Stellenabbau in Deutschland BASF sucht Schulterschluss mit China
Nach einem schlechten Jahr für BASF und die ganze Branche will der weltgrößte Chemiekonzern massiv Stellen in Deutschland streichen. Gleichzeitig hält er an seinen ambitionierten Investitionsplänen in China fest.
Die Pläne, die BASF-Chef Martin Brudermüller während seiner Bilanzierung des vergangenen Geschäftsjahres vorstellt, klingen aus seinem Mund alternativlos. Während er über gestiegene Kosten, gesunkene Nachfrage und immer aufwendigere bürokratische Hürden in Deutschland referiert, lässt er an unzähligen Stellen seiner Rede "China" einfließen.
Während die Chemieproduktion in Europa massiv zurückgehe, wachse der Markt in China, so Brudermüller. Während die Chemie weltweit im vierten Quartal um nur ein Prozent wachsen konnte, sei der Anstieg in China deutlich. Chinas Abkehr von der Null-Covid-Politik kurbele dort die Nachfrage an. Schon in der zweiten Jahreshälfte erwarte man ein besseres Ergebnis, vor allem aufgrund von Aufholeffekten in China. In einer multipolaren Welt liege man mit seinem Engagement in China richtig, um Kundennähe zu schaffen. Damit bereitet er strategisch das Feld, um anschließend Produktionsauslagerungen nach Fernost zu begründen.
Russland-Geschäft wurde zu Totalverlust
Und aus ökonomischer Sicht liegt der Chef der "Aniliner" (so nennen sich die Mitarbeiter der BASF) mit all dem sicher nicht ganz verkehrt. Wobei er auf Nachfrage auch einräumt: "Ich sage nicht, dass die Investitionen dort ohne Risiken sind. Aber die Chancen, die wir sehen, übertreffen die Risiken."
Der Mann hatte gerade erst schlechte Erfahrung mit einem Investment in einem anderen autoritären Staat gemacht, der jetzt Krieg in der Ukraine führt und weltweit zunehmend isoliert ist. Russland, dessen Staatsbetrieb Gazprom milliardenhohe Rechnungen gegenüber der BASF-Tochter Wintershall-Dea schuldig geblieben ist, bot seinerzeit auch Chancen und barg Risiken - hier war das Ergebnis ein Totalverlust. "Ja, im schlimmsten Fall ist der Totalausfall auch in China denkbar, aber das würde bedeuten, dass das gesamte weltweite Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert, dann wäre plötzlich alles anders", so Brudermüller.
BASF-Konzernchef Martin Brudermüller und Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel bei der Bilanzpressekonferenz in Ludwigshafen.
Als die BASF in Russland investierte, war auch nicht klar, dass Wladimir Putin kurze Zeit später einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen würde. Ebenso kann im Moment niemand voraussehen, wie sich die diplomatischen Beziehungen zu China in der nächsten Zeit entwickeln. Man habe im Vorstand und auch mit externen Experten ausgiebig die Alternativen, zum Beispiel ein stärkeres Engagement in den USA, diskutiert, mehrheitlich habe man sich dann für die Investitionen von zehn Milliarden Euro in China entschieden - der größten Investition, die je ein deutsches Unternehmen in China getätigt hat. Jetzt sei dieses Geld längst unterwegs, in Infrastruktur am Standort Zhanjiang sei es geflossen und in neue Mitarbeiter.
"Jetzt eine Vollbremsung hinzulegen, würde alle verwirren", sagt der Konzernchef und stellt die These in den Raum voller Journalisten: "Ohne das Geschäft in China wäre die notwendige Umstrukturierung hier so gar nicht möglich - nennen Sie mir doch mal ein Investitionsobjekt in Europa, mit dem wir Geld verdienen könnten."
"Schmerzhafte Entscheidungen"
Ins Ausland auslagern, das können Weltkonzerne deutlich einfacher als Mittelständler und Kleinbetriebe, aus denen der Großteil der deutschen Chemiebranche besteht. Zwar sei die befürchtete Gasmangellage im Winter ausgeblieben, sagt Josefin Altrichter vom Verband der Chemischen Industrie (VCI), "strategisch sind viele Unternehmen jetzt dennoch gezwungen, für den Standort Deutschland schmerzhafte Entscheidungen zu treffen". Noch seien die Auftragsbücher in der Branche nicht wieder voll: "Im zweiten Halbjahr 2022 haben viele Kunden unserer Unternehmen die Produktion gedrosselt und weniger Chemikalien bestellt. Der Auftragseingang ist rückläufig. Die hohe Inflation reduziert zudem die Kauf- und Investitionslaune", so der Verband.
Mit Blick auf die China-Aktivitäten der BASF sagt Altrichter: "Angesichts des großen Anteils Chinas am Chemieweltmarkt und der gestiegenen Innovationskraft können es sich große Unternehmen nicht leisten, auf eine Präsenz in China zu verzichten." Und weiter: "Die Politik könnte die Unternehmen bei der Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Ländern unterstützen, wenn sie sich verstärkt für neue EU-Freihandelsabkommen und Rohstoffabkommen mit neuen Partnern einsetzt."
Massiver Stellenabbau vor allem in Ludwigshafen
Der Betriebsrat der BASF hingegen fordert, "hier im Herzen Europas eine starke Chemieproduktion zu erhalten und dafür eine Pionierrolle im Auf- und Ausbau von nachhaltigen Produkten einzunehmen! Nicht in China, den USA oder irgendwo auf der Welt. Standortsicherung geht vor Gewinnmaximierung!" Mit den China-Plänen einher gehen nämlich massive Einsparungen und ein drastischer Stellenabbau, vor allem am Traditionsstandort Ludwighafen. Hier soll ab 2024 rund die Hälfte der Einsparungen von 500 Millionen Euro jährlich realisiert werden. 4200 Jobs will der Konzern streichen. Da gleichzeitig an allen Standorten aber auch neue Stellen geschaffen werden, soll es am Ende 2600 Stellen weniger geben als heute.
Der Betriebsratsvorsitzende Sinischa Horvat sprach davon, dass Arbeitsplatzverluste nicht zur Debatte stünden, da in Ludwighafen akuter Fachkräftemangel herrsche: Jede und jeder würde gebraucht. Das bestätigte der BASF-Vorstand so allerdings nicht. Man plane viel über die natürliche Fluktuation zu regeln und eine Vielzahl an Mitarbeitern, deren Stellen wegfielen, an anderer Stelle im Konzern einzusetzen. Eine Beschäftigungsgarantie habe es nicht gegeben.
Die Stilllegung mehrerer Produktionsanlagen in Ludwigshafen ist gleichzeitig die Initialzündung für das Ziel, den CO2-Ausstoß spürbar zu reduzieren. Damit sänke der Ausstoß jährlich um 0,9 Millionen Tonnen. Das entspräche einer Reduzierung der weltweiten CO2-Emissionen von BASF um rund 4 Prozent. Ein Anfang, dem eine energetische Transformation großen Ausmaßes folgen soll. Nachdem sich der Konzern noch unabhängiger von Erdgas gemacht hat, sollen in mehreren Schritten der Einsatz von Wärmepumpen, die Kohlenstoff-Abscheidung und Speicherung sowie die Nutzung grünen Wasserstoffs folgen. Bis 2045 soll Ludwigshafen dann ein "Netto-Null-Emissionen-Standort" sein.
Aktionäre müssen nicht zurückstecken
All dem vorausgegangen war eine Bilanz, die zwar erwartbar, aber nicht zufriedenstellend war. In einem Umfeld, das vom Krieg in der Ukraine und einer massiven Verteuerung von Energie und Rohstoffen geprägt war, habe die BASF sich widerstandsfähig gezeigt und dennoch Verluste einstecken müssen. So ging das Betriebsergebnis 2022 um 11,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 6,9 Milliarden Euro zurück. Zusätzliche Energiekosten von 3,2 Milliarden Euro belasteten das Ergebnis. Wobei 84 Prozent des Anstieges auf Europa und hier hauptsächlich auf den Standort Ludwigshafen entfielen. Der um 11,1 Prozent auf 87,3 Milliarden Euro gestiegene Anstieg des Umsatzes gehe hauptsächlich auf Preisanstiege in Folge der gestiegenen Kosten zurück.
Dennoch hat der BASF-Vorstand angekündigt, seinen Aktionären eine Dividende von 3,40 Euro je Aktie anzubieten. Daraus ergäbe sich eine, wie BASF selbst sagt, "hohe Dividendenrendite von 7,3 Prozent". Eine Investition in die Finanzierung zukünftiger Geschäfte, oder anders gesagt: der Versuch einer Versicherung gegen den weiteren Kursverfall der BASF-Aktie.
Im zweiten Halbjahr 2023 rechnet der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller mit einer Aufhellung des wirtschaftlichen Umfeldes und einer Verbesserung des Betriebsergebnisses aus Aufholeffekten - insbesondere aus China. Und angesprochen auf die Zukunft des Standortes Deutschland ermutigte der Chemiemanager: "Deutschland hat Fehler gemacht und läuft der internationalen Entwicklung hinterher, aber wenn wir jetzt aufwachen, ist der Standort noch zu retten."