Versorgung vorerst sicher Ukraine-Krieg lässt Gaspreise steigen
Der Krieg in der Ukraine schürt die Angst vor einer Gasknappheit. Die Chemieindustrie warnt vor einer Preisexplosion. Schon jetzt steigen die Preise deutlich. Der Golfstaat Katar zeigte sich offen für zusätzliche Lieferungen nach Deutschland.
Die deutsche Chemieindustrie warnt angesichts der Kriegs in der Ukraine vor explodierenden Gaspreisen. Gerade für energieintensive Branchen könnte eine Gasknappheit, die mit steigenden Preisen einhergeht, problematisch werden, sagte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), der Deutschen Presse-Agentur: "Den Chemieunternehmen drohen in diesem Fall explodierende Preise für Erdgas bei einem ohnehin historisch extrem hohen Preisniveau." Die Branche leidet durch ihren hohen Energieverbrauch wie kaum eine andere unter den ohnehin hohen Rohstoffpreisen.
Am Gasmarkt schnellten die Preise aus Angst vor Verknappung bereits nach oben: Niederländische Gas-Futures, die am Title Transfer Facility (TTF) in den Niederlanden, dem liquidesten virtuellen Erdgas-Handelsdrehkreuz in Europa gehandelt werden, kosten nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg 135,73 Euro pro Megawattstunde und legten damit innerhalb eines Tages um 53 Prozent zu.
Der Energieversorger E.On erklärte, dass man derzeit keine Aussage über die Preisentwicklung für Endverbraucher treffen könne. Das Unternehmen wies darauf hin, dass man aktuell an den Großhandelsmärkten einen nochmaligen Anstieg der Preise für Strom und Gas sehe - ausgehend von einem "bekanntlich bereits sehr hohem Niveau". Es bleibe abzuwarten, wie die Entwicklung langfristig verlaufe: "Vieles spricht dafür, dass Preise wohl länger hoch bleiben."
Gasversorgung vorerst gesichert
Gleichzeitig betonte der Branchenverband Zukunft Gas, dass die Gasversorgung gesichert sei: "Wir beobachten sehr genau die aktuelle Versorgungslage und können zumindest kurzfristig sagen: Für Deutschland ist die Gasversorgung gesichert", sagte Vorstand Timm Kehler. Er betonte, dass insbesondere die Versorgung von Privatkunden mit Erdgas sichergestellt sei: "Sie müssen sich aufgrund ihrer besonders geschützten rechtlichen Position und des diversifizierten Gasbezuges aus anderen Ländern keine Sorgen machen."
Die Gasspeicher-Vereinigung INES bekräftigte dies. Bedingungen dafür, dass die Gasversorgung sicher bleibe, seien weiter milde Temperaturen und ausreichend verfügbare Importe verflüssigten Erdgases (LNG). Die Gasspeicher in Deutschland seien zuletzt zu gut 30 Prozent gefüllt gewesen: "Die Füllstände sind also weiterhin niedrig, aber nicht mehr historisch tief."
LNG (Liquefied Natural Gas) ist die Bezeichnung für Flüssigerdgas. Um LNG zu erhalten, wird Erdgas von Schwefel, Stickstoff und Kohlendioxid gereinigt und auf Temperaturen von bis zu minus 162°C abgekühlt. Dadurch wird der es verflüssigt. Dieser Prozess verringert das Volumen um das 600-fache, wodurch sehr große Mengen des verflüssigten Energieträgers gelagert und transportiert werden können. LNG ist farb- und geruchlos sowie nicht toxisch. Es kann überall dort verwendet werden, wo auch normales Erdgas eingesetzt wird. Dafür wird es wieder in einen gasförmigen Zustand gebracht.
Allerdings rechnet die Vereinigung im Fall eines längeren Stopps sämtlicher russischen Gaslieferungen mit einem "beispiellosen Stresstest" für die Versorgung der EU. Diese Einschätzung äußerte Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke: "Ob im Falle eines langfristig anhaltenden Ausfalls aller russischen Gaslieferungen bis in den nächsten Winter hinein die Gasversorgung zu jedem Zeitpunkt vollständig und unterbrechungsfrei aufrechterhalten werden kann, hängt von vielen Faktoren ab." Eine abschließende Bewertung sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.
Wieder mehr Gas in ukrainischen Pipelines
Der russische Staatskonzern Gazprom verwies darauf, dass die Vereinbarungen für Gaslieferungen eingehalten würden. Neben der Gasleitung Nord Stream 1, die russisches Erdgas durch die Ostsee direkt nach Deutschland leitet, wird Gas aus Russland auch über Pipelines durch die Ukraine nach Deutschland transportiert. Diese Gaslieferungen sind nach Angaben von Bloomberg sogar höher als zuletzt. Russland hatte die Lieferungen durch die Ukraine in den vergangenen Monaten extrem gesenkt. Dies zeigen Daten des slowakischen Gastransportunternehmens Eustream AS.
Russland ist Europas wichtigster Gaslieferant, fährt seine Lieferungen an die EU aber seit Monaten zurück: "Per Pipeline wurden aus Russland über die drei zentralen Eingangspunkte in Kondratki (Polen), Greifswald (Deutschland) und Vleke Kapusany (Slowakei) im vergangenen Jahr durchschnittlich 10,7 Kubikfuß pro Tag Erdgas geliefert – verglichen mit 11,8 Kubikfuß pro Tag im Jahr 2020 und 14,1 Kubikfuß pro Tag im Jahr 2019", berichtet der unabhängige Energieexperte Hans-Wilhelm Schiffer.
Katar könnte mehr LNG liefern
Die EU arbeitet darum schon länger an Alternativen wie einer Aufstockung der Lieferungen von LNG. So ist der Golfstaat Katar nach Aussage seines Botschafters in Berlin zu größeren Gaslieferungen an Deutschland bereit. "Katar kann Deutschland helfen, seine Energiequellen zu diversifizieren", sagte Abdullah bin Mohammed Al Thani: "Was wir jetzt brauchen, ist eine direkte Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern in Katar und Deutschland, um einen Ausweg aus der Krise zu finden."
Katars Energieminister Saad bin Scharida al-Kaabi hatte jedoch bereits in dieser Woche erklärt, weder Katar noch irgendein anderes einzelnes Land habe die Kapazitäten, um die russischen Gaslieferungen nach Europa mit Flüssiggas zu ersetzen. Er verwies dabei auf bestehende langfristige Verträge seines Landes mit anderen Abnehmern. Von dem vertraglich gebundenen Gas könnten wahrscheinlich nur zehn bis 15 Prozent umgeleitet werden, sagte der Minister.
Dies bestätigt auch Experte Schiffer: "Die russischen Lieferungen an Erdgas, nicht nur nach Deutschland sondern auch in andere europäische Länder, sind sehr erheblich, sodass sowohl die Kapazitäten an LNG-Importterminals als auch die aus anderen Erdgas-Exportstaaten via LNG bereit zu stellenden Erdgasmengen kaum hinreichend wären, um einen Komplettausfall der russischen Lieferungen zu ersetzen." Laut Schiffer wird derzeit der überwiegende Teil des LNG aus den USA, Katar und Russland importiert: 26 Prozent aller LNG-Bezüge der 27 EU-Staaten "stammten aus den USA - gefolgt von Katar mit 24 Prozent und Russland mit 20 Prozent."