
Belastungen und Extrakosten Warum es einen Abbau der Bürokratie braucht
Bürokratieabbau als Wachstumsmotor: Das wurde im Wahlkampf versprochen. Nötig wäre es, denn die deutsche Wirtschaft ächzt unter den Belastungen, die Hunderte Milliarden kosten.
Beim Thema Bürokratie hat Frank Walter, der Chef Firma Walter Fenster und Türen in Kassel, seine masochistischen Züge entdeckt. Wann immer in den vergangenen Jahren eine neue Vorschrift auf ihn zukam, hat er die Regelung aufgeschrieben. "Ich habe sie dann Quäl-Liste genannt", sagt der Unternehmer und lächelt gequält: "Denn ich habe leider gemerkt: Diese Aufstellung wird länger und länger."
Damit steht der Mann aus Hessen beispielhaft für die gesamte deutsche Wirtschaft. Nach einer Umfrage des Münchner ifo-Instituts sagen neun von zehn Unternehmen, dass die Belastungen durch die Bürokratie seit 2022 gestiegen sind.
Ifo-Chef Clemens Fuest wundert das nicht: Robert Habeck habe sich selbst dafür gelobt, dass kein Wirtschaftsminister vor ihm ähnlich viele Gesetze gemacht hätte. "Das ist ein Desaster", so Fuest. Immer mehr Regeln verursachen in der Folge immer höhere Kosten. Nach Zahlen des Normenkontrollrats stieg die Belastung für Bürger, Verwaltung und Unternehmen um insgesamt 27,1 Milliarden Euro im Vergleich zu 2011.
Praxis-Check ohne Ergebnis
Dass manche Regelungen Probleme lösen sollen, die es in der Realität gar nicht gibt, zeigt beispielsweise die Nachhaltigkeitszertifizierung für Biogas-Anlagen. Die sollte ursprünglich sicherstellen, dass kein Regenwald für Palmöl gerodet wird. Doch Anlagenbetreiber und Landwirt Mathias Klöffel muss Jahr für Jahr nachweisen, dass die eingesetzte Biomasse nachhaltig ist. "Sogar beim Mist muss ich den Nachweis führen, der von Natur aus nachhaltig ist", erzählt er im Gespräch mit plusminus. Das gesamte Zertifizierungssystem koste ihn knapp 20.000 Euro im Jahr.
Mit dem Problem hatte er sich an die bayerische Staatsregierung gewandt, die im vergangenen Sommer einen so genannten Praxis-Check durchgeführt hat. 25 Vertreter aus Politik, Verwaltung und beteiligte Firmen halten im Protokoll übereinstimmend fest: "Es besteht Einigkeit darüber, dass in Deutschland und vor allem in Bayern kein Nachhaltigkeitsproblem bei der verwendeten Biomasse besteht." Bis jetzt hat das aber zu keiner Veränderung geführt, so dass die eingesetzte Biomasse weiterhin mit viel Aufwand und ohne Nutzen zertifiziert wird.
Der frühere Chef des Normenkontrollrats, Johannes Ludewig, hält Praxis-Checks mit allen Beteiligten im Grundsatz für ein sinnvolles Instrument. Das müsse aber schon vor der Gesetzesverabschiedung gemacht werden - er spricht von einer "baren Selbstverständlichkeit". Er könne mit seiner langjährigen Erfahrung noch immer nicht verstehen, dass ungeprüft praxisferne Regelungen überhaupt beschlossen werden.
Gesetze abschaffen, wenn neue erlassen werden
Die Union hat im Wahlkampf für diese Praxis-Checks geworben und auch für die sogenannte "One in, two out"-Regelung: Schafft ein neues Gesetz eine neue Belastung, werden zwei andere Gesetze dafür abgeschafft, sodass die Belastung sinkt. Bisher gilt schon die weniger ambitionierte "One in, one out"-Regelung, die aber nicht konsequent angewendet wird.
"Das muss eingeübt und dann stufenweise gesteigert werden", fordert Bürokratie-Experte Ludewig. Dann komme auch etwas dabei raus. Ifo-Chef Fuest hält den Ansatz für begrüßenswert und ergänzt: "Der Weg ist nicht sonderlich planvoll, aber besser als nichts."
Deutlich höhere Wirtschaftsleistung möglich
Wie es mit der Bürokratie im EU-Vergleich besser funktioniert, zeigt das Beispiel Schweden. Für die Steuererklärung brauchen nach Auswertung der Weltbank schwedische Unternehmen im Schnitt 122 Stunden - deutsche fast doppelt so lange. Auch ein Immobilienkauf ist in Schweden viel schneller abgewickelt als in Deutschland: Braucht man hierzulande 52 Tage, sind es in Schweden gerade einmal sieben.
Welches Potenzial in einer effizienteren Bürokratie steckt, hat das ifo Institut in einer Studie berechnet: Denn hätte Deutschland die Bürokratie im Jahr 2015 auf das schwedische Niveau abgesenkt, wäre die hiesige Wirtschaft viel kräftiger gewachsen. Statt Dauer-Rezession wäre die Wirtschaftsleistung um 4,6 Prozent höher. Das Wachstumspotenzial durch weniger Bürokratie ist enorm: 146 Milliarden Euro könnte die Wirtschaftskraft höher liegen, wenn sich Deutschland andere Länder zum Vorbild nimmt und Regelungen abschafft, fasst Fuest vom ifo Institut das Studienergebnis zusammen.
Darüber würde sich dann auch Fensterbauer Walter in Kassel freuen. Es wäre - nach der Quäl-Liste - die Gelegenheit für eine neue Aufstellung: Jede abgeschaffte Regel wird notiert. Eine solche "Freu-Liste" zu führen, macht ihm dann auch mehr Spaß.