teile schon verarbeitet, ich muss kein ganzes Huhn mehr zerteilen, da geht das Kochen schneller."
Import-Angebot bestimmt, was in Ghana auf den Tisch kommt
Früher wurden auf dem Madina-Markt in Accra pro Tag noch mehr als 3000 lebende Hühner aus ghanaischer Züchtung verkauft - doch das ist lange her. Das einheimische Huhn ist mittlerweile vom Markt fast ganz verschwunden, das Lebendfleisch sowieso.
"Mit dem Import von Geflügel ging es hier in Ghana nach der großen Dürre von 1983 los. Erst waren es nur Hühnerbeine und -füße, dann kamen bald die ersten verarbeiteten und tiefgefrorenen Produkte auf den Markt. In den Neunzigern kam es dann zu einem Boom von US-amerikanischen Importen, besonders Hähnchenschenkel und -flügel sind seitdem sehr beliebt. Das sind die Produkte, die man mittlerweile überall auf unseren Märkten findet und die alles andere fast verdrängt haben", erklärt Henry Anim-Somuah. Er ist Agrarwissenschaftler an der Universität von Ghana. Sein Land habe es versäumt, die eigene Geflügelwirtschaft zu stärken, sagt er, deshalb sei der Markt mit ausländischem Geflügel überschwemmt.
Heute bestimme das Import-Angebot, was in Ghana auf den Tisch kommt, so Anim-Somuah: "Eine dreiköpfige Familie will Hähnchenkeulen zu Abend essen. Das bekommt diese Familie günstiger, wenn sie die importierten tiefgefrorenen Teile kauft, denn ein Huhn hat nun mal nur zwei Beine. Die Importe haben also alles durcheinandergebracht die Märkte und die Produktion."
Mittlerweile importiert Ghana im Jahr rund 165.000 Tonnen Fleisch, aus den USA, aus Brasilien, aus der Europäischen Union. Allein 90.000 Tonnen davon sind Geflügelteile. Was am Beispiel von Ghana einmal als Notimport-Programm begonnen hat, dient heute vor allem den Interessen der weltweiten Nahrungsmittel-Exporteure.
Afrikas Wirtschaft ist zu schwach für Wettbewerb
Die Europäische Union verhandelt seit über zehn Jahren mit afrikanischen Ländern über eine Wirtschaftspartnerschaft. Das so genannte Economic Partnership Agreement, kurz EPA, legt fest, dass diese Länder ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe öffnen und schrittweise Zölle abschaffen müssen. Wer nicht mitmacht, dem drohen Währungsfonds und Weltbank schon mal mit Kreditsperre.
Im Gegenzug sollen die afrikanischen Länder weiterhin zollfreien Zugang zu europäischen Märkten erhalten. Zumindest versprechen das die Brüsseler Behörden. Ihr Credo: Nur ein freier Markt mache Afrika wettbewerbsfähig. Dabei zeigen mehrere Studien das genaue Gegenteil: dass Afrikas Märkte für einen solchen Wettbewerb zu schwach sind.
Geflügelfarmer Augustine Amankwaah steht mitten in einem riesigen Stall. Tausende Hühner picken Futter aus großen Trögen. Amankwaah ist Geschäftsführer einer Farm in der Nähe von Accra, einer der wenigen Geflügelfarmen, die noch nicht aufgegeben haben.
Während ein ganzes Huhn nach acht Wochen Zucht und Verarbeitung auf der Farm rund 3,60 Euro kostet, bieten die ausländischen Produzenten das gleiche Huhn im Schnitt bis zu zwei Euro billiger an. Solche Dumpingpreise haben dazu geführt, dass Ghanas Bauern nur noch einen Marktanteil von zehn Prozent haben – im eigenen Land.
"Es ist ein gnadenloser Wettbewerb. Die internationalen Produzenten wollen ihr Geflügel hier günstig verkaufen - und wir müssten unsere Kosten reduzieren, damit wir mithalten können. Aber unser Geflügel ist einfach zu teuer - es beginnt schon damit, dass wir Tagesküken zukaufen müssen. Unser Produkt ist am Ende einfach teurer als das importierte Fleisch, und deshalb sind wir nicht wettbewerbsfähig", sagt Amankwaah.
EU-Hähnchen-Exporte nach Afrika haben sich verdreifacht
Ein Erfolg ist die Handelspartnerschaft EPA vor allem für die EU. Seit 2009 haben sich die Hähnchen-Exporte aus Europa in Richtung Afrika verdreifacht. Allein vom Geflügel, das Deutschland in die EU ausführte, landeten im vergangenen Jahr mehr als 48.000 Tonnen auf dem afrikanischen Kontinent: Hälse, Flügel, Innereien. Reste, die in Europa, wo sich alle auf das fettarme Hähnchenbrustfilet stürzen, niemand essen will, die aber in Ghana begehrt sind.
Die Farm in der Nähe von Accra steht mittlerweile kurz vor dem Aus. Einige Angestellte hat Augustine Amankwaah schon entlassen müssen. Die Geflügelproduktion sei nicht mehr rentabel, sagt er. Ghanas Bauern müssten zuschauen, wie die ausländischen Konzerne den Markt beherrschten, und wie ihre eigene Lebensgrundlage wegbricht.
"Viele Kollegen gehen pleite. Die Kosten sind zu hoch. Wer nicht genug Kapital hat, muss früher oder später einpacken", sagt Amankwaaha. Viele wollen Ghana sogar verlassen. Andere Farmer finanzieren sich noch mit Geld aus der Familie, und wenn es da irgendwo hakt, sind die Reserven schnell aufgebraucht. Lange kann sich da niemand über Wasser halten, und dann ist es bald vorbei mit dem Geschäft."