Obstanbau-Betriebe Die Wetter-App für den Apfel
Die Klimakrise bedroht die Apfelernte deutscher Obstbauern. Zu frühe Blüte und intensive Sonneneinstrahlung verursachen Probleme. Frühwarnsysteme für Extremwetter sollen Abhilfe schaffen.
Schnell noch den Wetter-Wecker stellen vor dem Zubettgehen: Es ist das allabendliche Ritual von Hein Lühs aus Jork im Alten Land. Auf 40 Hektar baut er Obst an, vorwiegend Äpfel, und die brauchen besondere Pflege. Sollte es nachts stärker anfangen zu regnen, schrillen sofort die Alarmglocken und reißen Lühs aus dem Schlaf. Der Obstbauer hat für seine Plantage eine Wetterstation angeschafft: ein Frühwarnsystem, das sämtliche relevanten Wetter- und Klimadaten liefert - online und in Echtzeit.
"Natürlich spielt die Erfahrung in meinem Job eine große Rolle, aber durch ein Wetter-Frühwarnsystem hat man wesentlich mehr Fakten zur Verfügung", sagt Lühs. Ihm bleiben nach einer bestimmten gefallenen Regenmenge sieben bis acht Stunden Zeit, eine Spritzung auszubringen, um seine Früchte vor dem Befall mit Apfelschorf zu schützen.
Betriebe vernetzen sich
Etwa 7000 Betriebe in Deutschland bauen auf fast 48.400 Hektar Baumobst an. Äpfel, als wichtigste Kultur nehmen 70 Prozent dieser Anbaufläche ein. Mehr als 600 Betriebe nutzen bereits ein Wetter-Frühwarnsystem, so der Deutsche Bauernverband. Tendenz steigend. Neben Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden Regenmengen, Windgeschwindigkeit- und Richtung gemessen sowie der Grad der Blattfeuchtigkeit bestimmt. Alle Daten sind unmittelbar abrufbar, auch die Daten anderer Höfe und Plantagen. Da das Gesamtsystem Obstanbau sehr anfällig für klimatische Veränderungen ist, profitieren die Bauern von dieser Vernetzung.
Eine immer größer werdende Gefahr für heimische Äpfel ist die zunehmende Sonneneinstrahlung, die zu einem Sonnenbrand führen kann. Bei intensiver Strahlung verbrennt die Schale. Die Äpfel werden braun, matschig und schmecken vergoren. Diese Früchte können nicht mehr vermarktet werden, sie sind reif für die Tonne. "Früher hatten wir dieses Problem nicht", sagt Obstbauer Lühs. "Da gab es an maximal ein bis zwei Tagen im Jahr ein Sonnenbrand-Risiko. Jetzt müssen wir zur Kühlung in großen Mengen künstlich beregnen." In den Jahren 2019 und 2020 musste im Alten Land an jeweils zehn Tagen großflächig beregnet werden.
Um die Sonnenbrand-Gefahr zu minimieren, können Obstbauern Grenzwerte in das Frühwarnsystem einspeisen. Sollten Trockenheit und Temperatur kritische Werte während eines vorgegebenen Zeitraums überschreiten, wird automatisch ein Signal gesendet und Alarm ausgelöst. So können Obstbauern noch gezielter reagieren. Im Rekordsommer 2022 mussten Obstbäume im Alten Land bislang "nur" siebenmal berieselt werden.
Obstblüte beginnt immer früher
Infolge des Klimawandels setzt die Obstblüte im Frühjahr deutlich früher ein. Beim "Roten Boskop" beginnt diese inzwischen drei Wochen früher als noch 1975 und bringt dadurch sogar die gesamte Ernte in Gefahr. Denn später Frost kann bei Obstbäumen immensen Schaden anrichten. Bei frisch aufgegangenen Knospen, bei denen Blütenblätter bereits zu sehen sind, liegt eine Temperatur von Minus zwei Grad noch knapp im Toleranzbereich. Bei komplett offenen Blüten liegt die Grenze bei Null Grad.
Mit Hilfe des Frühwarnsystems passen Obstbauern den exakten Zeitpunkt ab, um mit der Frostschutzberegnung zu beginnen. Hierbei wird feiner Sprühnebel auf dem Baum verteilt. Gefriert das Wasser auf den Blüten, wird Kristallisationswärme freigesetzt. Das Eis umschließt die Blüten wie ein Schutzmantel und hält die Temperatur konstant bei null Grad. So nehmen Blüten und Knospen keinen Schaden.
Den Folgen des Klimawandels konnten die Obstbaubetriebe 2022 gut entgegenwirken. Das Statistische Bundesamt rechnet mit einer Apfelernte von rund 1.051.000 Tonnen. Gegenüber dem Vorjahr wird der Ertrag voraussichtlich um knapp 46.000 Tonnen und damit 4,6 Prozent höher ausfallen.