Viertagewoche Wenn schon Freitag Wochenende ist
Weil sich immer weniger Menschen für einen Job im Handwerk entscheiden, steigt der Druck auf die Unternehmen. Einige setzen auf neue Arbeitszeitmodelle - mit Erfolg.
Erion Bislimi steht vor einem Labyrinth aus Rohren. Mit Abständen von wenigen Zentimetern führen silberne Heizungsleitungen senkrecht aus dem Boden heraus. Seit fast einem Jahr arbeitet der Auszubildende zum Anlagenmechaniker im Bereich Sanitär-Heizung-Klima gemeinsam mit seinen Kollegen an der Energieversorgung einer Bootswerft am Bodensee. Bald soll die neue Wärmepumpen-Heizung in Betrieb gehen.
Über eine Werbeanzeige in den Sozialen Netzwerken hat der heute 20-Jährige von dem Job erfahren. "Ich habe dann ein Praktikum gemacht und ein bisschen reingeschnuppert", erinnert sich Bislimi. Die Arbeit sei abwechslungsreich, die Firma attraktiv. Vor allem habe ihn aber die Vier-Tage-Woche überzeugt: "Ich kann Freitag zum Sport gehen, dann kann ich irgendwo wegfahren und habe einfach ein verlängertes Wochenende."
Verschiedene Modelle in der Erprobung
Gearbeitet wird in der Alfred Keller GmbH in Überlingen am Bodensee von Montag bis Donnerstag etwas länger. Für die Mitarbeiter wie Azubi Bislimi ist das kein Problem. Am Ende der Vier-Tage-Woche stehen so trotzdem 38,5 Stunden auf dem Lohnzettel.
Dass das auch anders geht, zeigt ein Blick nach Großbritannien: Dort läuft zurzeit ein Feldversuch, bei dem die Arbeitszeit auf vier Tage bei gleicher Bezahlung reduziert wurde. Allerdings wird hier auch die Wochenarbeitszeit anteilig reduziert. Die Idee: 100 Prozent Leistung bei 80 Prozent der Zeit.
"Das ist eine Win-win-win-Situation"
Der Handwerksbetrieb von Alfred Keller am Bodensee ist mit der eigenen Gestaltung der verkürzten Arbeitswoche zufrieden. "Durch die Vier-Tage-Woche sind unsere Arbeitsabläufe produktiver", so Keller. "Das ist eine 'Win-win-win'-Situation. Nicht nur für die Mitarbeiter, die einen Tag mehr Freizeit haben". Er selbst habe am Freitag Zeit für die Büroorganisation gewonnen.
"Und der Endkunde findet das auch cool", so der Handwerker. Auf großen Baustellen würden am Freitag andere Handwerksbetriebe weiterarbeiten und beispielsweise Malerarbeiten durchführen, "so dass eine Durchgängigkeit da ist."
New Work: Wenn die Arbeit Kraft verleiht
Die Flexibilisierung von Arbeitszeit ist aus Sicht von Inga Höltmann ein wesentliches Element von "Neuer Arbeit" (englisch "New Work"): "Wir müssen viel schneller in Bewegung und in Veränderungen kommen in den Organisationen." Denn so, wie sich unsere Gesellschaft verändere, müsse sich auch unsere Arbeit mitverändern.
Die Expertin für Kulturwandel in Unternehmen verweist im Gespräch mit tagesschau.de auf den Philosophen Frithjof Bergmann. Er gilt als Vordenker im Bereich "New Work" und fordert in seinem Buch "Neue Arbeit, Neue Kultur":
Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.
Attraktivere Bedingungen für Arbeitnehmer, auch im Handwerk, seien wichtig, meint "New Work"-Expertin Höltmann: "Ich würde mir wünschen, dass wir verstehen, dass es bei Neuer Arbeit nicht darum geht, die Mitarbeitenden irgendwie nett zu bespaßen, sondern dass sie ein ganz konkreter Wettbewerbsvorteil sein kann."
Nicht für alle Branchen passend?
Wäre die Vier-Tage-Woche also für alle Unternehmen geeignet? Matthias Bianchi vom Deutschen Mittelstandsbund warnt: "Die Vier- oder Dreitagewoche eignet sich heute nicht für eine flächendeckende Anwendung in kleinen oder mittleren Unternehmen." Überall dort, wo seriell gearbeitet oder produziert werde, würden solche Modelle schnell an ihre Grenzen stoßen.
"Generell empfehlen wir unseren Mitgliedsunternehmen, individuelle und möglichst flexibel gestaltete Arbeitszeitregelungen zu finden - jedes Unternehmen ist einzigartig. Modelle wie die Vier-Tage-Woche können dabei zwar als Orientierung dienen, sollten aber nicht als ein enges Korsett verstanden werden", so Bianchi weiter.
Der Baden-Württembergischen Handwerkstag verweist darauf, dass es alleine mit der Anpassung der Arbeitsumgebung ist es nicht getan sei. "Dafür werden schlicht zu viele Fachkräfte in den kommenden Jahren benötigt. Um mehr Personal ins Handwerk zu bekommen, braucht es vor allem ein gesellschaftliches Umdenken und eine Bildungswende hin zu mehr beruflicher Ausbildung", so der Verband gegenüber tagesschau.de. "Dazu müssen alle an einem Strang ziehen: Eltern, Lehrer, Betriebe. Aber es braucht auch deutlich mehr Unterstützung auch der Politik."
Handwerker Keller in Überlingen am Bodensee ist froh, sich für die Vier-Tage-Woche entschieden zu haben. Anders als viele seiner Kollegen hat er dank der Vier-Tage-Woche keine Nachwuchssorgen: "Wir mussten dieses Jahr leider über zehn Bewerbern für Ausbildungsplätze absagen, weil wir einfach keine Kapazitäten mehr hatten." Auch bei den Fachkräften sei man gut aufgestellt.