Deutsche Wirtschaft stagniert Auch im Frühjahr kein Schwung für die Konjunktur
Auch wenn es keine Rezession mehr ist: Die deutsche Wirtschaft kommt weiterhin nicht in Schwung. Laut Statistischem Bundesamt stagnierte sie im Frühjahrsquartal. Experten sehen grundsätzliche Probleme.
Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verharrte von April bis Juni auf dem Niveau vom Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. Damit bestätigten die Statistiker die Ende Juli gemeldete Stagnation.
Immerhin konnte sich der Konsum im Frühjahr erholen und schrumpfte nicht mehr. Trotz der weiterhin hohen Inflation blieben die Ausgaben der privaten Haushalte auf dem Niveau des ersten Quartals. Dagegen sanken die deutschen Exporte um 1,1 Prozent, während die Importe stagnierten.
Volkswirte erwarten auch im Sommer eine Stagnation
Die erhoffte Frühjahrsbelebung fiel somit aus, und Deutschland ließ damit die Rezession nur knapp hinter sich. Im Winterhalbjahr war die deutsche Wirtschaft zwei Quartalen in Folge geschrumpft und damit in eine sogenannte technische Rezession gerutscht. "Nach den leichten Rückgängen in den beiden Vorquartalen hat sich die deutsche Wirtschaft im Frühjahr stabilisiert", sagte Destatis-Präsidentin Ruth Brand.
Doch die Aussichten für die kommenden Monate haben sich nach Einschätzung von Volkswirten eingetrübt. Auch im aktuellen Sommerquartal werde die deutsche Wirtschaftsleistung wohl weitgehend unverändert bleiben, hieß es im jüngsten Bundesbank-Monatsbericht. Wirtschaftsforschungsinstitute und viele Bank-Ökonomen gehen sogar davon aus, dass Europas größte Volkswirtschaft im Gesamtjahr 2023 leicht schrumpfen wird und damit in eine Rezession rutscht.
Zuletzt verschärften Daten zum Einkaufsmanagerindex die Sorge, dass die maue Lage der Industrie noch stärker auf die Dienstleister übergreifen könnte. Erneut macht daher der Begriff von Deutschland als "kranker Mann Europas", mit dem die britische Zeitschrift "Economist" Deutschland um die Jahrtausendwende bezeichnete, die Runde. In der jüngsten Ausgabe des "Economist" hieß es auf dem Titelblatt wieder: "Ist Deutschland der kranke Mann Europas?"
Ökonom fordert weniger Bürokratie und Investitionen
"Deutschland ist nicht der kranke Mann Europas, sondern hat wirtschaftlich goldene 2010er-Jahre gehabt und ist heute global sehr wettbewerbsfähig", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Allerdings könne das Land wieder zum "kranken Mann Europas" werden, wenn es seine Stärken jetzt nicht klug nutze, um die ökologische, digitale und wirtschaftliche Transformation entschieden voranzubringen.
Fratzscher forderte, die Bundesregierung solle ein Transformationsprogramm beschließen - mit drei Elementen: "einen Abbau von Bürokratie und Regulierung mit massiven Investitionen in eine exzellente Infrastruktur, staatliche Investitionen in Innovation, Forschung und Bildung, und eine Stärkung der Sozialsysteme, damit Deutschland seine Potenziale besser heben kann und soziale Akzeptanz für Veränderungen schafft."
"Unser Land ist nicht mehr Wachstumslokomotive, sondern Bremsklotz - und das als immerhin die größte Volkswirtschaft Europas", betonte DIHK-Präsidenten Peter Adrian. Er sehe eine Reihe fundamentaler Probleme: hohe Energiepreise, wachsender Fachkräftemangel, fehlende Infrastruktur. "Das Gute: Die Probleme sind lösbar. Es ist aber Zeit loszulegen." Als Maßnahmen nennt er den Abbau von Bürokratie und die Erleichterung von Genehmigungsverfahren.
"Die Zeichen ernst nehmen"
Auch andere Experten sehen Deutschland in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage mit vielen strukturellen Herausforderungen. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm erklärte, man müsse "die Zeichen ernst nehmen". Denn die Wirtschaft habe zwei tiefgreifende Krisen erlebt: erst die Pandemie mit den Lieferkettenproblemen und dem Einbruch der Produktion und anschließend der russische Angriff auf die Ukraine mit der Energiekrise.
Besonders die hohen Energiepreise hätten Deutschland wegen der energieintensiven Industrie härter als andere Länder getroffen. "Darum muss man vorsichtig sein, die Wachstumsprognosen für das Jahr 2023 eins zu eins zu vergleichen, allein schon, weil der Wirtschaftseinbruch durch die Krisen in einzelnen Ländern unterschiedlich ausfiel", so Grimm.
Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sagte: "Der Ukraine-Krieg hat schonungslos offengelegt, wie groß die strukturellen Schwächen inzwischen sind." Schon seit Jahren würden hohe Unternehmenssteuern und Lohnstückkosten sowie ein ineffizienter Staatsapparat die Investitionen dämpfen. Dazu kämen hohe Energiepreise, der Fachkräftemangel infolge demografischer Alterung und eine bröckelnde Infrastruktur.
Milliardenhilfen reißen Löcher in den Staatshaushalt
Derweil haben die Milliardenhilfen in der Energiekrise den deutschen Staatshaushalt im ersten Halbjahr tief ins Minus gedrückt. Der Fiskus gab nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes 42,1 Milliarden Euro mehr aus als er einnahm. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung bei 2,1 Prozent. Höher war das Defizit zuletzt im ersten Halbjahr des Pandemiejahres 2021.
Trotz des gestiegenen Defizits hielt Deutschland im ersten Halbjahr 2023 die europäische Verschuldungsregel ein. Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt den EU-Staaten ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent des nominalen BIP. Zurzeit sind diese Regeln aufgrund der Belastungen durch die Corona-Pandemie ausgesetzt. Die Ausnahmen sollen zum Jahresende auslaufen. In Brüssel wird über eine Reform der Regeln diskutiert.