Szenario zum Ausstieg aus dem Euro Wäre der "Grexit" wirklich harmlos?
Die Griechen wollen vielleicht irgendwann raus aus dem Euro - nicht so schlimm? Der "Grexit", bislang als Apokalypse beschrieben, wird plötzlich als immer harmloser abgetan. Aber wäre er das? Und wie sähe ein "kontrollierter" Austritt aus?
Einmal Euro, immer Euro. So steht es zwar nicht wörtlich, aber dem Sinn nach in den europäischen Verträgen. Die Mitgliedschaft in der Währungsunion soll "unwiderruflich" sein. So haben es Europas Verfassungsgeber Anfang der 90er-Jahre bewusst formuliert. Sie wollten erst gar keine Diskussion aufkommen lassen, ob man dem Euro nicht nur beitreten, sondern ihn auch wieder verlassen kann.
Trotzdem wird nun offen wie nie über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone ("Grexit") debattiert. "Wir lassen uns nicht erpressen", sagt der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Mit anderen Worten: Wenn die Griechen unbedingt raus wollen aus dem Euro - dann sollen sie doch. Verträge? Sind was für Juristen, nichts für die Ewigkeit.
Ein erstaunlicher Positionswechsel ist das. Denn lange Zeit galt ein möglicher "Grexit" als gleichsam apokalyptisches Ereignis, das unter Umständen sogar den Zerfall der gesamten Währungszone nach sich ziehen würde. Und nun? Soll der Austritt Athens plötzlich "verkraftbar" sein. Ist die Sache wirklich so einfach? Und wie sähe so ein "kontrollierter" Austritt eigentlich aus?
Kein Rahmen vorgesehen
Für ein Ereignis, das eigentlich gar nicht vorgesehen ist, gibt es naturgemäß auch keinen institutionellen Rahmen. Grob skizzieren lässt sich das mögliche Szenario eines "Grexits" allerdings durchaus. Die erste Etappe auf dem Weg dorthin ist sogar schon terminiert - nämlich die griechische Parlamentswahl am 25. Januar. Umfragen zufolge gilt als wahrscheinlich, dass die linke Syriza-Partei des vermeintlichen "Erpressers" Alexis Tsipras dort zur stärksten politischen Kraft aufsteigt.
Die zweite Etappe wäre danach eine Regierungsbildung unter Führung von Tsipras, was dem ARD-Griechenland-Korrespondenten Thomas Bormann zufolge zwar schwierig, aber nicht unmöglich werden dürfte. Dann stünden schließlich - Etappe Nummer drei - Gespräche zwischen Athen und der übrigen Eurozone über eine Restrukturierung der griechischen Schulden an; das hat Syriza den Wählern versprochen.
Wie diese Verhandlungen ausgehen würden, lässt sich seriös nicht prognostizieren. Denn noch ist Tsipras den Nachweis schuldig, dass er nicht nur zum Tribun, sondern auch zum Pragmatiker taugt. Und nicht nur er müsste sich bewegen, sondern auch die angeblich "Erpressten" aus Berlin, die "gerade anfangen, die Messer zu wetzen", wie Carsten Brzeski, Chefökonom der ING Diba, sagt. Und zustimmen müssten zum Beispiel auch die Spanier oder die Portugiesen - also ausgerechnet "Länder, in denen die Regierungen ihrer eigenen Bevölkerung harte Reformen zumuten", wie Barbara Böttcher, Europa-Expertin der Deutschen Bank, sagt. Einfache Verhandlungen würden das nicht. Und wenn sie scheitern? Wäre der "Grexit" vermutlich keine Frage des "Ob" mehr, sondern nur noch des "Wie".
Andere Situation als in der akuten Krisenphase
Hier nun wird die Sache kompliziert. Zwischen 2010 und 2012 galt ein kontrollierbarer "Grexit" als nahezu ausgeschlossen. Zu groß war damals die Gefahr, eine Panik würde ausbrechen, die andere Krisenländer wie Portugal oder Italien infiziert und schließlich epidemische Ausmaße annimmt. Als ein Übertragungsweg für die Erreger galt der Bankensektor. Die großen französischen, aber auch einige deutsche Geldhäuser hatten teils beträchtliche Summen an Griechenland verliehen. Wäre es zum großen Knall gekommen, hätten die Institute - so hieß es jedenfalls - immense Probleme bekommen. Inzwischen haben die Banken jedoch ihr Engagement in Griechenland stark zurückgefahren. Außerdem sind die Geldinstitute heute widerstandsfähiger als noch vor zwei, drei Jahren.
Als zweiter Übertragungsweg galt in der Hochphase der Eurokrise der Finanzmarkt, genauer: der Handel mit Staatsschulden. Vor zwei bis drei Jahren waren neben den Griechen auch die Portugiesen und Iren außerstande, sich frisches Geld bei Investoren zu besorgen. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als müssten die Schwergewichte Italien oder Spanien unter den Rettungsschirm flüchten. Und heute? - Sind die Refinanzierungsbedingungen plötzlich so gut wie nie. Das liegt vor allem am Versprechen der EZB, die Staatsschulden der Problemländer notfalls aufzukaufen. Hinzu kommt der inzwischen dauerhafte Rettungsfonds ESM, der Beistand verspricht, falls ein Euroland in Not geraten sollte. "Diese Anker gab es damals noch nicht“, sagt Expertin Böttcher.
Das heißt allerdings nicht, dass es nicht auch besorgniserregende Entwicklungen gäbe. Der Athener Aktienindex ist in den vergangenen Wochen um mehr als 20 Prozent gefallen. Investoren verkaufen also griechische Wertpapiere, um das Geld anderswo anzulegen. Das ist noch keine ausgewachsene Kapitalflucht, aber ein ungutes Zeichen. Zudem heben griechische Sparer offenbar wieder vermehrt Geld von ihren Konten ab. Auch das ist noch kein Bank-Run, aber es trägt auch nicht dazu bei, die Lage zu beruhigen. "Je näher wir einem möglichen 'Grexit' kommen, desto größer wird die Gefahr, dass die Sparer und Investoren nervös werden", sagt Ökonom Brzeski. Das bedeutet, dass der Austritt, wenn er wahrscheinlicher wird, auch schwerer zu kontrollieren sein dürfte.
Bank-Run wäre nicht ausgeschlossen
Daneben stellen sich andere Fragen: Würden die Griechen, solange zum Beispiel die Verhandlungen mit der Eurozone laufen, ihre Schulden weiter bedienen - oder droht mitten im Prozess ein "Default", ähnlich wie zuletzt in Argentinien? Oder: Wie verhält sich die EZB? Kann sie überhaupt noch ihr geplantes Programm zum Kauf von Staatsanleihen angehen, ohne dass es wie eine Sonderhilfe für Athen aussieht? Und wie lange wird sie die griechischen Banken mit Liquidität versorgen, wenn sie fürchten muss, dass die Institute bald implodieren?
Letzten Endes könnte es tatsächlich die Europäische Zentralbank sein, die den "Grexit" vollstreckt. "Denn wenn Griechenland seine Schulden gegenüber der Eurozone nicht mehr bedient, dann wird die EZB sich sehr gut überlegen, ob sie weiterhin Euro an den griechischen Finanzsektor vergibt", sagt Breszki. Dreht sie den Liquiditätshahn zu, bliebe der Athener Regierung vermutlich wenig anderes übrig, als zur Drachme zurückzukehren.
Geordnet könnte das so aussehen, dass die Banken für ein Wochenende geschlossen werden und man dann, als würde die Euro-Einführung einfach revidiert, die Konten umstellt und in den Tagen danach auch das Bargeld umtauscht. Vermutlich würde dieser Schritt aber mit einer drastischen Abwertung einhergehen - was wiederum einen ungeordneten Ablauf sehr viel plausibler macht. Das hieße: Viele Menschen würden versuchen, ihre Konten rechtzeitig zu räumen. Ein Bank-Run - mit programmiertem Chaos.
Was das für den Rest Europas bedeutet? Vermutlich keine Epidemie, wie es 2012 wohl der Fall gewesen wäre. Aber soll man es darauf ankommen lassen?