Die Skulptur "Molecule Man" in Berlin trägt die verschiedenen Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
analyse

Wirtschaftsfaktor Fußball Hoffen auf den EM-Effekt

Stand: 14.06.2024 10:29 Uhr

Die Wirtschaft hofft auf gute Geschäfte bei der Fußball-EM. Doch dass das Großereignis der lahmenden deutschen Konjunktur hilft, ist alles andere als ausgemacht. Ist es am Ende ein Nullsummenspiel?

Von Heidi Radvilas, ARD-Finanzredaktion

Volle, aufgehübschte Stadien, feucht-fröhliches Gedränge beim Public-Viewing: Viele Hunderttausende werden zur Fußball-EM anreisen. Wollen essen und trinken. Im richtigen Trikot erscheinen. Und irgendwann auch mal schlafen. Da muss doch bei Hotels, Gastronomen und den Sportartikelherstellern ordentlich was hängenbleiben?

Tut es auch. Laut Timo Zimmermann, Professor für Sportmanagement an der International School auf Management (ISM) in Dortmund, gilt das allem voran für die Sportartikelhersteller Adidas, Nike und Puma, die die Teams ausstatten und das Merchandising an die Fans bringen. Alleine das aktuelle DFB-Trikot, das zeitweise ausverkauft war, werde mittlerweile für 100 Euro verkauft.

Das Geschäft mit Trikots und Merchandising-Artikeln wie EM-Fußbällen gilt als Milliardenbusiness. Wie viel ein Großereignis wie die Fußball-EM konkret in die Kassen der Sportmarken spült, ist allerdings unklar. Weil es etwa im Geschäftsbericht von Adidas nicht einzeln ausgewiesen wird.

Kurzfristiger Schub etwa für Gastronomen

Genauso sieht es bei den Einnahmen von Gastronomen und Hoteliers und im Einzelhandel aus. An einen kurzfristigen Schub glauben viele: Bier, Snacks, Grillgut - das werde zum EM-Event mehr gekauft als sonst. "Diejenigen, die sowieso darüber nachdenken, sich möglicherweise einen neuen Fernseher anzuschaffen und gleichzeitig fußballbegeistert sind, die sagen sich: Wir haben EM. Wir haben die Olympischen Sommerspiele in Paris. Warum sollen wir uns den Fernseher nicht jetzt kaufen statt erst zu Weihnachten?", so Andreas Pohlmann vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn.

Der Handelsverband HDE erwartet, dass die EM dem Einzelhandel einen Extra-Umsatz von 3,8 Milliarden Euro in die Kassen spült. Andere glauben nicht an eine Sonderkonjunktur durch das Sportevent - sondern an eine teilweise Verdrängung. Wenn Fußball-Begeisterte eine Stadt bevölkern, bleiben vielleicht die üblichen Städtereisenden weg.

Außerdem gibt Andreas Pohlmann zu bedenken: "Der Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Das, was eine Familie ausgibt an Tickets für den Besuch eines Spiels, kann sie nicht mehr fürs Kino ausgeben oder für andere Freizeitaktivitäten. Das Geld ist ja nicht beliebig vermehrbar."

Internationales Ansehen als Wirtschaftsfaktor

Das Ganze könnte sich also für etliche Branchen als Nullsummenspiel erweisen. Auch mögliche Investitionen, etwa der öffentlichen Hand in Stadien und Infrastruktur, fehlten dann an anderer Stelle, sagt Sportökonom Zimmermann vom ISM.

Als eindeutigen EM-Gewinner sieht er dagegen den europäischen Fußballverband UEFA: "Die machen mit so einer EM circa 2,4 Milliarden Umsatzerlöse, bei einem Reingewinn von über einer Milliarde - aus dem Vertrieb von Rundfunk- und Werberechten, Ticketing, Hospitality."

Allerdings sitze die UEFA in der Schweiz. Die konjunkturellen Effekte von Sportereignissen wie der EM auf das Bruttoinlandsprodukt müsse man ohnehin mit der Lupe suchen. Das heiße aber nicht, dass solche Events nichts bewirkten, sagt Sascha Schmidt von der WHU Otto Beisheim School of Management: "Das haben wir ja schon bei der beim Sommermärchen 2006 gesehen. Dass wir uns dort als weltoffenes Deutschland, als gut organisiertes und gastfreundliches Land aufgestellt haben. Das führt natürlich zu internationalem Ansehen und kann dazu führen, dass es Deutschland als Reiseziel attraktiver macht und als Wirtschaftszentrum positioniert."

Kommt der Stimmungsumschwung?

Der Wirtschaftsmotor hierzulande stottert. Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft in Deutschland um 0,3 Prozent geschrumpft. Auch deshalb leide Deutschland unter einer Art mentaler Depression, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Ökonom sieht die EM im eigenen Land als probates Mittel dagegen: "Die Hoffnung ist schon, dass wir in Deutschland hoffentlich bald einen Stimmungswechsel sehen. Dass die Menschen wieder optimistischer werden, dass die Unternehmen wieder positiver in die Zukunft schauen und sagen ja, es lohnt sich, in Deutschland zu investieren."

Was einen nachhaltigen Schub für die deutsche Wirtschaft bewirken könnte. Und das wäre dann ja vielleicht doch ein gewisses Sommermärchen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 14. Juni 2024 um 09:00 Uhr.