Recherchen zu Steueroasen Wie viel verliert der Staat durch Steuertricks?
Fest steht: Den Staaten gehen durch Steuervermeidung von Konzernen Einnahmen flöten. Aber wie viel Schaden verursachen die Tricksereien wirklich? Schwer zu sagen. Ein Wissenschaftler von der Universität Berkeley nennt trotzdem konkrete Zahlen.
Von Wolfgang Landmesser, WDR
272 Seiten lang ist der Report der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über die Schäden durch trickreiche Steuersparmodelle. Belastbare Zahlen liefert die Studie aus dem Jahr 2015 aber kaum: Zwischen 100 und 240 Milliarden Dollar (86 und 207 Milliarden Euro) gehen den Staaten demnach weltweit an Unternehmenssteuern verloren.
Unsichere Datenlage
Es mangelt an Informationen, um konkretere Aussagen über die Steuerverluste zu treffen: "Die verfügbaren Daten sind nicht über alle Länder und Unternehmen hinweg umfassend und ausführlich und enthalten oft keine Informationen über die tatsächlich gezahlten Unternehmenssteuern", heißt es im Report.
Wohl aber hat die OECD Hinweise gesammelt, dass es ein riesiges Problem ist: Im Vergleich zu ihrem Durchschnittsgewinn verbuchen internationale Konzerne in Ländern mit Niedrigsteuern einen doppelt so hohen Profit. Und sie zahlen deutlich weniger Steuern als Unternehmen, die nur in einem Land operieren. Und weil es so profitabel ist, nehmen die für viele Staaten kostspieligen Steuerdeals tendenziell zu - wenn die Politik nicht handelt.
Licht im statistischen Nebel
Es gibt aber durchaus konkrete Schätzungen, auch für einzelne Regionen und Länder. 60 Milliarden Euro Unternehmenssteuern entgehen der EU pro Jahr, meint der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman - knapp 30 Prozent davon gehen in Deutschland verloren. Zucman erforscht an der US-Universität Berkeley, wie Konzerne die Staaten um Steuern prellen.
Die Systematik, die Profite internationaler Konzerne zu messen, hat Schwächen, sagt auch Zucman. Durch komplizierte Geflechte, verschachtelte Trusts und Stiftungen, versuchten die Unternehmen einen "statistischen Nebel" um die Steuerflucht zu legen. Seinen Kollegen und ihm sei es aber gelungen, aus dem vorhandenen Datenmaterial Muster zu erkennen - und so Licht auf das Treiben der Steueroasen zu werfen. Durch die Kombination vorhandener Daten kommen die Wissenschaftler zum Schluss, dass Großunternehmen weltweit jedes Jahr mehr als 600 Milliarden Euro in Niedrigsteuerländer verlagern.
Mehr als die Hälfte davon fließt demnach in Niedrigsteuerländer in der EU - Luxemburg, Irland, Niederlande, Belgien, Malta und Zypern. Für diese Staaten verfügen die Forscher auch über konkrete Statistiken, für Steuerparadiese wie die Bermudas zum Beispiel sind sie komplett auf Schätzungen angewiesen.
Steuerausfälle reißen empfindliche Lücken
Um die Größe des Problems deutlich zu machen, vergleicht der Berkeley-Ökonom die Steuerausfälle mit den öffentlichen Ausgaben - zum Beispiel für Bildung.
Die verlorenen Einnahmen machen in der EU die Hälfte der Ausgaben für Hochschulen aus, rechnet der Ökonom vor. In Deutschland machen sich die Ausfälle noch krasser bemerkbar: Die geschätzten 17 Milliarden Euro Verluste pro Jahr entsprechen in etwa der Höhe des gesamten Bildungsetats im Bundeshaushalt.
Dadurch, meint Zucman, verschiebe sich auch der Wohlstand zwischen den Generationen: Die wohlhabende, ältere Generation werde reicher, die jüngere dagegen ärmer. Und weil der Staat die Steuern erhöhen müsse, um seine Ausgaben zu bestreiten, litten auch Arbeiter und Angestellte. Sie hätten dann weniger Geld übrig, um Vermögen aufzubauen und für das Alter vorzusorgen.
Keine Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium
Genügend Gründe für die Bundesregierung, den Kampf gegen die Steuerkonstruktionen der Konzerne voranzutreiben. Die Frage nach konkreten Zahlen kann und will das Bundesfinanzministerium jedoch nicht beantworten. Ziel der Nutznießer von Steuersparmodellen sei es ja gerade, ihre Aktionen zu verheimlichen, so Ministeriumssprecher Daniel Fehling; wegen der schwierigen Datenlage will er nicht spekulieren. Die Veröffentlichung der Paradise Papers sei aber ein neuer Anlass, Druck zu machen, damit Schlupflöcher geschlossen werden.