Protektionismus-Streit überschattet EU-Gipfelauftakt Wenig Einigkeit in Sachen Energie
Beim Frühjahrsgipfel der EU dreht sich diesmal alles ums große Thema Energie. Zunächst ging es aber nicht um eine gemeinsame Politik mit dem Ziel, die Energieversorgung sicherzustellen, sondern um die Versuche einiger EU-Staaten, ihre Märkte abzuschotten und Übernahmen durch ausländische Konzerne zu verhindern.
Ein Streit der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über grenzüberschreitende Fusionen hat zu Beginn des zweitägigen Gipfeltreffens die Debatte über eine gemeinsame europäische Energiepolitik überschattet. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief, wie ihr niederländischer Kollege Jan Balkanende, zu einer breiten Öffnung der Energiemärkte auf. Die EU-Staaten dürften sich nicht gegen grenzüberschreitende Zusammenschlüsse ihrer Energiekonzerne wehren, mahnte sie. "Wir als Europäische Union können nur einen Binnenmarkt haben, wenn wir auch den Strom frei durchleiten", sagte Merkel. Dazu gehöre auch, dass sich die EU mit europäischen Marktführern abfindet. Sie forderte, "nicht einfach nur national zu denken".
Auch die britische Regierung wandte sich erneut gegen protektionistische Tendenzen einzelner Länder, ihre Energiemärkte vor ausländischer Konkurrenz abzuschotten. Ein Regierungssprecher sagte, Premierminister Tony Blair werde bei dem Gipfel auf offene Märkte dringen. "Wir sind für eine maximale Liberalisierung und die schnellstmögliche Vollendung des Binnenmarkts in allen Bereichen", sagte der Sprecher. "Liberalisierung heißt mehr Arbeitsplätze."
Madrid und Paris im Visier der Protektionismus-Kritiker
Auch Italien hatte sich in den vergangenen Tagen für eine solche Position starkgemacht. Die Regierung in Rom sah aber von ihren ursprünglichen Plänen ab, eine Erklärung des Gipfels zum Thema Protektionismus herbeizuführen. Dies hätte sich vor allem gegen Frankreich und Spanien gerichtet. So wehrt sich Paris gegen Bemühungen des italienischen Versorgers Enel, den heimischen Versorger Suez zu übernehmen. Die Regierung in Madrid versucht zu verhindern, dass der deutsche E.on-Konzern den spanischen Versorger Endesa übernimmt.
EU-Energiepolitik: Koordination ja, Kompetenzen nein
Zudem lehnten viele Regierungen Vorschläge der EU-Kommission für mehr Kompetenzen in der Energiepolitik ab. Merkel erklärte vor ihrem einleitenden Referat, dass Europa zwar eine Koordinierung der Energiepolitik brauche, "aber keine neuen Zuständigkeiten". Auch Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wandte sich gegen Verlagerungen von Zuständigkeiten auf die europäische Ebene. "Die nationalen Kompetenzen dürfen nicht angetastet werden." Ähnlich äußerte sich der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrell, plädierte für mehr Wettbewerb auf Europas Energiemärkten zu Gunsten der Verbraucher. Eine gemeinsame Energiepolitik sei genauso erforderlich wie in den 50er-Jahren eine gemeinsame EU-Agrarpolitik, sagte Borrell nach dem traditionellen Treffen mit der Gipfelrunde. Das Thema Energie war auf die Tagesordnung des Frühjahrsgipfels gerückt, nachdem es Anfang des Jahres zu Versorgungsengpässen bei Gaslieferungen aus Russland gekommen war. Zudem bereiten der EU die zunehmenden Spannungen im Nahen Osten Sorge.