"Overtourism" in Österreich Wie Hallstatt mit seinem Weltruhm kämpft
Bei "Overtourism" denken die meisten an Venedig. Doch Hallstatt in Österreich übertrifft die Zahl der Touristen, die auf einen Einheimischen kommt, fast um das Fünfzigfache.
Ganz in der Früh ist es noch herrlich ruhig. Da haben die Hallstätter ihr Dorf fast für sich, der See glitzert in der Morgensonne. Die Promenade am See ist fast menschenleer, und man hört kaum einen Laut. Aber schon gegen 8 Uhr ändert sich die Szenerie dramatisch. Große Reisebusse kommen über die Landesstraße und bringen die Tagestouristen in großen Schwüngen. Auch die rund 350 Pkw-Parkplätze füllen sich.
An Spitzentagen in der Hochsaison sind es bis zu 10.000 Gäste am Tag. Und dann geht es los mit der Unruhe. Gelächter und Gerede in unzähligen Sprachen ist dann überall zu hören, wenn sich die Reisegruppen durch das 800-Einwohner-Dorf am Hallstätter See drängen. Besonders oft hört man chinesisch, koreanisch, vietnamesisch, denn auffällig viele Touristen kommen aus asiatischen Ländern.
Hallstatt-Hype durch Netflix-Serie
Eine Gruppe aus Malaysia macht die typischen Selfies am See, mal alle zusammen, mal einzeln. Und sie erklären auf Englisch: Jeder in Asien will einmal Hallstatt besuchen. Es ist ganz vorne auf der Bucket-Liste.
Ursprung dieser asiatischen Liebe zu Hallstatt ist mutmaßlich eine südkoreanische Netflix-Serie, "Spring Waltz" aus dem Jahr 2006, die zum Teil in Hallstatt gedreht wurde. Viele wollen den Ort seither in echt sehen. Für weiteren Ruhm hat gesorgt, dass man das österreichische Dorf in China samt See und Marktplatz nachgebaut hat. Und mittlerweile verstärken Tausende Hallstatt-Selfies in sozialen Netzwerken den Hype. Der Ansturm ist ungebrochen. Die Touristen kommen mittlerweile das ganze Jahr über und nicht nur im Sommer.
"Ich verstecke mich in meinem Haus"
Das macht vielen Hallstättern zu schaffen. An den Wänden hängen große Plakate mit der Aufforderung nicht laut zu schreien und keine Musik zu hören - in Symbolbildern, damit es wirklich jeder lesen kann. "Alles für die Touristen, nichts für uns!" - auch solche Schilder hängen an einigen Balkonen. Eine Hallstätterin, die kurz heraustritt, erzählt, dass der Lärm schlimm sei, gerade im Sommer, aber dass sie das den Medien nicht mehr sagen wolle. Da bekäme man schnell Ärger im Dorf, wenn man gegen die Touristen rede.
Friedrich Idam von der "Bürgerliste Hallstatt" findet hingegen klare Worte: Der öffentliche Raum von Hallstatt sei okkupiert von den Touristen, vom Badestrand bis zum Marktplatz. Den Dorfmarkt halte man mittlerweile an einem geheimen Platz am Rand von Hallstatt ab, damit man zumindest dort ungestört sei.
An Samstagen wie heute, wenn die Sonne scheint und gut ein paar Tausend Besucher kommen, sieht er für sich nur einen Ausweg "Ich gehe in die Immigration! Das ist das Einzige, was ich tun kann, um mich zu schützen: mich in meinem Haus verstecken." Deshalb fordern er und weitere Bürger von Hallstatt eine Obergrenze für Besucher, damit wieder etwas Dorfleben möglich ist.
Parkgebühren sorgen für volle Gemeindekasse
Doch natürlich hat der Tourismus auch enorme Vorteile für das Mini-Dorf im Salzkammergut. Die Gäste geben viel Geld aus, wenn sie in Restaurants Schnitzel essen, Hallstatt-Krüge kaufen oder Eintritt bezahlen. Allein die Parkplätze bringen einen Gewinn von mehreren Hunderttausend Euros pro Jahr. Die Gebühr fürs WC bei der Schifffahrtstation läppert sich und bringt, so nennen es viele Ansässige mit einem Augenzwinkern, die "Pinkelmillion".
Bürgermeister Alexander Scheutz (SPÖ) erklärt, dass die Hallstätter ohne die Einnahmen durch die Touristen auf vieles verzichten müssten. "Wir hätten keine Nachmittagsbetreuung für unsere Volksschulkinder, ganztägiger Kindergarten, Essen auf Rädern für unsere alten Menschen, oder auch unsere Gemeindewohnung, über 30 Wohnungen, Quadratmeterpreis von fünf Euro, das wäre alle nicht möglich ohne Tourismus, das muss man ehrlich sagen."
Nur wegen der Touristen könne man auch die jungen Leute hier halten, sonst wäre es schwierig mit Arbeitsplätzen. Außerdem wäre hier kaum was los bei nur 800 Einwohnern, findet Gastwirt Thomas Pilz, dem das Restaurant "I da Mitt" am beschaulichen Marktplatz gehört: "Die Stadt ohne Touristen wäre eine Ruinenstadt, wie im wilden Westen."
Hass-Liebe zu den Touristen
Es ist ein Dilemma für die Hallstätter: Sie brauchen die Touristen, und sie ächzen unter den Unmengen. Auch der Bürgermeister findet, dass mehrere Tausende Tagesgäste pro Tag zu viel sind. Man habe auch schon Maßnahmen ergriffen. Seit einigen Jahren gibt es in Hallstatt ein Slotsystem für die großen Reisebusse. Nur wer vorab bucht, darf überhaupt parken.
Statt früher bis zu 90 Reisebussen pro Tag kommt heute nur noch die Hälfte. Doch für Probleme sorgen auch die Pkw und Kleinbusse. Die fahren heran, auch wenn die 350 Kleinparkplätze bereits voll sind. Extra abgestelltes städtisches Personal versucht diese Gäste dann abzuweisen, oft ohne Erfolg, berichtet der Bürgermeister. "Die werden a bisserl aggressiv auf unser Personal, und wenn sie einmal da sind, dann wollen sie nicht mehr wegfahren." Viele parken dann kurzerhand illegal - und ziehen los für das obligatorische Selfie.
Wie geht es weiter?
Auch wenn die einen Hallstätter eher den Gewinn durch die Touristen sehen und die anderen sich von Lärm und Ärger gegängelt fühlen, sind sich alle einig, dass es so nicht weitergehen kann. In größeren Runden berät man derzeit darüber, wie viele Touristen Hallstatt verträgt. Welche Zahl am Ende steht und ob man sie dann Obergrenze nennt, das ist derzeit völlig offen. Und auch mit welchen Maßnahmen man einen Ansturm von rund 78 Nationen überhaupt bremsen kann, steht in den Sternen.
Bürgermeister Scheutz hat angekündigt, das Land um Hilfe zu bitten und die Nachbargemeinden mit ins Boot zu holen. Von Hallstatts Weltruhm würden schließlich alle profitieren, deshalb müsse man jetzt zusammenhalten.