Tarifstreit im öffentlichen Dienst Gespräche vertagt - Warnstreiks in Sicht
10,5 Prozent mehr Lohn für 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst: Diese Forderung der Gewerkschaften lehnen die Arbeitgeber als "unzumutbar" ab. Die erste Runde blieb ergebnislos - und die Wahrscheinlichkeit von Warnstreiks steigt.
Gewerkschaften und Arbeitgeber haben ihre Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen ergebnislos vertagt. Die Bürgerinnen und Bürger müssten in den kommenden Wochen mit einzelnen Protestaktionen von Beschäftigten rechnen, erklärte ver.di-Chef Frank Werneke nach dreistündigen Beratungen in Potsdam. Man werde nun "Begleitmusik" starten, sagte Ulrich Silberbach, Chef des Beamtenbundes dbb.
In welchem Umfang größere Arbeitskampfmaßnahmen notwendig würden, hänge vom Verlauf des zweiten Verhandlungstermins am 22. und 23. Februar ab, so Werneke. Die Friedenspflicht der Gewerkschaften endet am Mittwoch.
10,5 Prozent mehr Einkommen gefordert
Ver.di und der Beamtenbund dbb fordern 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Auch Auszubildende, Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten sollen monatlich 200 Euro mehr erhalten.
Verhandelt wird über die Einkommen unter anderem von Müllwerkern, Erziehern, Krankenpflegern, Juristen und Busfahrern. Tausende Berufe sind betroffen - auch Feuerwehrleute, Altenpfleger, Klärwerksmitarbeiter, Förster und Ärzte. Entsprechend groß könnten Auswirkungen von Protestaktionen für die Bürgerinnen und Bürger sein.
Inflation - der Knackpunkt der ersten Runde
Knackpunkt am ersten Verhandlungstag war das Thema Inflation. "Da sind wir dann auch deutlich auseinander, weil die Arbeitgeber die Notwendigkeit, die gestiegenen Preise auszugleichen, nicht anerkennen", sagte Werneke. Hier gebe es einen "absoluten Dissens". Werneke verwies darauf, dass die Preise seit dem jüngsten Tarifabschluss von 2020 um elf Prozent gestiegen seien, die Einkommen aber nur zwischen drei und vier Prozent. "Allein das müssen wir aufholen in dieser Tarifrunde, und die Preise steigen weiter."
Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände VKA, Karin Welge, wies die Darstellung von Reallohnverlusten als "Mär" zurück. "In den letzten zehn Jahren bilden sich immer noch Reallohngewinne ab für die Beschäftigten."
Mit einem Anstieg um 7,9 Prozent hatte die Bevölkerung in Deutschland im vergangenen Jahr den stärksten Preisschock seit Gründung der Bundesrepublik erlebt. Zum Ende dieses Jahres hofft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun auf eine Teuerungsrate unter fünf Prozent.
Werneke pocht auf Mindestbetrag
Wegen der aktuell "harten sozialen Schieflage" für Menschen mit geringem Einkommen ist der Mindestbetrag für Werneke die "wichtigste Forderung".
VDK-Verhandlungsführerin Welge wandte sich dagegen strikt gegen "eine überproportionale Stärkung der unteren Berufsgruppen". Es sei bereits heute sehr schwer, Leistungsträger zu finden. "Wir plädieren für eine lange Laufzeit, und wir plädieren für Augenmaß und Besonnenheit."
Alle suchen noch den Kompromiss
Trotz der ergebnislosen ersten Runde sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) von "einem guten und konstruktiven Auftakt". Schwierige Verhandlungen stünden bevor. Richtig sei, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr belastet seien durch die Corona-Krise und die Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine. Zugleich sei die Haushaltslage vor allem der Kommunen aber sehr angespannt. Gemeinsam werde nun daran gearbeitet, "eine tragfähige Lösung" zu finden.
Auch die VKA zeigte sich trotz der Unterschiede optimistisch. Präsidentin Welge erwartet, "dass am Ende des Tages ein guter Kompromiss stehen wird". Von den angekündigten möglichen Arbeitskampf-Aktionen zeigte sich Welge, die auch Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist, unbeeindruckt: "Das ist das Ritual der Gewerkschaften, die natürlich ihre Mobilisierung immer auf der Straße machen."
Werneke sagte: "Ich setze darauf, dass die Arbeitgeber die Zeichen der Zeit erkannt haben und ein gutes Angebot machen." Neben Protestaktionen will ver.di in den kommenden Wochen zudem Unterschriften von mehr als 335.000 Beschäftigten an Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern übergeben. Damit sollen die Forderungen untermauert werden.
Kosten in Milliardenhöhe für Bund und Kommunen
Laut der VKA würden die Kosten für das geforderte Lohnplus bei den kommunalen Arbeitgebern mit rund 15,4 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Beim Bund wären laut Innenministerium Mehrkosten von rund 1,4 Milliarden Euro pro Jahr die Folge, bei Übertragung auf die Beamten, Richter und Soldaten von 4,7 Milliarden Euro.
Aus Sicht der Gewerkschaften soll das Tarifergebnis ohne Abstriche auf Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Soldatinnen und Soldaten übertragen werden.
In der Vergangenheit wurde eine Einigung häufig erst in einer dritten Verhandlungsrunde erzielt. Diese ist für den 27. bis 29. März in Potsdam geplant.