EZB-Präsident zu Ursachen der Finanzmarktkrise Zu viel Geld, zu wenig Kontrolle
Zu viel Kapital ist laut EZB-Präsident Trichet ohne die notwendige Regulierung auf den Weltmarkt geströmt. Die Banken hätten zu wagemutig investiert, sagte er im Interview mit der ARD. Die EZB müsse jetzt die Preise stabilisieren und für mehr Transparenz sorgen.
Zu viel Kapital ist laut EZB-Präsident Trichet ohne die notwendige Regulierung auf den Weltmarkt geströmt. Die Banken hätten zu wagemutig investiert, sagte er im Interview mit Markus Preiß, WDR Brüssel. Die Europäische Zentralbank müsse jetzt die Preise stabilisieren, die Menschen vor Inflation schützen und für mehr Transparenz sorgen.
Auf was müssen wir uns als Konsumenten und als Arbeitgeber einstellen - wie schwerwiegend wird diese Finanzkrise sein?
Jean-Claude Trichet: Wir befinden uns gerade mitten in einer wichtigen Phase der Marktkorrektur, mit einigen Turbulenzen und hektischer Betriebsamkeit. Das ist ganz klar, und das hat schon im letzten August begonnen. In dieser Phase versucht die Europäische Zentralbank als allererstes zu verhindern, dass sich die Erwartung einer Inflation breitmacht. Wir sind dafür da, mittelfristig Preisstabilität zu garantieren. Genau das ist es, was die Deutschen und alle anderen Bürger von uns verlangen. Und auf der anderen Seite schauen wir auf die Leitzinsen, die festgelegt sind, um Preisstabilität mittelfristig zu garantieren.
Warum ist Preisstabilität für die Bürger wichtig?
Trichet: Ich muss Ihnen sagen, dass das für Normalbürger der einzige Weg ist, auf nachhaltige Weise ihre Kaufkraft zu sichern. Das ist sehr wichtig, weil es auch das Vertrauen der Menschen stärkt. Wenn Sie nicht wissen, wie sich die Inflation und die Preise entwickeln, dann schaffen Sie ein Ausmaß von mangelndem Vertrauen, das völlig kontraproduktiv für den einzelnen Haushalt und auch für die Gesamtwirtschaft ist. Auf gewisse Weise sind wir von zentraler Bedeutung für die Sicherung und Verbesserung des Vertrauens in der Gesellschaft im allgemeinen und sicherlich in den Ländern des Euroraums, in Deutschland genauso wie in den 14 anderen Staaten.
Jean-Claude Trichet ist Präsident der Europäischen Zentralbank. Der 1942 in Lyon geborene Franzose sammelte nach seinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften schnell Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Finanzverwaltung. Zeitweise arbeitete er als Berater des französischen Präsidenten sowie als stellvertretender Gouverneur des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. 1993 wurde er Präsident der Banque de France. 2003 wechselte er an die Spitze der Europäischen Zentralbank.
Würde also Inflation arme Menschen stärker treffen als reiche?
Trichet: Ja, der Punkt, den Sie hier unterstreichen, ist einer der wichtigsten: Diejenigen, die am vehementesten und deutlichsten nach Preisstabilität verlangen, sind die ärmsten und anfälligsten Mitbürger, weil sie überhaupt keinen Schutz gegen Inflation haben. Und sie leiden am stärksten unter Inflation, wenn diese auftritt.
Worauf haben wir uns denn aktuell einzustellen? Ist die derzeitige Krise etwas, das nur den Finanzmarkt betrifft oder hat das auch Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen in der Euro-Zone?
Trichet: Wir tun natürlich alles, was nötig ist dafür, die Preise mittelfristig stabil zu halten und in der Nähe der 2-Prozent-Marke zu bleiben. Was die Wirtschaft angeht: Wir schauen natürlich aufmerksam und behutsam auf die Wirtschaft und worauf wir besonders achten, ist, dass sie weiter wächst. Wenn ich zusammenfassen sollte, was wir zu tun haben, würde ich sagen: Selbstbewusstsein bewahren - in allen wirtschaftlichen Organisationen in allen Wirtschaftskreisen und Haushalten genauso, wie in den Unternehmen - und das Selbstbewusstsein, da, wo es nötig ist, noch zu steigern.
Was ist aus ihrer Sicht die Ursache dieser Krise? Uns fragen immer wieder Menschen: Wie war es möglich, dass hochrangige Banker Fehler machen, die jetzt so offensichtlich zu sein scheinen, vor einem Jahr aber keinem bewusst waren?
Trichet: Wir müssen uns sicherlich alle dessen bewusst werden, dass auf beiden Seiten des Atlantiks und nicht nur auf der anderen Seite Fehler gemacht wurden - von verschiedenen Unternehmen, von verschiedenen Institutionen, auf der Basis eines Risikos, dass viel zu gewagt war. Und das ist etwas, das muss ich sagen, wovor die Zentralbank schon vor langer Zeit gewarnt hatte. Wir müssen die Situation verbessern in allen Bereichen, wir müssen die Bankenüberwachung verbessern. Wir müssen die Regularien und Regeln in allen Bereichen verbessern, wir müssen das Verhalten der Privatunternehmen verbessern. Wir müssen für mehr Transparenz sorgen - in allen Märkten, in allen Finanzangelegenheiten - das ist das wesentlichste.
Können Sie uns darstellen, wer oder was den Anstoß dazu gegeben hat, diese überzogenen Risiken einzugehen?
Trichet: Ich denke, es war eine Mischung aus leichtverdientem Geld, das hauptsächlich, aber nicht nur durch den Öl-Schock frei wurde, und das neue Kapital, das in den Markt strömte wegen der Ölkrise. Es war also mehr Geld da, das auf globaler Ebene investiert werden konnte. Hauptgrund aber ist, dass es an ausreichender Regulierung fehlte, in vielen Bereichen, was dazu führte, dass die Investmentbanken, ja eigentlich alle Privatbanken zu unvorsichtig, viel zu wagemutig agierten. Wir müssen alle daraus lernen, denn es ist das erste Mal, dass wir einen solchen Fall in einer realen Größenordnung haben, was den Weltmarkt angeht, der sich ja sehr verändert hat in den vergangenen zehn Jahren.
Aber würden Sie sagen, dass viele Banker versagt haben, dass sie ihre Arbeit nicht gut gemacht haben?
Trichet: Ich denke, man kann sicherlich davon sprechen, dass viele Institute, aber sicherlich nicht alle Banken – wir müssen da ganz vorsichtig sein – eine schlechte Strategie gefahren haben, und ein armseliges Verhalten an den Tag gelegt haben. Aber eine große Zahl hat sich auch völlig korrekt verhalten.
Zum Abschluss noch eine etwas persönliche Frage: In der gegenwärtigen Krise, wenn man mal von Ihrer Rolle als EZB-Präsident absieht, werden Sie persönlich von der Finanzkrise berührt, sei es weil Freunde von Ihnen im Finanzsektor arbeiten, oder weil Sie selber Aktien besitzen? Wie nimmt der Mensch Jean-Claude Trichet die Krise wahr?
Trichet: Ich selber habe keine Aktien. Ich möchte sagen, dass die Mitarbeiter der EZB, die sehr sehr gut sind, beispielhaft muss ich sagen, sehr viel arbeiten und dabei in ständigem Kontakt mit den Marktakteuren stehen. Das ganze europäische Team, auch die nationalen Zentralbanken gehören ja dazu, arbeitet zusammen und steht in Kontakt mit dem Markt. Wir sind also in ständigem Kontakt mit den Vorgängen auf den finanziellen Märkten - und natürlich in ständigem Kontakt mit der Wirtschaft als Ganzem. Es ist natürlich eine Grundpflicht für eine Zentralbank, sehr nah am Markt, an der tatsächlichen Wirtschaft dran zu sein, um alle entsprechenden Informationen einzubeziehen, um weise Entscheidungen zu treffen.
Das Interview führte Markus Preiß.