EnBW-Übertragungsnetz Baden-Württemberg hält an Teilverkauf fest
Baden-Württembergs grüne Landesregierung hält an der geplanten Teilprivatisierung einer wichtigen "Stromautobahn" fest. Lässt sich das Land damit Einnahmen für den eigenen Haushalt entgehen?
Von Ursel Sieber, rbb
Ende 2010 kaufte Stefan Mappus (CDU) die Anteile der EnBW vom französischen Energiekonzern EDF zurück, die sein Parteikollege Erwin Teufel zehn Jahre davor veräußert hatte. Der sogenannte Mappus-Deal ging als "EnBW-Affäre" in die Geschichte ein, denn der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Mappus wickelte den Rückkauf am Parlament vorbei ab - und bezahlte wahrscheinlich zu viel.
Trotzdem sei der Kauf im Prinzip richtig gewesen, so der Infrastrukturexperte Lukas Vorwerk von der TU Berlin. "Mappus hatte immerhin verstanden, dass eine öffentliche Eigentümerschaft im Bereich der kritischen Infrastruktur und insbesondere im Bereich der Energienetze für die öffentliche Hand von Vorteil ist", so Vorwerk. "Einen zu hohen Preis bezahlen, sollte man dennoch nicht."
"Schwäbische Hausfrau wird begeistert sein"
Die jährliche Dividende der EnBW werde höher sein als die Finanzierungskosten des Landes, versprach Mappus 2010 in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und am Ende bleibe für das "Ländle" sogar ein "Mehrwert in Millionenhöhe" übrig. Das Fazit von Mappus: "Die schwäbische Hausfrau wird begeistert sein."
In den ersten Jahren nach dem Rückkauf stimmte das indes nicht: Das Land musste rund 300 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt beisteuern. Doch das lag nicht nur an dem wohl überhöhten Kaufpreis, sondern auch an dem Reaktorunglück in Fukushima sowie dem daraufhin beschlossenen Atomausstieg, der die EnBW vorübergehend auf Talfahrt schickte. Davon hat sich der EnBW-Konzern aber längst erholt.
Seit dem "Mappus-Deal" ist die EnBW wieder in der Hand des Landes Baden-Württemberg und seiner Kommunen. Dem Konzern gehört auch das Herzstück der Infrastruktur im Südwesten Deutschlands: das 3100 Kilometer lange Übertragungsnetz der EnBW-Tochter Transnet BW, mit dem etwa Windstrom von Offshore-Windanlagen im Norden in den Süden transportiert werden soll. Es ist eines von insgesamt vier Übertragungsnetzen in Deutschland, aber das einzige, das sich ganz im deutschen öffentlichen Eigentum befindet.
Das Bieterverfahren läuft
Ausgerechnet dieses Übertragungsnetz von Transnet BW will die grüne Landesregierung zwölf Jahre nach dem Rückkauf der EnBW teilprivatisieren. Insgesamt 49,9 Prozent der Anteile sollen an private Investoren gehen, das Bieterverfahren läuft - ein Ansinnen, das bundesweit in die Kritik geraten ist.
Denn gerade bei der Netzinfrastruktur sei der wirtschaftliche Vorteil einer öffentlichen Eigentümerschaft besonders relevant, so der Wissenschaftler Vorwerk: "Der gesamte Netzbereich ist staatlich stark reguliert und faktisch mit einer garantierten Rendite versehen, die eindeutig oberhalb der Finanzierungskosten der öffentlichen Hand liegt". Die garantierte Rendite und die risikolose Investition mache das Übertragungsnetz auch für private Investoren interessant.
"Woher soll das Geld kommen?"
Deshalb empfehlen zahlreiche Infrastrukturexperten und Ökonomen der grün geführten Landesregierung, die 49,9 Prozent Anteile des Übertragungsnetzes, die zum Verkauf ausgeschrieben sind, selbst zu kaufen. Doch das hält der grüne Ministerpräsident offenbar für undenkbar. "Woher soll das Geld bitte kommen?" fragte Winfried Kretschmann Mitte November auf der Regierungspressekonferenz. Vom ARD-Politikmagazin Kontraste dazu gefragt, erklärte die Staatskanzlei: "Ein Kauf des Netzes durch das Land würde zudem staatliche Mittel auf Jahre binden."
"Völlig falsch", sagt dazu der Infrastrukturexperte Vorwerk. Das zeige, dass die grüne Landesregierung nicht verstehe oder nicht verstehen wolle, wie Staats- und Infrastrukturfinanzierung funktioniere. Durch den Kauf des Übertragungsnetzes würden keinerlei Haushaltsmittel gebunden: "Der Kauf von 49,9 Prozent des Übertragungsnetzes steht genau nicht in Konkurrenz zu anderen Ausgaben des Landes", so Vorwerk.
Kreditaufnahme für Vermögenszuwachs
Tom Krebs von der Universität Mannheim sieht das ähnlich. Die Schuldenbremse von Baden-Württemberg ermögliche es, für den Kauf von kritischer Infrastruktur einen Kredit aufzunehmen: Dies gelte als "finanzielle Transaktion", weil das einen Zuwachs an Vermögen beinhalte. "Das ist aus dem normalen Kernhaushalt raus, engt den Spielraum des Landes nicht ein", so Krebs. Im Gegenteil: Die Investition in das Übertragungsnetz sichere Baden-Württemberg jedes Jahr zusätzliche Einnahmen, etwa für Schulsanierungen.
Hinter dem Vorgehen der grünen Landesregierung steht nach Einschätzung von Krebs "eine extreme Aversion gegen die Aufnahme von Schulden", selbst für Investitionen: "Deshalb verschenkt man hier sogar Einnahmen für den Landeshaushalt", so Krebs.
Wieso sich das Land die Gewinne aus der Bewirtschaftung des Übertragungsnetzes entgehen lassen will - diese Frage von Kontraste hat die Staatskanzlei von Ministerpräsident Kretschmann nicht beantwortet.
Teilverkauf widerspricht grünem Programm
Im Stuttgarter Finanzministerium liegt seit 2014 ein dickes Gutachten, an dem auch der Infrastrukturexperte Nils Bieschke von der Universität Weimar beteiligt war. Mit Verweis auf dieses Gutachten rät Bieschke strikt davon ab, ein in staatlichem Eigentum befindliches Stromnetz oder Anteile daran zu privatisieren.
Vor den Bundestagswahlen sahen das offenbar auch die Grünen so. Denn laut Bundeswahlprogramm sollte der öffentliche Einfluss auf die Übertragungsnetze gestärkt werden. Wie passt dazu die Teilprivatisierung des Übertragungsnetzes von Transnet BW? Zu dieser Frage von Kontraste lehnte der grüne Parteivorstand jede Stellungnahme ab.
Habeck will Netz von Niederländern zurückkaufen
Verkehrte Welt: Während die grüne Landesregierung in Stuttgart die Teilprivatisierung des einzigen landeseigenen Übertragungsnetzes betreibt, plant der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck derzeit den teilweisen Rückkauf eines anderen der insgesamt vier Übertragungsnetze: Es geht um das Übertragungsnetz von Tennet, das zu hundert Prozent dem niederländischen Staat gehört und Windstrom von Schleswig-Holstein bis nach Bayern bringen soll.
Habeck will nun einen Mehrheitsanteil bei Tennet erwerben, um für die Energiewende den schnellen Ausbau sicherzustellen. 2010 hatte der E.ON-Konzern sein Übertragungsnetz an die Niederländer verkauft. Auf Anfrage von Kontraste erklärte das Bundeswirtschaftsministerium, die bundeseigene KfW prüfe nun auch einen Einstieg bei Transnet BW.