DIW-Studie nennt Bedingungen Verzicht auf russisches Gas möglich
Deutschland könnte noch in diesem Jahr ohne russische Erdgaslieferungen auskommen - so das Ergebnis einer DIW-Studie. Dafür müssten Importe aus Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden ausgeweitet und der Gasverbrauch gesenkt werden.
Deutschland könnte einer Untersuchung zufolge noch im Laufe dieses Jahres und damit früher als von der Bundesregierung vorhergesagt ohne russische Erdgaslieferungen auskommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Wenn die Energie-Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert", lautet das Fazit der Untersuchung.
Die Bundesregierung geht bislang davon aus, dass ein Ausstieg aus russischem Gas deutlich länger dauern dürfte: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet damit, dass Deutschland noch bis Mitte 2024 russisches Gas wird beziehen müssen. Russland lieferte zuletzt rund 55 Prozent des Erdgases für Deutschland. Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine will die Bundesregierung auf Importe von dort so schnell wie möglich verzichten.
"Bau von LNG-Terminals ist nicht sinnvoll"
Das Institut hat verschiedene Szenarien durchgerechnet, wie Deutschlands Gasversorgung ohne Lieferungen aus Russland funktionieren könnte. Dafür sei es notwendig, die deutschen Erdgasspeicher wie geplant vor Beginn der Heizperiode zu 80 bis 90 Prozent aufzufüllen. Um dies zu erreichen, könnte mehr Flüssiggas aus Norwegen und den Niederlanden sowie über Terminals der Nachbarländer bezogen werden. Zudem könnten schwimmende Terminals für Flüssigerdgas an der deutschen Küste genutzt werden.
Feste Terminals seien für Deutschland jedoch nicht sinnvoll, hob das Institut hervor: "Der Bau von LNG-Importterminals an der Küste ist aufgrund der langen Bauzeiten und dem mittelfristig stark rückläufigen Erdgasbedarf nicht sinnvoll", schreibt das Autorenteam Robin Sogalla, Christian von Hirschhausen, Franziska Holz und Claudia Kemfert.
Das DIW hält zudem große Einsparungen für notwendig: 18 bis 26 Prozent weniger Erdgasverbrauch seien den Berechnungen zufolge auch durchaus möglich. Privathaushalte sollten etwa weniger stark heizen als gewohnt und weniger Warmwasser verbrauchen, die Industrie Wärme mit Strom, Kohle oder Biomasse erzeugen. Die Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die Industrie ihren Erdgasverbrauch um bis zu einem Drittel senken kann. Dabei würde allerdings auch die Produktion vorübergehend deutlich sinken.
Unternehmen sind besorgt
Die Bedenken deutscher Unternehmen mit Blick auf Maßnahmen wie einer Drosselung der Gasversorgung sind dagegen groß. Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, berichtete in einem Interview des "Handelsblattes" von besorgten Briefen und Anrufen aus Unternehmen, die dringend auf das Gas angewiesen sind.
Er fügte angesichts eines möglichen Gasembargos hinzu: "Es ist leider nicht völlig auszuschließen, dass wir Entscheidungen treffen müssen, die furchtbare Konsequenzen für Unternehmen, für Arbeitsplätze, für Wertschöpfungsketten, für Lieferketten, für ganze Regionen haben." Denn die Füllstände der Gasspeicher sind auf einem historischen Tiefstand: Laut Müller ist etwa der Speicher in Rehden zu "weniger als einem Prozent befüllt".