Kündigungswelle bei Twitter "Ich will es nicht wahrhaben"
Zum ersten Mal kam die Bestätigung direkt aus dem Twitter-Team: Etwa die Hälfte aller Angestellten wurde entlassen. Die Übernahme durch Musk hat für den Konzern bereits finanzielle Konsequenzen. Große Werbekunden wenden sich ab.
Rund eine Woche nach der Übernahme des Kurzbotschaftendienstes Twitter durch Elon Musk hat etwa die Hälfte der gesamten Belegschaft ihren Job verloren. Die Art und Weise der Kündigungen sorgt nicht nur bei den Betroffenen für Unmut - und für den Internetkonzern deuten sich bereits erste mögliche juristische Konsequenzen an.
Ein Tweet aus den Reihen der verbleibenden "Tweeps", wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst bezeichnen, bestätigte erstmals den Umfang der massiven Entlassungen: Yoel Roth, Leiter der Abteilung für Sicherheit und Integrität bei Twitter, schrieb, dass in seiner Abteilung 15 Prozent der Beschäftigten gekündigt worden sei. Im ganzen Betrieb seien es ungefähr 50 Prozent aller Kolleginnen und Kollegen.
Bereits zuvor hatten Medien übereinstimmend über diese Zahl spekuliert - etwa 3700 gestrichene Stellen von insgesamt etwa 7500.
"Heute ist Dein letzter Tag in der Firma"
Ob sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder behalten, haben die Twitter-Angestellten per E-Mail erfahren, wie ARD-Korrespondent Nils Dampz berichtet. Am Freitag seien an die gesamte Belegschaft Mails verschickt worden: Wer diese an den Twitter-Arbeitsaccount bekam, darf bleiben. Wenn Twitter die Mail an die Privatadresse geschickt hatte, bedeutete das die Kündigung. "Heute ist Dein letzter Tag in der Firma", soll es in letzteren Mails geheißen haben.
Die Entlassungen soll es quer durch alle Abteilungen gegeben haben, sagt Kurt Wagner von der Agentur Bloomberg: Von der Technik über die Produktentwicklung, auch das Presseteam sei radikal verkleinert worden. Die PR für Twitter sollen demnach jetzt zwei Leute übernehmen, von zuvor 80 bis 100 Beschäftigten, die dafür verantwortlich gewesen seien.
Tausende äußern Enttäuschung und Schock
Unter dem Hashtag #twitterlayoffs, übersetzt "Twitter-Entlassungen", posten Tausende ihren Unmut - darunter auch die gekündigte Twitter-Managerin Michele Austin. "Ich bin mit der Nachricht aufgewacht, dass meine Zeit bei Twitter zu einem Ende gekommen ist. Es bricht mir das Herz. Ich will es nicht wahrhaben", schrieb sie.
Auch der hochschwangeren Mitarbeiterin Rachel Bonn wurde gekündigt. Sie schrieb auf Twitter, dass nur wenige Stunden nach Musks Ankündigung, Personal einzusparen, der Zugang zu ihrem Arbeitslaptop deaktiviert worden sei.
Gekündigte Beschäftigte reichen Sammelklage ein
Eine Gruppe von fünf bereits gefeuerten Angestellten reichte umgehend eine Sammelklage gegen Twitter ein. Sie werfen dem Unternehmen vor, sie nicht wie rechtlich vorgeschrieben 60 Tage im Voraus über die Entlassung informiert zu haben. Das verstoße sowohl gegen das Recht des US-Bundesstaates Kalifornien als auch gegen das Bundesrecht der USA.
Der neue Twitter-Inhaber Musk äußerte sich bislang kaum zu den massiven Entlassungen nach der Konzernübernahme. Ebenfalls auf Twitter teilte er lediglich mit, dass sämtlichen betroffenen Angestellten eine dreimonatige Abfindung angeboten worden sei.
Große Werbekunden brechen weg
Musk treiben vielmehr Sorgen um einen zunehmenden Einbruch der Twitter-Einnahmen um. Die bezieht der Kurzbotschaftendienst vor allem aus Werbeanzeigen. Zuletzt sollen der Nachrichtenagentur dpa zufolge mehr als 90 Prozent aller Einnahmen des Konzerns über Werbung erwirtschaftet worden sein.
Doch mehrere große Werbekunden haben nach der Übernahme durch Musk angekündigt, künftig auf Werbung bei Twitter zu verzichten. Hintergrund für den Werbestopp sind Befürchtungen, Musk könnte die Bemühungen der Plattform im Kampf gegen die Verbreitung von Hassbotschaften und Falschinformationen drastisch zurückfahren.
In der vergangenen Woche hatte bereits der US-Autobauer General Motors seine Werbung auf Twitter eingestellt. Zuletzt folgten weitere Konzerne wie der Lebensmittelriese General Mills und der Autobauer Volkswagen. Volkswagen erklärte, die Unternehmensgruppe habe ihren Marken wie Audi und Skoda empfohlen, ihre Aktivitäten auf Twitter vorerst einzustellen.
Nun gab auch die Fluggesellschaft United Airlines bekannt, auf Twitter-Werbung zu verzichten. Und auch der Pharmahersteller Pfizer sowie der Lebensmittelkonzern Mondelez wollen ihre Kooperation mit Twitter beenden, berichteten das "Wall Street Journal" und die Nachrichtenagentur dpa übereinstimmend.
Twitter macht laut Musk pro Tag Millionenverlust
Musk braucht die Werbekunden. 44 Milliarden US-Dollar, umgerechnet etwa 44 Milliarden Euro, hat der Chef des Elektroautobauers Tesla und des Raumfahrtunternehmens SpaceX für Twitter gezahlt, soll dafür Medien zufolge Kredite aufgenommen haben, die nun bedient werden müssten.
Doch Twitter kämpft schon seit langer Zeit mit wirtschaftlichen Problemen. Der Kurzbotschaftendienst hatte unter anderem in den ersten zwei Quartalen des Jahres Verluste eingefahren. Mittlerweile soll der Konzern pro Tag vier Millionen Dollar verlieren, wie Musk selbst auf Twitter schrieb. Was ihm auch mit Blick auf die umfassenden Kündigungen keine Wahl gelassen habe.
Musk kritisiert Angriff auf Redefreiheit
Verantwortlich für die Abkehr der Werbekunden sind aus Sicht von Musk auch von ihm nicht näher umschriebene "Aktivisten". Tatsächlich hatten unter dem Hastag #StopToxicTwitterCoalition mehr als 60 zivilgesellschaftliche Organisationen zum Werbeboykott Twitters aufgerufen. Eine kritische Moderation der Twitter-Inhalte sei aufgrund der Kündigungswelle nicht mehr möglich, hieß es in einer Mitteilung des Bündnisses. Besonders mit Blick auf die anstehenden Kongresswahlen in den USA sei Hassrede ein ernstzunehmendes Problem.
Bereits in der vergangenen Woche hatte Musk versucht, Werbekunden per offenem Brief zu beruhigen und er versicherte, Twitter werde auch künftig kein Ort sein, an dem sich die Nutzer alles ohne Konsequenzen erlauben könnten. Den Aktivisten wirft Musk vor, mit dem von ihnen ausgeübten Druck "den ersten Verfassungszusatz" anzugreifen - was einen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung bedeuten würde.