Tourismus in Frankreich Zu viel los am Mont Saint Michel?
Mit 80 Millionen ausländischen Touristen liegt Frankreich weiterhin an der Spitze der beliebtesten Reiseziele. Das zeigt sich vor allem an Orten wie dem Mont Saint Michel. Aber wieviel Tourismus verträgt ein Land?
Dicht an dicht laufen sie durch die Gassen von Mont Saint Michel. Besucherinnen und Besucher aus aller Welt, manche mit Köfferchen, manche mit Kinderwagen, manche im Rollstuhl - alle schieben sich hoch zur berühmten Abteikirche. Den ganzen Tag über geht das so, vor allem im Sommer und hauptsächlich zwischen 11 und 16 Uhr. In diesem Jahr erwartet die kleine Gemeinde in der Normandie drei Millionen Gäste, so viele wie nie zuvor.
Mont Saint Michel, dieses Inselchen im französischen Wattenmeer, ist nach der Hauptstadt Paris die am häufigsten besuchte Touristenattraktion Frankreichs - und das, obwohl in der kleinen Gemeinde nur etwa 30 Menschen leben. Erstmals haben sie in diesem Jahr versucht, die Besucherströme ein wenig zu regulieren. Wirklich nur ein wenig, denn vergraulen möchte man natürlich niemanden. Schließlich bringen die Gäste viel Geld ein.
Parken morgens und abends günstiger
Thomas Velter, Leiter der öffentlichen Einrichtung des Mont Saint Michel, beschreibt es so: "Unsere erste Maßnahme ist Kommunikation. Wir wollen Besucher auf Social Media, in der Presse und anderen Medien ermuntern, vor 10 oder 11 Uhr vormittags zu kommen oder nach 16 Uhr am Nachmittag, also außerhalb der Stoßzeiten am Mont Saint Michel."
Als Bonbon obendrauf sind die Parkplätze dann ein paar Euro günstiger - ab September abends sogar umsonst. Und man könne den Sonnenuntergang sehen, sagt Bürgermeister Jaques Bono. Besucherquoten kommen weder für ihn noch für Vetter in Frage. Denn dann würde man zu einer Art Vergnügungspark. Das sei der Mont Saint Michel aber nicht.
Schon im Mittelalter ein Besuchermagnet
Doch reicht Information aus, um Massentourismus einzuschränken? Didier Arrino von Protourisme, einem Verband, der neue Wege im Tourismus sucht, ist sich da nicht so sicher. "Man müsste vielleicht doch Quoten einführen", überlegt er. "Der Mont Saint Michel ist wie der Eiffelturm - ein Vorzeigeort unseres Landes, einzigartig und unersetzlich. Da muss man regulieren und informieren, damit sich der Besucherstrom besser verteilt." Man müsse aber auch schauen, wie man dem Ort gerecht wird: "Wenn die Läden am Mont Saint Michel voll mit Schnickschnack aus China sind: Ist es wirklich das, was wir Touristen bieten wollen? Wir sollten dem Ort lieber seine Identität zurückgeben."
Der Klosterberg, dessen Abteikirche dem Erzengel Michael gewidmet ist, feiert in diesem Jahr sein 1000-jähriges Bestehen. Ein beliebtes Reiseziel war er schon immer. Im Mittelalter kamen Scharen von Pilgern, viele in Hoffnung auf Wunderheilungen. Während der Französischen Revolution und den Jahren danach diente die Kirche einige Zeit als Gefängnis. Erst Mitte der 1960er-Jahre siedelten sich wieder benediktinische Mönche an - und die Besucherströme rissen nicht mehr ab.
Über einen Damm gelangte man damals auf die Insel. Die Folge: die Bucht versandete allmählich. Zwischen 2005 und 2015 wurde der Damm durch einen Steg ersetzt, die Parkplätze für Touristen aufs Festland verlegt. Seither wird der Klosterberg wieder 50 bis 90 Mal pro Jahr komplett vom Meerwasser umspült. Umwelt gerettet - aber Gäste kommen immer mehr.
"Man hat es den Markt regeln lassen"
Von "Surtourisme", also von zu viel Tourismus, sei man in Mont Saint Michel aber weit entfernt. Kein Grund, Besuche zu beschränken, heißt es sowohl bei der Gemeinde als auch bei der zuständigen Behörde. So sieht es auch Frankreichs Tourismus-Ministerin Olivia Grégoire: "Ich glaube, der Begriff 'Surtourisme' ist ein Irrglaube. In Wahrheit sind das ja nur Spitzenwerte. Das heißt, zu einer bestimmten Zeit und für eine gewisse Dauer gibt es sehr viele Besucher. Aber nicht das ganze Jahr über."
An manch beliebtem französischen Reiseziel hält man die Menschenmassen dennoch für problematisch. Die kleine Insel Bréhat in der Bretagne hat in diesem Sommer erstmals eine Besucherobergrenze eingeführt. In Étretat, ebenfalls an der nordfranzösischen Küste, ächzen viele Einwohner unter den Touristen. Bilder auf Social-Media-Plattformen werden hunderttausendfach geteilt und locken immer mehr Menschen an.
Die Folge: viel zu viele Autos in der kleinen Stadt, explodierende Preise, Gefahr für die berühmten Felsen an der Küste. Ein bisschen sei das Problem auch hausgemacht, findet Didier Arrino von Protourisme. "Da, wo es Unruhe gibt, haben die Gemeinden zu lange die Augen verschlossen und in der Vergangenheit keine guten Entscheidungen getroffen. Man hat es den Markt regeln lassen."
Mondpreise für Apartments in Paris
In Frankreichs Hauptstadt Paris spürt man die Folgen von überbordendem Tourismus ebenfalls. Nach Angaben der Stadt werden 65.000 Wohnungen auf der Internet-Plattform Airbnb angeboten - viele davon rund ums Jahr für Touristen. Und das, obwohl Wohnraum in Paris rar ist. Schon jetzt werden Apartments im Zeitraum der Olympischen Spiele im kommenden Sommer zu Mondpreisen vorgeschlagen.
80 Prozent des Tourismus in Frankreich konzentriert sich auf 20 Prozent der Orte und Regionen. Die Alliance France Tourisme (AFT), ein Zusammenschluss von Unternehmen aus der Tourismusindustrie, hat zu Beginn der Sommersaison einige Empfehlungen veröffentlicht. Zum Beispiel sollten Reisende doch andere Ziele als die üblichen anschauen. Sinnvoll seien auch Vorreservierungen für besonders beliebte Attraktionen.
Am schönsten von weit weg
Schließlich empfiehlt die AFT noch, die Tourismussaison zu entzerren. Das wird allerdings schwierig, denn ganz Frankreich ist traditionell im Juli und August im Urlaub - die allermeisten Französinnen und Franzosen im eigenen Land. Die Saison 2023 lief fast so gut wie vor der Pandemie, gab die französische Regierung gerade bekannt - trotz Inflation. Etwa 80 Millionen Gäste aus dem Ausland kamen, der eine oder die andere war sicher auch am Mont Saint Michel.
Wer keine Lust hat, sich mit Zehntausenden auf der kleinen Insel zu tummeln, kann den Ratschlag einiger Internet-Reiseseiten beherzigen. Am schönsten sei der Mont Saint Michel, heißt es da, wenn man den Klosterberg von ganz weit weg betrachte.