Probleme der Binnenschiffer Was von der Schifffahrtsromantik bleibt
Die deutsche Industrie ist auf die Binnenschifffahrt angewiesen. Doch veraltete Infrastruktur wie marode Schleusen machen es der Branche schwer. Was kann gegen den Investitionsstau helfen?
Mario Stenzel ist Schiffsführer und fährt mit seinem Schubboot "Edward" regelmäßig über Havel und Spree. Nach mehr als 30 Jahren auf dem Wasser ist er vertraut mit bald jedem Baum und Biber am Ufer. Trotzdem sei für ihn die Schifffahrts-Romantik immer noch spürbar, besonders in den frühen Morgenstunden. Doch seine Branche kämpft mit Problemen - vor allem was den Zustand der Wasserstraßen betrifft.
"Die Binnenschifffahrt wird seit Jahren von der Politik vernachlässigt, und es gibt einen erheblichen Investitionsstau", sagt Stenzel im Gespräch mit tagesschau.de. Das sei auch in seinem Revier deutlich spürbar. "Die Wasserwege in Berlin-Brandenburg haben erhebliche Schäden, und das Problem ist im ganzen Land verbreitet", so der Schiffsführer.
Viele Schleusen vor 1950 gebaut
Insgesamt 4313 Binnenschiffe gab es 2021 in Deutschland. Mario Stenzel transportiert mit seinem Schubboot Getreide, Futtermittel, Baustoffe oder Abfälle. Die Ladung ist in sogenannten Schubleichtern untergebracht, speziellen Schiffen ohne eigenen Antrieb.
Der Ausbau der Wasserstraßen werde durch langwierige Ausschreibungsverfahren für Infrastruktur-Projekte verzögert, kritisiert der Binnenschiffer. Martin Staats, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), beschreibt die gegenwärtige Lage auf dem Wasser so: "Die überalterte Infrastruktur der Wasserstraßen einschließlich vieler Schleusen, die vor 1950 gebaut wurden, nähert sich ihrem Ende der Lebensdauer. Viele Bauwerke wurden vor 1910 errichtet."
In Deutschland gibt es laut der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) rund 7300 Kilometer Binnenwasserstraßen. Darunter sind rund 315 Schleusen und 307 Wehre. Eingeplantes Geld für Instandhaltung und Modernisierung könne wegen des Personalmangels seit Jahren aber nur begrenzt ausgegeben werden, so Staats. Zusätzlich sei der Haushalt für das Jahr 2023 um 350 Millionen Euro gekürzt, was die Situation verschärfe. Dabei werden Wasserstraßen nicht nur als Transportwege für die Güterschifffahrt gebraucht, sondern spielen auch eine wichtige Rolle im Tourismus, der Freizeitschifffahrt und der Wasserüberleitung von feuchten zu trockenen Gebieten.
"Kann zu Versorgungsproblemen führen"
Steffen Bauer, Geschäftsführer des Binnenschifffahrts-Unternehmens HGK Shipping, hält den schlechten Zustand der deutschen Wasserstraßen auch für ein wachsendes Problem der Industrie. "Eine Schleuse, die ausfällt, kann ein Unternehmen von seinem Wasserweg abschneiden und zu Versorgungsproblemen führen", so Bauer.
Flüsse, Kanäle, aber auch Binnenhäfen und Umschlagterminals seien eine Lebensader der deutschen Industrie, sagt er. "Ohne ausreichende Mittel zur Instandhaltung wird die Infrastruktur weiter verfallen und letztendlich an ihre Grenzen stoßen".
Ist eine Schleuse geschlossen oder das Schiff zu lang für die Kammer, so muss Mario Stenzel nach Alternativen suchen, die es nicht immer gibt. "Im Gegensatz zu Autos gibt es für Schiffe aufgrund ihrer Abmessungen und Tiefgänge keine einfache Möglichkeit, auf eine andere Wasserstraße auszuweichen", sagt der Schiffsführer. "Wir sind gezwungen, bei Ausfällen oder Störungen zu warten".
Niedrige Pegelstände
Rund 182,5 Millionen Tonnen Güter beförderte die deutsche Binnenschifffahrt laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022. Das war das niedrigste Niveau seit 1990. Mehrfach führten zuletzt Folgen der Trockenheit zu Problemen. Im Sommer 2022 und 2018 schränkte das Niedrigwasser den Schiffsverkehr erheblich ein. Der Anteil der Binnenschifffahrt am deutschen Güterverkehr betrug zuletzt rund 6,6 Prozent.
Den größten Anteil am Güterverkehr hatten 2021 Lkw - sie machten etwa 72,3 Prozent der gesamten Transporte aus. Der Anteil der Eisenbahn lag bei knapp 19 Prozent.
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
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Güterbeförderung insgesamt | 205,1 | 188 | 195 | 182,4 |
Empfang aus dem Ausland | 90,5 | 78,5 | 88,2 | 84,9 |
Verkehr innerhalb Deutschlands | 53 | 50 | 46,4 | 44,6 |
Versand in das Ausland | 48,9 | 48,9 | 49,8 | 43,7 |
Durchgangsverkehr | 12,8 | 10,5 | 10,6 | 9,19 |
Gütermengen könnten weiter sinken
Die Binnenschifffahrt hänge als Wirtschaftsfaktor nicht nur von Wettereinflüssen, sondern auch stark vom Strukturwandel der Industrie und der Energiepolitik ab, so HGK-Geschäftsführer Bauer. Sie müsse sich anpassen, da die Energiewende vieles verändere - die Mengen der transportierten Güter und ihre Art. Er rechnet damit, dass die Binnenschifffahrt weiter an Gütermengen verliert.
Schiffsführer Stenzel spricht sich dafür aus, dass die Binnenschifffahrt auch aus ökologischer Sicht stärker für Transporte in Betracht gezogen wird - um Schienen und Straßen zu entlasten. In der Branche fehle es aber auch an Nachwuchskräften. "Der Schifferberuf erfordert viel Abwesenheit von zu Hause, was für viele junge Menschen heute ein Problem darstellt", so Stenzel. Viele wüssten auch zu wenig über den Beruf des Binnenschiffers.